Geschichten

Die Fee der Nacht -34-

Joswig hatte Petermanns Anweisungen genau befolgt und war nur sehr langsam gefahren. Das hatte dem Kommissar die Zeit gegeben, sich dem unbekannten Schützen zu nähern. Als dieser wieder einmal sein Zielfernrohr korrigierte, was er mehr aus innerer Angespanntheit heraus tat, als aus wirklicher Notwendigkeit, hatte er eine Patrone umgestoßen, die auf dem harten Holzboden ein klirrendes Geräusch verursacht hatte.
Der an und für sich schwerfällige Petermann entwickelte unter der Anspannung eine für seine Verhältnisse hohe Geschwindigkeit und während im etwa zwei Meter hohen Hochstand Ignaz gerade auf den Chevrolet anlegte, brauchte der Kriminalhauptkommissar nur ein paar Sätze und war die Leiter hochgestiegen, wobei er jeweils eine Sprosse übersprang.

Petermann hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Ignaz hatte überhaupt nicht damit gerechnet, daß irgendwer zu ihm kommen könnte. Vom Haus oben war keinerlei Bedrohung oder Annäherung zu erwarten gewesen und wer immer auch in dem Auto saß, der saß nach Ignaz Auffassung auch da drin.
Der Schütze fuhr erschreckt herum, als er Petermann auf der Leiter und an der Kabine poltern hörte, sein Finger zog den bis zum äußersten Druckpunkt durchgezogenen Abzugshahn zwar noch durch, der Schuß löste sich, aber ging ungezielt irgendwo in das Dunkel des Waldes.
Ignaz ließ das Gewehr los und schaffte es noch aufzuspringen, doch Petermanns erster Fausthieb traf ihn genau auf dem Kehlkopf, der zweite Treffer landete seitlich an der Schläfe des Hünen. Der Mann verdrehte seine Augen und seine Beine gaben nach. Der Kommissar versetze ihm noch einen Tritt in die Kniekehlen und wenige Augenblicke kniete Petermann über ihm und legte ihm auf dem Rücken Handschellen an.

Schwer atmend lehnte sich der Kommissar an die Brüstung und betrachtete Ignaz, der schon wieder zu sich kam.

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„Versuch’s gar nicht erst, sonst muß ich Dich wieder hauen!“ sagte Petermann, rieb sich seine schmerzenden Fäuste abwechselnd und schaute zu Jojo und seinem Chevy hinüber. Erleichtert stellte er fest, daß Jojo weiterfuhr, ihm war also nichts passiert und gleich würde er ja auch hier oben ankommen.
„Los, steht auf, Du Hirnprinz! Oder meinst Du, ich schlepp Dich durch den Wald? Wegen Dir habe ich rennen müssen und das tue ich gar nicht gerne, überhaupt nicht gerne, nee. Hopp, wird’s bald!“

Der Kommissar hatte sich das Gewehr von der Brüstung genommen, durchgeladen und stieß Ignaz mit der Mündung an.
Mühsam erhob sich der große Mann und plötzlich knackte und rauschte es; an der seitlichen Brüstung des Hochstandes hing ein Funkgerät, aus dem eine Stimme quäkte: „Ignaz, bitte kommen! Was ist da los? Kommt jemand? Wir haben Schüsse gehört.“

Petermann konnte nicht sagen, ob das die Stimme von Brockhagen war, aber er hielt es durchaus für möglich. Er konnte Ignaz nun aber auch nicht antworten lassen, wenn aber gar keine Antwort kam, konnte -wer auch immer da am anderen Ende war- gewarnt werden. Also entschied sich Petermann dazu, ein paar Mal auf die seitliche Sprechtaste zu drücken, um wenigstens so zu tun, als komme da eine Antwort. Vielleicht würde der am anderen Ende annehmen, die Geräte funktionierten nicht richtig.

„Los!“ sagte er zu Ignaz und stieß ihn nochmals mit dem Lauf an. Als Ignaz auf die Leiter stieg, packte Petermann ihn kurzerhand am Kragen, damit der Mann trotz der gefesselten Hände hinuntersteigen konnte.

Der Journalist Achim Joswig hatte den letzten Schuß gehört und dann Gas gegeben. Noch länger als notwendig in der Schußlinie zu verbleiben, erschien ihm zu riskant. So weit er das feststellen konnte, war der Wagen auch nicht getroffen worden. Nach der nächsten Kurve wurde die Straße auch etwas breiter, was Joswig sehr entgegen kam, denn er fühlte sich am Steuer des fast fünfeinhalb Meter langen und über zwei Meter breiten Amerikaners nicht sonderlich wohl. Auf einer schönen, breiten, sonnigen Landstraße… ja, das wäre nach seinem Geschmack gewesen, aber nicht hier auf diesem verdammt engen Straßenstück im Visier eines Heckenschützen und dazu noch bei inzwischen eingebrochener Dunkelheit.
Die Straße machte einen weiten Bogen und nach etwa 300 Metern tauchten Petermann mit einem Gewehr in der Armbeuge und Ignaz auf.
Joswig brachte den Wagen neben den beiden zum stehen. „Alles klar bei Dir?“ fragte er Petermann und der grinste: „Siehste doch! Da ist’se, unsere Knallschote.“

„Und was machen wir jetzt mit dem?“

Petermann stieß Ignaz zum wiederholten Male mit der Mündung des Gewehrs in den Rücken und sagte ohne jeglichen Unterton: „Der böse Bursche wollte uns erschießen, Jojo. Warum sollen wir uns mit ihm abmühen, am besten schießen wir ihm gleich hier in den Rücken und schmeißen ihn da runter in die Schlucht.“

Zum ersten Mal seit sie aufeinander getroffen waren, sagte Ignaz überhaupt irgend etwas: „Hey, hey, hey! So geht das aber nicht! Müssen Sie mir nicht meine Rechte vorlesen, oder so was?“

Der Kommissar hatte Joswig die Wagenschlüssel aus der Hand genommen und bugsierte seinen Gefangen zum Heck des Chevrolet, wo er die große Kofferraumhaube aufschwingen ließ: „So, rein da, Bürschchen!“

„Ich geh‘ da nicht rein!“ protestierte Ignaz, doch Petermann ließ keinen Zweifel daran, daß er es ernst meinte. Er gab ihm wieder einen leichten Stoß mit dem Gewehrlauf und sagte: „Also doch lieber in den Rücken schießen?“

Widerwillig setzte sich Ignaz auf die hintere Kante des offenen Kofferraumes und ließ ich hineinfallen. Petermann schloß den Deckel, machte ihn aber gleich wieder auf. „Und hör mir gut zu, Du Knalltüte! Du hast mir schon zwei Löcher ins Auto gemacht, die Du mir bezahlen wirst. Wenn Du mir noch irgendwas am Auto kaputt machst, werde ich mächtig böse. Ich muß für den ganzen Scheiß einen Haufen Geld bezahlen, die Teile gibt’s nicht eben mal so beim VW-Händler. Ist das klar?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er den Deckel zu.

„Und jetzt?“ fragte Joswig, der schon zur Beifahrerseite hinübergegangen war.

„Jetzt? Jetzt fahren wir da hoch und besuchen den Herrn Minister.“

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