Geschichten

Die Fee der Nacht -6-

Sagte ich schon, daß mir durchgemachte Nächte tagelang in den Knochen hängen?
Ich trank zu Hause noch einen Espresso, steckte mir knurrig eine Zigarette zwischen die Zähne und setzte mich ans Steuer meines Wagens. Die Straßen spiegelten, es hatte kurz zuvor geregnet, ach, was sage ich, es hatte geschüttet.

Um diese Zeit war in unserer Stadt kein Verkehr mehr. Die Leute saßen zu Hause und schauten fern und ich fuhr zum wiederholten Mal durch die Nacht zur Villa der Brockhagens. Es war nicht die Lust auf das Geschäft, die mich antieb, es war die Neugierde, vielleicht endlich zu erfahren, was da eigentlich gespielt wird.
Ich war eigentlich gar nicht als Bestatter unterwegs, sondern wünschte mir, ich hätte mehr etwas von einem Detektiv.

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Das läge mir auch, das könnte ich bestimmt auch gut, aber jedem ist irgendwie seine Rolle im Leben zugewiesen und bisher war meine Rolle eben nicht die des Detektivs.

Aber jucken würde es mich schon… Ich meine, da ist ein Mann ums Leben gekommen und zwar auf eine sehr grausame Art und Weise. Es gab eine wunderschöne Frau, die Witwe und Verdächtige zugleich war und ein Rudel von Behörden, die offensichtlich nichts anderes taten, als wegzuschauen.

Pitschernd rollten die Reifen meines Wagens durch die vielen kleinen Pfützen vor dem Anwesen der Brockhagens und nach dem Klingeln schnarrte das Tor elektrisch auf. Dieses Mal brannten keine Lampen entlang des Weges und ich versuchte mich zu erinnern, wie der etwas gewundene Weg verlief.
Oben am Haus fand ich die Eingangstür angelehnt und als ich sie aufmachte, rief Nathalie Brockhagen aus dem Inneren des Hauses: „Kommen Sie herein. Entschuldigung, daß ich Sie noch her bitte, aber vorher ging es nicht.“

Sie stand auf der Treppe, hatte eine schlabberige schwarze Jogginghose und ein graues Sweatshirt an und, was soll ich sagen, sie sah einfach hinreißend aus.

„Kommen Sie! Wir gehen nach hinten in den Wintergarten, das Wohnzimmer ist im Moment nicht so mein Ding“, sagte sie, kam die paar Stufen herunter und ging mit einer einladenden Handbewegung voraus.

Der Wintergarten war im Stil eines japanischen Teehauses gehalten, aber glücklicherweise mit westlichen Sitzmöbeln ausgestattet. So im Schneidersitz auf Bastmatten zu sitzen, ist nämlich nicht mein Ding.

Nathalie bot mir einen Platz an, indem sie in Richtung eines der Stühle nickte, blieb selbst aber stehen und begann langsam vor den hohen Glasscheiben, hinter denen dunkle Nacht herrschte, auf und ab zu gehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch kein einziges Wort gesprochen und jetzt fiel mir nichts Passendes ein.
Am liebsten hätte ich sie direkt nach den Vorgängen in jener Nacht befragt, hätte ihr meine Einschätzung wiedergegeben und versucht, Klarheit in die Sache zu bringen. Doch das wäre die Aufgabe eines Detektivs gewesen, ich war aber als Bestatter da.

Jetzt wegen der Beisetzung anzufangen, das erschien mir aber auch wieder fast als zu banal.

„Sie sind wegen der Bestattung hier?“ begann Nathalie das Gespräch und ich war ganz froh darüber.

„Hm, ja“, sagte ich und wartete einfach.

„Meine Schwiegereltern haben schon alles herausgesucht?“

Ich nickte und als ich sah, daß sie gar nicht in meine Richtung sondern weiterhin durch die Scheiben ins Dunkel sah, sagte ich: „Ja, die haben alles ausgesucht, meinten aber, ich solle auch mit Ihnen sprechen, damit Ihre Wünsche auch Berücksichtigung finden.“

„Was soll ich da noch entscheiden?“ fragte sie und macht eine hilflose Handbewegung.

Ich hielt es nicht mehr aus. Dieses belanglose Geplänkel um die Bestattung, die doch eigentlich längst bestellt war… Es platzte förmlich aus mir heraus, als ich Nathalie einfach fragte:
„Was ist in der Nacht neulich eigentlich passiert?“

Nathalie fuhr herum und ich sah in ihren Augen, daß sie dieses Mal kein bißchen weggetreten oder weggespritzt war. „Geht Sie das etwas an?“ fragte sie spitz.

„Na ja, immerhin waren wir die Ersten die hier waren und immerhin mußten wir zur Polizei und zählen irgendwie ja auch zum Kreis der Verdächtigen. Da wird es ja wohl erlaubt sein, mal nachzufragen.“

„Fragen, Fragen, Fragen, alle haben nur Fragen. Ich will Ihnen mal eins sagen: Ich habe auf alle diese Fragen keine Antworten.“

„Ja aber Sie waren doch dabei!“

„Wo dabei?“

„Na, als Ihr Mann ums Leben kam.“

„Ich? Wer sagt das denn?“

„Na, immerhin standen Sie neben der blutenden Leiche als wir hier eintrafen. Und überhaupt: Warum haben Sie uns angerufen und nicht die Polizei?“

„Ich war durcheinander.“

„Sie waren durcheinander? Na schön, jetzt bin ich durcheinander und ich finde, ich habe das Recht, daß Sie ein wenig Licht in das Dunkel bringen.“

„Roland hat sich erschossen.“

„Ja, das erzählt mir jeder.“

„Dann wissen Sie es ja.“

„Ich weiß gar nichts. Ich weiß nur, daß Sie den Bestatter angerufen haben und nicht die Polizei oder einen Rettungswagen.“

„Ach, das hat doch nicht zu sagen“, sagte sie und setzte sich mir gegenüber auf einen der nicht gerade bequemen Stühle und legte ihre Beine übereinander, ließ den hinten herunter getretenen Sportschuh vom Fuß gleiten und spielte mit den Zehen an der Kante des Glastisches.
„Ich habe Sie angerufen, weil Ihre Nummer vorne auf dem Telefonbuch steht. Ich war vielleicht etwas kopflos in dieser Nacht. Eine Leiche, jemand ist tot, Bestatter… Ist das so ungewöhnlich?“

„Okay, okay, okay… Mag ja sein, daß man in der ersten Aufregung auf so eine Idee kommt; aber dann sind wir gekommen und was hätten wir jetzt tun sollen? Die Leiche mitnehmen, rasch beerdigen und es wird kein Wort mehr drüber verloren, oder was?“

„Keine Ahnung. Es ist für mich das erste Mal, daß sich mein Mann erschossen hat.“

„Da sind wir schon bei einem Punkt, der mich besonders interessiert! Ihr Mann hat sich also erschossen, angeblich mit einer Schrotflinte…“

„Ja?“

„Was ja? Ich meine, ich frage mich die ganze Zeit, wo diese Flinte eigentlich war! Da lag ihr Mann in einem Arbeiteroverall im Wohnzimmer, überall war Blut und eindeutig ist er dort ums Leben gekommen, aber ich habe nirgendwo ein Gewehr gesehen.“

„Das lag aber da!“

„Nee, da war kein Gewehr!“

„Ach, hören Sie doch auf! Da war eins!“

„Na, ich bin doch weder blöd noch blind und Sie mögen Recht haben, daß alles das einen Bestatter an und für sich nichts angeht, aber ich bin hier eben nicht nur der Bestatter, ich stecke mit drin in der Sache, weil ich vor der Polizei bei der Leiche war. Und deshalb ist es auch gar nichts Besonderes, daß ich mich nun für die Umstände interessiere, ich will das alles doch nur begreifen können.
Da war kein Gewehr!“

„Die Polizei hat es mitgenommen.“

„Wie? Die Polizei hat es mitgenommen? Wo kam das denn her?“

„Keine Ahnung, es muß ja da gewesen sein, sonst hätten die es nicht mitnehmen können.“

„Und wo soll das gewesen sein?“

„Neben der Tür im Wohnzimmer!“

„Ach, Ihr Mann hat sich den Kopf weggeschossen und dann ist er noch eben zur Tür gegangen und hat das Gewehr da an die Wand gelehnt und ist dann wieder zum Kamin zurückgegangen, um dort dann zu sterben?“

Nathalie verdrehte die Augen, so als ob sie einem störrischen, widerwilligen Kind zum hundertsten Mal erklären muß, wie das kleine Einmaleins geht: „Nein, das lag neben ihm und ich habe es aufgehoben und da hin gestellt. Dann habe ich Sie angerufen und gedacht, Sie als Bestatter wüßten schon, wen man dann alles verständigt und so.“

In diesem Moment wurde mir klar…, nein, das ist nicht wahr… schon viel früher war das so, aber in diesem Moment hatte ich die hundertprozentige Bestätigung, daß Nathalie log. Wenn die Polizei ein Gewehr gefunden und mitgenommen hatte, dann mußte Nathalie das Gewehr neben die Tür gestellt haben und zwar in einem Moment als wir es nicht mitbekommen haben.
Jedenfalls hatte dort kein Gewehr gestanden, als wir das Zimmer betreten hatten. Ich sagte doch bereits, das Zimmer war weiß und vornehmlich leer. Ein Gewehr wäre mir da sofort ins Auge gestochen wie ein Fremdkörper.
Es hatte in jener Nacht nur einen ganz kurzen Moment von vielleicht 20 oder 30 Sekunden gegeben, in dem wir Nathalie aus den Augen gelassen hatten. Als sie angeblich ohnmächtig geworden war und am Türrahmen heruntergerutscht war. Manni hatte sie auf die Seite gelegt, ich war zur Leiche gegangen und Manni war mir mit dem Handy in der Hand gefolgt.
Wie gesagt, da haben wir vielleicht eine halbe Minute Nathalie aus den Augen gelassen.
Ob danach ein Gewehr neben der Tür gestanden hat? Ich kann es nicht sagen.

„Warum unterhalte ich mich überhaupt mit Ihnen“ fragte Nathalie auf einmal und riß mich aus meinen Gedanken. Sie hatte auch den anderen Schuh abgestreift und ihre Zehen ineinander verschränkt.
Ich konnte gar nicht wegsehen und war unwillkürlich fasziniert von so viel Gelenkigkeit in den Zehen.
Ich kann mit meinen Zehen nur laufen…

„Weil Sie mich in diese komische Geschichte mit reingezogen haben und weil ich und mein Mitarbeiter wissen, daß da kein Gewehr war.“

Nathalie stand auf und ging zu einer hochglänzend lackierten Kirschbaumsäule, auf der ein Buddha im Lotussitz saß und mich angrinste. Sie drehte den Buddha etwas und die Vorderseite der Säule sprang auf. Hinter der Verblendung befand sich eine Bar, der sie zwei Gläser und eine Flasche Martini bianco entnahm. Mit ihrem Fuß drückte sie die Verblendung wieder zu und ohne mich zu fragen, schenkte sie auch mir ein Glas ein.
Ich trinke ja nix. Ich trinke nie was.
Außer wenn ich mit einer der schönsten Frauen der Welt spätabends in einem japanischen Wintergarten sitze und diese Frau für eine Mörderin halte.

Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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12 Jahre zuvor

Die heimtückische Mörderin wickelt Tom gleich um ihren kleinen Zeh, oh weh!

Bernd
12 Jahre zuvor

… und schon wieder Schluß

Mein Gott ist das spannend

simop
12 Jahre zuvor

*weiterhäng* Langsam werden meine Finger steif, hier an der Klippe…

Arno Nühm
12 Jahre zuvor

[quote]So im Schneidersitz auf Bastmatten zu sitzen, ist nämlich nicht mein Ding.[/quote]
Gaijin! Schneidersitz, pah.

Tzosch
12 Jahre zuvor

Detektiv? Da fällt mir „Cannon“ ein 😉

Helena
12 Jahre zuvor

ich vermute, du meist „Conan“ 😮
und diese Cliffhanger sind schrecklich! Graaah, ich hab bald keine Fingernägel mehr die ich abkauen kann! 😀

12 Jahre zuvor

@5,6
Beide Kommentare lassen interessante Rückschlüsse auf das Alter der Kommentatoren zu.

@tzosch Ja, Cannon bassd scho.

Nero Wolfe wär auch passend …

12 Jahre zuvor

Ich werd noch zum Klippenspringer bei diesen Geschichten, aber das weiss ja jeder hier…

Designierter Komposti
12 Jahre zuvor

Bei der Zeitung dienen solche Fortsetzungsteile der Leserbindung. Immer dann, wenn es besonders spannend wird, folgt die Fortsetzung am nächsten Tag. 😉

Macht aber Spaß. @TOM: Die Geschichte hier ist dir besonders gut gelungen.

Helena
12 Jahre zuvor

okay, das ist peinlich. 😀 Cannon war mir in der Tat kein Begriff…Aber mit Anfang 20 wird mir das hoffentlich vergeben 😀

12 Jahre zuvor

@helena
Doch, in dem Alter ist das verzeihlich.

Andererseits erinnert mich das an mein eigenes Alter.

*rollator ausparkt*

12 Jahre zuvor

Moah TOM…Das macht einen fertig..zuviel Spannung für meine Nerven. Aber das mit der Leserbindung stimmt auf jeden Fall..ich fühl mich auch gerade ganz arg gebunden, so als Leser..

Hottilie
12 Jahre zuvor

Ey, in der nächsten Folge trinkt er was, weil er vom Weib geblendet wird, dann fährt er zurück und kommt natürlich in eine Polizeikontrolle und darf pusten und danach ist er erst mal für drei Monate seinen Lappen los und so halbwegs aus dem Weg geräumt….

Helena
12 Jahre zuvor

@kall dann bin ich ja beruhigt. Und man ist immer nur so alt wie man sich fühlt!

Ich hab ja beim Öffnen der Säule mit einer Waffe gerechnet. 😮
Irgendwie kriegt Tom sicher noch gut Ärger…

Mona
12 Jahre zuvor

Ich kann mich leider nur wiederholen, es wird in jedem „Kapitel“ spannender.
War die „schöne“ Witwe die eiskalte Mörderin? Ich bin nach wie vor gespannt, wie es weiter geht.
LG Mona

Held in Ausbildung
12 Jahre zuvor

Tom, ich empfehle dir ein neues Buch. Geh doch unter die Romanschreiber!

kumi
12 Jahre zuvor

Als Freund deutscher Krimiliteratur hatte ich weniger »Cannon« im Kopp (obwohl das naheliegt) als mehr die Figur des massigen »Universaldilettanten«, Gourmets und Philosophen »Baltasar Matzbach« von Gisbert Haefs.

Muss man gelesen haben 🙂

hajo
12 Jahre zuvor

Martini Blanco, noch nicht einmal weder geschüttelt oder gerührt .. tztztztz! 😉

P.
12 Jahre zuvor

Ich habe grad eher bei dem Buddha zusammenzucken müssen .. macht der auch seltsame Wettervorhersagen?
Desweiteren: Buch fänd ich gut. Zum Krimi – schreiben hast du definitiv ebenfalls Talent!
Cliffhanger sind fies .. aber versprechen wenigstens eine Fortsetzung 🙂

Fatale
12 Jahre zuvor

Argh cliffhanger
Ist der Goldfisch eigentlich schon zu Ende geschrieben
So spannend immer

Astrid
12 Jahre zuvor

Hey….also wenn es nicht so oder so ähnlich passiert wäre, könnte man sagen: bisher gut geschriebener Kurzkrimi-Anfang 🙂 Sehr spannend geschrieben 🙂

mm.
12 Jahre zuvor

@19 P.: Neenee, der hat irgendwas mit Wassergetier zu tun… Angler oder so, heißt ja „Buddha bei die Fische“ 😉

der klebezettel
12 Jahre zuvor

Mh, mir kommt das mehr und mehr vor wie Toms Variante von Basic Instinct 🙂

Mat
12 Jahre zuvor

Die Fee füllt TOM ab und verführt ihn – um ihn danach erpressen zu können. So!

Mat

Mephistophelia
12 Jahre zuvor

Vermutlich war die Leiche gar nicht der Brockhagen, sondern der Gärtner, und der Richtige hat sich wegen Steuerschulden ins Ausland abgesetzt und sein Frauchen muß jetzt zu Hause seinen Tod vortäuschen…

aucheiner
12 Jahre zuvor

*nochmal auf den Kalender blick*…. Jep… ein Tag vergangen….kein Teil 7 *in die Tischkante beiss vor Aufregung*




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