Geschichten

Die Fee der Nacht -8-

In meinem Kopf kreisten die Gedanken durcheinander. Ich kam zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht auf die Idee, ich könne verfolgt werden, zumindest nicht in Sachen Nathalie. Soll ich sagen, an was ich dann gedacht hatte, als ich kapiert hatte, daß dieser graue Audi hinter mir her fuhr?
Ich dachte: „Na prima, da hast Du einmal ein Glas getrunken und schon kommt die Zivilstreife.“

Die Ampel sprang auf Grün und ich gab Gas, der Audi beschleunigte und fuhr an mir vorbei, zog mit einer wassersprühenden Fontäne vor mir weg und war rasch aus meinem Blick verschwunden.

Ich versuchte, die ganze Geschichte noch einmal für mich aufzudröseln. Nacht, Anruf, Nathalie, die Leiche, Nathalies Ohnmacht, Polizei. Und dann bekommen wir auch noch den Auftrag, genau diese Leiche zu überführen und zu bestatten.

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Langsam bog ich in unsere Straße ein, ich wollte durch das Motorengeräusch niemanden wecken. Ich fuhr auch den Wagen nicht in die Tiefgarage unter unserem Haus, sondern ließ ihn auf dem Hof stehen.

Nachdenklich ging ich zum Vordereingang. Diesen Weg hatte ich gewählt, obwohl ich auch hinten hätte reingehen können, weil ich das Rolltor zum Hof leise zuschieben wollte.

Als ich um die Ecke bog, sah ich vor unserem Haus auf der anderen Straßenseite wieder diesen grauen Audi und jetzt konnte ich auch erkennen, daß der diese typische, etwas zu lange zusätzliche Antenne eines Behördenwagens hatte. Aha, die Polizei!
Jetzt würden also gleich zwei Beamte aussteigen und mich in so einen Apparat blasen lassen…

Doch es kam anders.
Neben den Säulen, die das kleine Vordach vor unserer Eingangstür trugen, flammte ein Feuerzeug auf und jemand steckte sich eine Zigarette an. Kurz konnte ich im Schein der Flamme das Gesicht eines etwa 50-jährigen Mannes erkennen.

Ich beeilte mich nicht, näher hin zu gehen und im schwachen Lichtschein, der aus dem Inneren des Hauses durch die Buntglasfenster in unserer Eingangstür fiel, war auch nicht sehr viel zu erkennen.
Er trug Zivil, lehnte ganz entspannt an einer der Säulen und rauchte. Es sah aus, als ob er grinste.

„N’Abend“, sagte ich und er schnippt die Asche von der Zigarette und nickte mit dem Kopf in Richtung Tür: „Ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten.“

Während ich aufschloss fragte ich: „Und wer will sich da mit mir unterhalten?“
Doch der Mann gab keine Antwort und lief mir einfach hinterher. Ich ging aber nur bis zur Sitzgarnitur in der Halle und ohne auf eine Einladung von mir zu warten, setzte er sich in einen der großen, bequemen Ledersessel.

„Ich bin Petermann, Kommissar Klaus Petermann.“

„Das ist sehr schön. Ein schöner Name, ein schöner Beruf.“

„Ich lache später. Wir können das jetzt hier auf die lustige Tour machen, dann dauert’s ewig, wir können auch gerne auf’s Präsidium fahren, dann wird’s unangenehm oder aber wir unterhalten uns mal wie zwei vernünftige Menschen.“

„Kaffee?“

„Schwarz, bitte.“

Eine Viertelstunde später saßen wir bei heißem, schwarzen Kaffee zusammen und schwiegen.
Der Kommissar schien auch keine Eile zu haben und so nutzte ich die Gelegenheit, ihn näher anzuschauen.
Groß war er, vielleicht gut Einsachtzig, breite Schultern, ganz leichter Bauchansatz. Sein Gesicht war eher durchschnittlich, aber das kantige Kinn gab ihm etwas Kontur.
Der Dreitagebart war angegraut und sein Kopfhaar war auf vielleicht 4 mm gestutzt.
Er trug eine lange schwarze Lederjacke, die schon bessere Zeiten gesehen hatte und eine braune Cordhose, sowie etwas breite Bequemschuhe mit dicken, weichen Gummisohlen.
Der Mann strahlte Überlegenheit, Ruhe und eine gewisse Form von Abgeklärtheit aus. Es war so, als ob alles an ihm sagte: „Ich habe alles, aber auch wirklich alles auf dieser Welt schon gesehen. Mir ist nichts fremd und mir macht keiner was vor.“

Petermann war nicht nur Kommnissar, sondern um es ganz genau zu sagen sogar Kriminalhauptkommissar. Auf dieser Stelle drückte er sich jetzt schon einige Jahre herum und zog lieber den Kopf zwischen die Schultern, wenn es um eine der wenigen Beförderungen ging, die aus Geldknappheit immer seltener ausgesprochen wurden.
Er hatte keine Lust Erster Kriminalhauptkommissar zu werden, weil er befürchtete, dann nicht mehr auf die Straße zu kommen.
Ihm ging es nicht darum, unter Menschen zu sein. Nein, Menschen an sich mochte er eigentlich nicht, er war sich selbst genug und hatte auch mit sich selbst genug zu tun.
Aber tagein tagaus in einem Büro Verwaltungs- und Personalsachen zu bearbeiten, das war auf jeden Fall nicht sein Ding.
Im Präsidium hatte er als Einziger noch kein modernisiertes Büro, irgendwie hatte er es immer geschafft, sich an dem ganzen Aluminium und der Verkabelung vorbei zu drücken und seine Kollegen scherzten, Petermann hätte statt eines Handys eine Morsetaste in der Tasche.
An seiner Tür stand schlicht: KHK Petermann, Abt. Leib und Leben.
Diese Abteilung gab es weiter vorne auf der Etage noch einmal, besetzt mit vielen jungen und fähigen Beamten, die anhand von Täterprofilen, DNA-Abgleichen und Computerraster-Datenbankdurchläufen und natürlich durch die übrigen klassischen Methoden der Polizeiarbeit ganz hervorragende Arbeit leisteten.
Aber Petermann hatte sich da irgendwann seine Nische geschaffen, am Ende des Ganges, in einem altmodischen Büro mit Schränken aus den 50er Jahren und einem durchgestrichenen Nichtraucherschild an der Tür. Soweit man wußte, war Petermanns Büro das einzige im ganzen Gebäude, in dem geraucht wurde.
Aber Petermanns Büro war auch das Büro, in dem genau die Fälle zum Abschluss kamen, die vorne in der modernen Abteilung ohne Ergebnis als „ausermittelt“ galten.
Und ab und zu, ganz selten, schnappte sich Petermann auch mal einen der laufenden Fälle und begann seine Ermittlungen.
Wenn das so war, dann gab es immer zwei Möglichkeiten. Entweder waren die Kollegen froh, daß er ihnen eine Akte wegnahm und sie so einen Fall weniger zu bearbeiten hatten, oder aber man trat in eine Art Wettstreit und es ging dann darum, wer schneller die besseren Ergebnisse erzielte.

Dieses Mal war das aber anders gewesen.
Petermann wurde das Gefühl nicht los, daß man es gar nicht gerne sah, daß er sich in diesen Fall einmischte. Der Staatsanwalt hatte persönlich bei Kriminaloberrat Klotzhaug angerufen und versucht, Petermann zurück zu pfeifen.
Aber Klotzhaug war schon so weit weg von der aktiven Ermittlungsarbeit und jenseits von dem, was man Einblick und Verstehen nennt, daß Petermann leichtes Spiel hatte, seinen Vorgesetzten um den Finger zu wickeln.
„Der Petermann hat Narrenfreiheit“, hatten die Kollegen morgens bei der Besprechung gesagt und er hatte nur müde gegrinst.

Dieser Fall der jungen Nathalie Brockhagen interessierte ihn.
Und wenn Kriminalhauptkommissar Klaus Petermann sich für einen Fall interessierte, dann hatte er so ein merkwürdiges kribbelndes Gefühl entlang der Wirbelsäule und wenn Petermann dieses Gefühl hatte, dann fand er nicht eher Ruhe, bis er den Täter gefunden hatte – oder die Täterin.

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