Geschichten

Die Fee der Nacht -5-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Mimi Brockhagen, die Mutter des Getöteten, war eine optische Täuschung.
Eine kleine, zierliche Frau mit einem mütterlichen Gesicht und Hängebäckchen. Ihre leise, sanfte Stimme stand in krassem Widerspruch zu dem etwas jovial, lauten Tonfall ihres Gatten.
Aber das täuschte. Sehr schnell merkte ich, wer da die Hosen anhatte und Mimi Brockhagen hatte so eine Art, einen Satz nur halb zu beenden, dann eine Pause zu machen, die Lippen zu einem spitzen Mund zu formen und dann: „Nicht wahr, Dieter?“ zu sagen, woraufhin der eben noch bestimmende und fordernde Herr Minister a.D. sofort drei Gänge zurückschaltete, jedes Mal seine Hand auf ihre legte und wie ein folgsamer Schüler: „Aber sicher doch, Mimi, Du hast Recht“ sagte.

Ich habe da ein sehr gutes Gespür für solche Situationen und kenne das recht gut. Da hat er zwar eigentlich das Sagen, aber es ist mal etwas vorgefallen und sie hat ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und klar gestellt, daß er es künftig entweder so macht, wie sie es will, oder es passiert…
Tja, was dann passiert und womit Frauen manchmal ihre Männer so im Griff haben, das kann höchst unterschiedlich sein. Aber bei den Brockhagens war das eindeutig so.

Werbung

Vielleicht war sie ja diejenige, die das Geld hatte?
Ich weiß es bis heute nicht, wichtig für den Fortgang der Geschichte ist es aber auch nur, zu wissen, daß sie eben der Ansager und Bestimmer war.

Ganz kleine Beerdigung, schlichter aber sehr hochwertiger Sarg, oben drauf üppig Blumen, sonst keine Kränze oder Gestecke. Es kämen wirklich nur die allerengsten Verwandten und die wichtigsten Freunde, so mit etwa hundert Leuten müsse man rechnen.
Nun ja, das ist dann doch keine wirklich kleine Beerdigung.
Der Pastor solle nur den zeremoniellen Teil übernehmen, die Traueransprache halte ein Onkel, der so etwas besonders gut könne.
Am Ende standen wenig Artikel auf meinem Bestellzettel, aber die Summe war erstaunlich hoch, fast 10.000 Euro. Das kam daher, weil das Ehepaar Brockhagen gleich auch das Grab und einen einfachen Stein mit ausgesucht hatte, sie wollen erklärtermaßen nicht zig Mal losgehen, sondern alles in einem abwickeln.
Kann ich auch verstehen.

„Ja“, wandte ich ein: „was ist denn mit der Witwe? Will die nicht auch noch ein paar Wünsche äußern?“

„Ach Gott, Nathalie!“ rief Frau Brockhagen und sah ihren Mann entsetzt an: „Die haben wir ja ganz vergessen!“

Herr Brockhagen holte ein Lederetui aus der Tuchtasche seines Anzugs, klappte es auf und bot mir eine Zigarre an, die ich aber ablehnte. Aus der Schublade holte ich einen Aschenbecher und stellte ihm den hin, was er mit einem dankbaren kurzen Heben der Augenbrauen quittierte, während er die Zigarre schon anpaffte.
„“Mann, Mann“, sagte er dann: „Mit Nathalie, das ist so eine Sache, wie soll ich Ihnen das sagen, die ist da oben…“ Er machte gerade mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine kreisende Bewegung an seiner Schläfe, als Frau Brockhagen ihn unterbrach: „Was mein Mann sagen will, das ist Folgendes: Meine Schwiegertochter hat da so ein mentales Problem. Sie verstehen? Die ist in Behandlung.“

„Aber selbstverständlich“, mischte er sich nun wieder ein: „kann meine Schwiegertochter auch ihre Wünsche äußern. Wir können sie ja nicht einfach übergehen, nein, nein, das geht auch nicht. Das Beste wird es sein, Sie fahren mal zu ihr hin, die ist jetzt wieder zu Hause. Also, wenn sie nicht vom Großen und Ganzen abweicht, kann sie meinetwegen alles auch noch umbestellen, die Rechnung schicken Sie aber mir.“

Man müsse jetzt auch dann gleich zum Pastor fahren, so ein Suizid bedürfe ja ausführlicher Gespräche mit dem Geistlichen, das sei ja etwas ganz Schreckliches.

Ich bin ja nicht neugierig, ich will bloß immer alles wissen, und deshalb konnte ich nicht umhin und stellte einfach die Frage aller Fragen: „Warum hat sich denn Ihr Sohn, Ihrer Meinung nach, das Leben genommen?“

Frau Brockhagen weinte in ein kleines Spitzentaschentuch und er paffte nervös die Zigarre heiß.
Nach unendlich scheinenden Sekunden begann er dann: „Ja, das ist auch so eine Geschichte… “

„Dieter!“ unterbrach ihn seine Frau und sofort verstummte er und paffte nur noch stumme, Rauchwolken in die Luft.

„Das ist sehr privat, müssen Sie wissen“, sagte Frau Brockhagen und auf einmal hatte sie es sehr eilig.

Eine komische Sache, das alles.

Ich hatte mir eingebildet, ich könne jetzt einfach zu der Villa fahren und träfe dort auf Nathalie, die dann auch mal einen Blick in unseren Katalog wirft und als trauernde Witwe die eine oder andere persönliche Entscheidung bezüglich der Trauerfeierlichkeiten treffen würde.

Sandy wollte mich unbedingt zu Nathalie begleiten und ich hatte nichts dagegen.
Die Amerikanerin plapperte die ganze Zeit ganz aufgeregt und erörterte alle Aspekte des für sie sehr aufregenden Kriminalfalls. Man kann sich ja vorstellen, daß jedes auch noch so kleine Detail inzwischen hundertfach von meinen Mitarbeitern durchgesprochen worden war.

Ich unterbrach den Redefluss der Langbeinigen und stellte klar, daß es das Beste sei, Sandy würde ausnahmsweise mal weitestgehend die Klappe halten, wenn wir bei Nathalie einträfen.

Doch es kam anders.
Als wir geklingelt und das Tor passiert hatten, kam uns oben auf der Treppe eine in Schwarz gekleidete ältere Frau entgegen, die den Charme einer Knastaufseherin verbreitete und uns mit versteinertem Gesicht auf der Treppe abfertigen wollte.
Sie sei Frau von der Tratow und seit Jahren in Diensten der Familie Brockhagen und ihr obliege es nun, sich um die junge Witwe zu kümmern.
Alles was zu besprechen sei, solle man doch bitte mit dem alten Brockhagen besprechen oder notfalls auch mit ihr. Zu Nathalie, das sagte sie mit absoluter Entschiedenheit, würde man uns keineswegs vorlassen, die arme Frau sei ja so von allem mitgenommen, daß unser Ansinnen, jetzt merkantilen Handel mit ihr zu treiben, eine Zumutung sei.

„Moment mal! Wir sind doch kleine fliegenden Händler, die jetzt in dieser sicher für die Witwe schwierigen Situation Teppiche oder Plastikdosen verkaufen wollen, sondern wir sind gekommen, um mit ihr über die ganz persönlichen Wünsche bezüglich der Trauerfeierlichkeiten zu sprechen.“

„Das können Sie nennen, wie Sie wollen, hier kommen Sie auf jeden Fall nicht rein.“

„Ich würde es aber bevorzugen, wenn die junge Frau Brockhagen wenigstens eine kurze Minute Zeit hätte, um mich anzuhören. Dann kann sie selbst entscheiden, ob sie mit uns sprechen mag oder nicht.“

„Sie mag nicht.“

„Ach? Und das kann sie mir nicht selbst sagen?“

„Nein.“

„Ich möchte es aber von ihr selbst hören.“

„Sagen Sie mal, wollen Sie renitent sein?“

„Ich bin renitent!“

„So was Unverschämtes ist mir ja noch nie untergekommen“, protestierte die Knöchrige und wollte sich abwenden.

„Sie können da jetzt reingehen und meinetwegen auch die Tür zu machen. Ich bleibe einfach hier stehen. Ich geh auch nicht weg. Nicht bevor ich nicht wenigstens eine Minute mit Frau Brockhagen gesprochen habe.“

„Sie können hier stehen bleiben, so lange Sie wolle, ist mir doch egal.“

„Wenn Sie darauf spekulieren, daß ich hier verhungere oder so, dann täuschen Sie sich. Schauen Sie mich an, bis ich verhungert bin, das dauert Monate!“

„Also, so was Freches!“

Sandy hatte Schwierigkeiten, ein Lachen zu unterdrücken und das brachte die Alte völlig aus dem Konzept: „Jetzt lacht mich das junge Ding da auch noch aus, eine Frechheit, eine Unverschämtheit. Ich rufe jetzt die Polizei!“

Päng, die Tür war zu.

Sandy und ich schauten uns an, ich hob ratlos die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken.

„Und nu‘, Chef?“

„Nun? Jetzt bleib‘ ich hier stehen.“

„Nee, jetzt, oder?“

„Doch. Die hat nämlich nur ’ne große Klappe. Ich wette, daß Nathalie weder weiß, daß wir da sind, noch daß die Frau ihr das sagen wird. Ich bezweife auch, daß sie die Polizei rufen wird. Die ganze Sache ist doch so krumm und schief, da stimmt’s doch hinten und vorne nicht. DIE rufen nicht die Polizei, da bin ich mir ganz sicher.“

Ich sollte Recht behalten, es dauerte keine zehn Minuten, da öffnete Frau von der Tratow wieder die Tür, blieb neben der geöffneten Tür stehen und sagte mit einem Gesicht, das Blitze vom Himmel anziehen konnte: „Bitte sehr!“ Dabei trat sie einen Schitt zurück, was eindeutig eine Aufforderung zum Betreten des Hauses war.

Wir warteten im Wohnzimmer und nicht, aber auch gar nichts deutete darauf hin, daß dort vor gar nicht vielen Stunden noch Blut oder gar eine Leiche gewesen ist.
Es roch nach frischer Farbe und sogar der helle Teppichboden schien mir neu verlegt zu sein.
Da war aber jemand sehr schnell und sehr gründlich gewesen.

Ein paar Minuten später sah ich Nathalie die Treppe herunter kommen, sie ging langsam und vorsichtig und schon von weitem sah ich, daß sie wie in Trance war. Sie trug ein knielanges schwarzes Kleid und dunkle Strümpfe, sowie schwarze Pumps.
„Ja, bitte?“ sprach sie mich an und nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, daß sie mich wieder erkannte.
„Ja, äh, ich bin’s“, stammelte ich unbeholfen und wieder einmal merkte ich, daß die Nähe dieser außergewöhnlich schönen Frau mich schüchtern und verlegen machte.

„Bitte kommen Sie zur Sache!“ forderte Frau von der Tratow, die hinter Nathalie stand und mit zusammengekniffenen Augen aufpasste.

„Ja, ich bin der Bestatter, der neulich nachts hier gewesen ist. Erinnern Sie sich nicht? Sie hatten uns angerufen.“

„Angerufen? Ja, ich habe angerufen? Ein Bestatter?“

„Ja, wegen Ihres Mannes, wegen Roland.“

„Roland? Der ist weg.“

„Ja, ich weiß. Wir sind hier, um mit Ihnen über die Beerdigung zu sprechen.“

„Ich will in mein Zimmer.“

Frau von der Tratow schob Nathalie beiseite und drückte sie in Richtung Treppe. „Sie sehen doch, Frau Brockhagen kann jetzt nicht. Gehen Sie!“

Sandy und ich schauten uns an und wir waren ziemlich ratlos. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Ich hatte erwartet, daß Nathalie mich wieder erkannte und dann Frau von der Tratow einen strengen Blick zugeworfen hätte und wir dann wenigstens kurz einmal alles durchgesprochen hätten.

Aber die junge Frau war ja vollkommen verblitzt, der hatte man was gespritzt oder eingeflösst, was sie wie eine Marionette wirken ließ.

Ich nickte Sandy zu und wir gingen.

„Chef“, sagte Sandy im Auto zu mir: „Das ist ja ’ne ganz komische Kiste, oder? Sie haben doch gesagt, der habe erschossen im Wohnzimmer gelegen und die Frau hat dann bei uns angerufen. Dann kommt die Polizei und es heißt auf einmal der habe sich selbst erschossen und Sie sagen, da sei aber gar kein Gewehr gewesen.
Hat die dann ihren Mann erschossen? Was soll das alles?“

„Sandy, wenn ich das wüßte… wenn ich das wüßte…“

Am selben Abend sollte ich es aber noch erfahren.
Es war schon 21 Uhr als das Telefon klingelte: „Hier ist Nathalie Brockhagen, mir geht es jetzt besser. Wollen Sie noch vorbei kommen?“

Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Keine Schlagwörter vorhanden

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 13 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

Lesen Sie doch auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
17 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
tree57
12 Jahre zuvor

Spätestens nach Folge 10 hänge ich Tom neben Herrn Cliff auf !

Garfield
12 Jahre zuvor

Die Spannung steigt..

Zero the Hero
12 Jahre zuvor

tree57, nicht bevor er den Goldfisch und Günther fertiggestellt hat.

12 Jahre zuvor

TOM, machst du jetzt in Klippen en gros?

Mona
12 Jahre zuvor

Das wird ja immer spannender!
Lieber Tom, ich kann mir gut vorstellen, dass Du sehr viel zu tun hast, aber lass „uns“ bitte nicht zu lange auf die Fortsetzung warten 🙂
Liebe Grüße,
Mona

simop
12 Jahre zuvor

Jetzt ist mir klar, warum dauernd irgendwelche Klippen abrutschen … so dicht an dicht Toms Leser dran hängen – das hält der stärkste Felsen nicht aus!

12 Jahre zuvor

@ Zero the Hero:

„Birrgit“ hat auch ein offenes Ende. 😉

Ich glaub, bis TOM alle seine Geschichten erzählt hat haben wir alle graue Bärte und den Führerschein für den Rollator… 🙂

Bernd
12 Jahre zuvor

Oh neee, eine Geschichte wie in alten Zeiten.

12 Jahre zuvor

Vielleicht erhängt der gute Cliff sich demnächst selbst, weil er die Spannung nicht mehr aushält? Und dann prasselt die ganze Geschichte in einem gut abgehangenen, saftigen Stück auf einmal auf uns nieder!

Will weiterlesen.
Bakenfalter, ungeduldixt

Winnie
12 Jahre zuvor

Also ne, wenn es demnächst eine neue Geschichte gibt, dann mache ICH mal Pause und zwar so lange bis ALLE Teile vollständig sind.
Meine Nerven reißen bald.

12 Jahre zuvor

es bleibt spannend

Henning
12 Jahre zuvor

Jetzt noch ein klein wenig mehr Ausschmücken und der neue Krimi von Tom kommt in den Handel…

Öschi
12 Jahre zuvor

Früher also vor Jahrzehnten habe ich beim Westernlesen immer wenn es ganz ganz spannend und wenn es für den Hauptakteur mal wieder ganz eng wurde, dann habe ich vorweg gleich mal die letzte Seite gelesen – war so. (haben andere auch getan)..
btw Tom könntest du nicht mal vorab den letzten Absatz reinstellen und das dazwischen liegende Stück dann so step by step nach cliffhängern – also mir wäre damit schon geholfen.
noch was:
Frauen, die die Hosen anhaben, brauchen sich nicht wundern, wenn sich der Mann nach einem anderen Rock umsieht.

12 Jahre zuvor

Diese Spannung macht einen völlig fertig. Meine Nerven..

12 Jahre zuvor

Also, ich mach jetrzt mal Pause …
… vom Bestatterweblog

Und hoffe, dass ich dann in einem halben Jahr oder so die Geschichte am Stück zuende lesen kann.

Und grüßt mir den Herrn Cliff, sagt ihm er muss jetzt tapfer sein ….

Vielleicht, ich meine, es könnte ja sein, dass jemand weiter täglich mitliest. Dann wäre es evtl. möglich, also wg. meiner Nerven, ich bin ja schon älter. Eine kleine Mail, wenn die Story fertig ist?

Held in Ausbildung
12 Jahre zuvor

Kippe raus, jetzt gehts spannend weiter…

hajo
12 Jahre zuvor

btw. lieber Tom „Ich habe da ein sehr gutes Gespür für solche Situationen und kenne das recht gut. “
erlaubst Du, dass ich (selbstverständlich äusserst diskret) grinse? 😉




Rechtliches


17
0
Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex