Menschen

Die Josefsehe

Wenn man hier im Bestatterweblog die Geschichten über die Pfarrer liest, dann könnte man den Eindruck gewinnen, es handele sich bei den Angehörigen dieser Berufsgruppe um eine Horde seniler und dementer Nichtskönner. Das ist natürlich völlig falsch, denn die allermeisten Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten vorbildlich, fleißig und sind den Angehörigen wirklich eine Hilfe.

Aber nichtsdestotrotz ist es so, daß viele Pfarrer heute vier oder fünf Gemeinden in einer Seelsorgeeinheit betreuen müssen und sie für eine ausführliche Trauerarbeit keine Zeit mehr haben.
Da beschränkt sich dann das Gespräch mit den Angehörigen auf eine kurze Stippvisite.
Trotzdem staune ich immer wieder, wenn ich höre, daß sich ein Pfarrer, trotz aller zeitlicher Anspannung, für die Trauernden so richtig viel Zeit genommen hat.

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Pfarrer Busch nimmt sich auch immer richtig viel Zeit, er kennt alle Leute in dieser Gemeinde von Kindesbeinen an, kennt alle Verwandtschaftsverhältnisse und weiß auch, was jeder einzelne in seinem ganzen Leben gemacht hat.
Dabei gibt es nur ein einziges, klitzekleines Problemchen, das es eigentlich fast nicht wert ist, erwähnt zu werden: Pfarrer Busch ist in seinem Leben mehrmals versetzt worden und hat aufgrund seiner altersbedingten inneren Gehirnkirmes in Wirklichkeit keinen blassen Schimmer mehr davon, in welcher der vielen Gemeinden der Seelsorgeeinheit, in der sein Altersruhesitz ist, er gerade tätig ist.

Was er noch hinbekommt, das ist die strikte Trennung der Geschlechter. Noch nie hat er einen Mann in einer Trauerandacht zur Frau gemacht, außer einmal bei Riedlinde Voggenstroh, aber bei der war man sich sowieso nie so ganz sicher…
Vornamen, Berufe, Lebensgeschichten, das alles kennt Pfarrer Busch von jedem Toten auswendig, man kann sich jedoch niemals sicher sein, wessen Lebensgeschichte er mit einem bestimmten Namen verbindet.

So kam es beispielsweise dazu, daß das alte Käthchen Krämer, eine alte, bärbeißige Jungfer in seiner Traueransprache flugs zu einer immer fröhlichen und stets gut gelaunten ehemaligen Karnevalsprinzessin mutierte und Fred Wernesmuth, ein Hagestolz und Misogynist vom alten Schlag, als großer Freund der Frauen und stets verständnisvoller Frauenversteher dargestellt wurde.

Fred Wernesmuth, so konnte sich Pfarrer Busch sehr eindrucksvoll erinnern, sei von ihm selbst über das Taufbecken gehoben worden, was schon deshalb nicht sein konnte, weil der alte Wernesmuth weit über 90 Jahre alt geworden war und somit 16 Jahre älter als Pfarrer Busch.

Zu einem kleinen Einpersoneneklat kam es, als Ferdinand Böttiger verstarb, der mit seiner Frau Martha allgemein bekannterweise eine Josefsehe geführt hatte und dem Pfarrer Busch die lieben Enkelchen Tobias, Kevin und Lukas mit auf den Weg ins Grab gegeben hatte.

„Wir haben keine Kinder und schon gar keine Enkel!“ protestierte die keusche Martha nach der Beerdigung, doch Pfarrer Busch strich sich nur über seinen Bauch, lächelte milde und meinte: „Sicher, meine Tochter, wir werden ihn alle vermissen.“
Und wenig später, an mich gewandt, sagte er: „Ich kenne die, die kenne ich schon ganz lang, eine nette Familie und so fromme, saubere Kinder.“

Als der Sohn vom Apotheker sich mit 35 Jahren im Drogenwahn in einer Kleingartenanlage vor den Toren der Stadt an einem Dachbalken der elterlichen Gartenlaube aufgehängt hatte, stellten sich einige die Frage, ob denn so einer überhaupt ein kirchliches Begräbnis bekomme. Pfarrer Busch konnte darüber nur den Kopf schütteln und verkündete, Selbstmord sei dann keine Sünde, wenn man ihn nicht selbst verübt habe.
Das hat zwar überhaupt keiner verstanden, vermutlich auch Pfarrer Busch nicht, aber damit war die Sache vom Tisch und in der Trauerrede war sowieso von irgendjemand ganz anderem die Rede.

Hierbei kommt es aber zu einem ganz eigenartigen Effekt, den ich auch bei der Abfassung meiner Texte schon mehrfach beobachtet habe.
Wenn ich jemanden hier im Bestatterweblog oder in einem meiner Bücher, weil es gar nicht anders geht, nahezu 1:1 beschreibe und seine Handlungen, seine Sprechweise und seine Bewegungen sehr genau beschreibe, dann kann ich demjenigen den Text ohne weiteres zu Lesen geben, er oder sie wird sich niemals wiedererkennen.
In einem Buch habe ich jemanden in fast allen Kapiteln vorkommen lassen und seine Eigenheiten ganz genau aufs Korn genommen. Ich bildete mir ein, daß die Frau, um die es sich da handelte, meine Geschichten sowieso nie lesen würde. Eines Tages lauert sie mir mit dem Buch in der Hand auf, freut sich riesig, mich „ganz überraschend“ zu treffen und will ein Autogramm. „Au weh!“ denke ich und warte schon darauf, daß sie mir das Fell über die Ohren zieht, weil ich mich auf Dutzenden von Seiten über sie lustig gemacht habe… Und was passiert?
Sie schlägt genau die Geschichte auf, in der ich sie einführe und ganz besonders albern da stehen lasse und sagt: „Am besten gefallen mir die Geschichten über diese Frau Soundso, da lache ich mich jedesmal beinahe weg. Da haben Sie aber schön übertrieben, so Leut‘ gibt’s ja gar nicht.“

Dafür wollte mich mal ein Optiker, den ich gar nicht kenne -und in meinen Geschichten kam auch (glaube ich) noch nie ein Optiker vor-, wegen Verleumdung verklagen. Aber außer einem bitterbösen Brief, der jetzt schon vier Jahre alt ist, ist da nie wieder was gekommen.

Was ich damit sagen will, ist Folgendes: So sehr Pfarrer Busch in seinen Ansprachen auch daneben liegt, die Angehörigen sind immer hoch zufrieden. Bis auf die Enkelkindbeschwerde der keuschen Martha ist es mir nie zu Ohren gekommen, daß jemand seinen Verstorbenen nicht gut getroffen fand.
Dieser recht freizügige, ja schon fast virtuose Umgang mit den Biographien wird wohl eher von den sachlich informierten Außenstehenden wahrgenommen, von den Trauergästen offenbar nicht.
Es ist vielmehr wichtig, daß die Ansprache schön ist, daß es feierlich ist und nicht zu langatmig. Was da so ganz genau gesagt wird, das spielt, je älter das Publikum ist, kaum eine Rolle.

Und schön sind sie, die Ansprachen von Pfarrer Busch, auch wenn er mir neulich nach der Trauerfeier einen Zehner in die Hand drückte und meinte, ich könne ja mal bei ihm vorbeischauen, der Kamin müsse ganz sicher mal wieder gefegt werden.

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(©si)