Geschichten

Die Fee der Nacht -7-

So ein Martini Bianco, eigentlich noch lieber Cinzano, damit kann man mich locken. Ich sagte nichts, machte nur irgendein Geräusch und hob das Glas um der schönen Frau zuzuprosten. Sie achtete gar nicht darauf und trank einfach in schnellen und kurzen Schlucken, während sie auf ihre Füße starrte, die wieder dieses Umklammerungsspiel spielten.
Dabei rutschte das Hosenbein ihrer Jogginghose ein bißchen nach oben und ich konnte ihre Fesseln betrachten. Nein, ich bin kein Fußfetischist, aber bei uns Männern ist das so, daß wenn eine schöne Frau ein bißchen von ihrem Körper zeigt, wir automatisch hinschauen müssen.
Das ist archetypisches Steinzeitverhalten, das einfach in uns drinsteckt, da können wir nichts dafür.

Und da fiel mir etwas auf, was ich schon an einem ihrer Handgelenke gesehen hatte…

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…die Frau hatte dunkle Stellen. Wie soll ich das beschreiben? Es sah so aus, als hätte sie ein Armband oder ein Fußkettchen aus Silber getragen und dieses Silber hätte schwarz abgefärbt.

Verstohlen betrachtete ich die Frau, die schweigend an ihrem Glas nippte und gedankenverloren auf einen Punkt neben mir starrte.
Sie war vielleicht Mitte Zwanzig und ungefähr Einsziebzig groß. Ihre blonden Haare waren gelockt und etwas mehr als schulterlang. Die kleine Nase war scharf geschnitten und setzte einen schönen Kontrast zu den etwas kräftigen roten Lippen, die immer wirkten, als ob sie gleich einen Schmollmund machen wollte. Wenn sie sprach, zeigten sich auf ihren Wangen kleine Grübchen und ihre Nasenspitze bewegte sich bei manchen Mundbewegungen ganz leicht mit.
Die Haut der jungen Frau war weiß wie Elfenbein und es war nicht der geringste Makel zu entdecken. Kein Fältchen, kein Muttermal, kein Äderchen. Ihre Augenbrauen waren vielleicht für eine Frau etwas kräftig, aber sie passten gut zu den fast grasgrünen Augen und ich hatte die ganze Zeit überlegt, ob ich jemals zuvor einen Menschen mit so grünen Augen gesehen hatte und ob das vielleicht nur gefärbte Kontaktlinsen waren.

Nathalie bemerkte, daß ich sie beobachtete und wandte ihren Blick auf mich.
Noch einmal nippte sie an ihrem Glas, dann stellte sie es auf das Tischchen und sagte: „Sie haben Recht. Ich habe Sie da unbedacht in was hineingezogen.“

Aha, dachte ich, jetzt sieht sie es ein und jetzt kommt etwas Bedeutendes.
Doch ich hatte mich getäuscht. Sie stand urplötzlich auf.
„Gut, es gibt ja nun nichts weiter zu besprechen. Sie sind wegen der Bestattung gekommen, da ist ja aber alles schon geklärt. Machen Sie alles so, wie es mit meinen Schwiegereltern abgesprochen ist.“

„Ja, wie jetzt? Äh…“ sagte ich.

„Haben Sie noch Fragen?“

„Ja, viele!“

„Es ist alles besprochen“, sagte sie und das mit einer entschiedenen Bestimmtheit.

„Nee, nee, so geht das nicht“, sagte ich. „Ich war heute schon mal da und da hat mich Ihre Gouvernante nicht zu Ihnen gelassen; und dann rufen Sie mich am Abend an und bestellen mich hierher. Da können Sie mich doch jetzt nicht mit einem Glas hier abspeisen und einfach wegschicken.“

Nathalie war neben mich getreten, so nah, daß ich ihre Wärme spüren konnte und das leicht fruchtige Parfüm noch intensiver riechen konnte. Ich war mittlerweile etwas ungeübt im Umgang mit jungen Frauen, mein Metier waren eher die ganz alten Damen und -man möge mir das verzeihen- die vor allem auch noch, wenn sie tot waren.
Aber die hier war alles anderes als alt und auch in keinster Weise tot, sondern sehr lebendig und ich wußte mir in meiner Hilfslosigkeit nur zu helfen, indem ich auch aufstand, was mich sie dann um Haupteslänge überragen ließ und verhinderte, daß ich weiter auf das Sweatshirt starrte, wo sich deutlich das abzeichnete, was in jüngeren Jahren den Pavian in mir geweckt hätte.

Die Frau ergriff meine rechte Hand, die ich spontan wie zum Abschied hinhielt, mit beiden Händen und hielt sie beschirmend und behutsam: „Sie haben das Gewehr doch gesehen, nicht wahr?“

Ich blickte sekundenlang in diese unendlich grünen Augen, die immer von einem ganz dünnen Film Tränen bedeckt zu sein schienen, drehte meine Hand etwas und ergriff ihre Rechte, drückte sie und sagte: „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe, es ist spät geworden.“

„Sagen Sie es mir! Sagen Sie mir, daß Sie das Gewehr auch gesehen haben!“ sagte sie und ihre Stimme klang kein bißchen flehend, sondern eher sanft fordernd.

Ich drückte ihre Hand nochmals und zog dann meine Hand zurück.
Nathalie begleitete mich noch zur Tür, öffnete diese aber nur halb und schob sich mir in den Weg.
„Bitte!“ sagte sie.

Seufzend sagte ich: „Ich fahre jetzt. Vielleicht wollen Sie mir ja irgendwann erzählen, was wirklich passiert ist, dann kann ich ja nochmal über das Gewehr nachdenken.“

Der Regen hatte zugenommen und ich bereute es, keinen Schirm mitgenommen zu haben, als ich den Weg vom Haus zu meinem Auto hinunter lief. Ich habe ein paar Regenschirme, so einen eleganten Herrenstockschirm und einige kleine Klappdinger. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen davon benutzt zu haben. Ich knöpfe auch keine Jacken oder Mäntel zu und ich setze auch keine Kopfbedeckungen auf. Die Kopfbedeckungen, die mir gefallen, das sind Baseballkappen und Cowboyhüte, passen nicht zu meiner übrigen Erscheinung und meinem Beruf.

Der Regen kraulte sich unangenehm zwischen Hemdkragen und Hals, ein Gefühl das mich erschauen und mich meinen Schritt beschleunigen ließ. Noch zehn Meter vom Auto entfernt, zückte ich schon den Türknipser, wie ich immer zu sagen pflegte und mit einem leisen Piep und dem Blinken der Fahrzeuglampen signalisierte mein Wagen, daß die Türen geöffnet waren.
Als ich um den Wagen herumging um auf die Fahrerseite zu gelangen fiel mir zum ersten Mal der graue Audi auf, der etwa 50 Meter entfernt parkte. Ich sagte doch, in der Gegend parkten keine Autos am Straßenrand. Ich war mir nicht sicher, aber für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich hinterm Steuer die Glut einer Zigarette aufleuchten zu sehen.

Dem maß ich aber keine weitere Bedeutung zu, es war mir aufgefallen, aber kaum war ich losgefahren und hatte das Autoradio eingeschaltet, hatte ich den Audi auch schon wieder vergessen.

Die Zeit bei Nathalie war mir unendlich lang vorgekommen, aber als ich auf das Display der Borduhr schaute, sah ich, daß ich insgesamt nur eine knappe Stunde bei ihr gewesen war.
Mir ging vieles durch den Kopf, ihr Duft, ihr Aussehen und ihre plötzliche Nähe.
Okay, ich war ja nicht innerlich tot oder vom Bauchnabel abwärts gelähmt, nein, so war das ja nicht.
Aber mit den Jahren wird man etwas gelassener und nicht jede 17- oder 20-jährige weckt in einem den unbändigen Drang zur Paarungsbereitschaft. Mit den bei Männern immer vorhandenen Triebwünschen vermischen sich, so ist das zumindest bei mir, auch so Gedanken wie: Ob die Kleene mir meine Socken waschen würde?
Nein, zu Hause wartete meine Frau auf mich, eine Frau, die seit so vielen Jahren mit mir durch dick und dünn gegangen war, mit der ich unsere Kinder großgezogen und meine Existenz aufgebaut hatte, die mir -bei allen Ecken und Kanten, die sie hat und die ich habe- immer als verlässliche Partnerin zur Seite gestanden hat; das wiegt mehr als die Lust auf irgendetwas Neues, Anderes oder Spannendes.
So ganz ungeübt im Umgang mit flirtenden jungen Frauen war ich ja nun auch wieder nicht. Sandy war ja sozusagen dauergeil und konnte sich überhaupt nichts Besseres vorstellen, als mich eines Tages zu heiraten und später dann meinen Betrieb zu übernehmen, den sie als den idealen Betrieb überhaupt empfand.
Das hatte sie mir so gesagt, deutlich gesagt und auch immer wieder gesagt, aber ich hatte immer allen Versuchungen widerstanden und es genossen, so eine junge und hübsche Frau an meiner Seite zu wissen, wenn wir mal geschäftlich gemeinsam wohin mußten.
Mir schmeichelte ihr Interesse, das sich erklärtermaßen, nicht nur und auch nicht in erster Linie auf meine Firma bezog, auch wenn das für einen Außenstehenden vielleicht so klingen und wirken mußte.
Aber mal ehrlich, sollte ich mir den Streß mit einer Mittzwanzigerin nochmals antun? Um Himmels Willen!

Die Straßen waren menschenleer, die Lichter spiegelten sich in den Pfützen und an einer verlassenen Kreuzung mußte ich bei Rot halten. Fast schon war ich versucht, einfach weiter zu fahren, da sah ich hinter mir die Scheinwerfer eines anderen Autos auftauchen und ließ von meinem verboteten Tun ab.
Der andere Wagen hielt Abstand und kam nur sehr langsam näher.
Aha, dachte ich, wieder so ein Rentner, der nicht im ersten Gang anfahren will und deshalb im zweiten Gang auf die Ampel zuschleicht…
Doch dann sah ich, daß es wieder dieser graue Audi war.

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(©si)