Menschen

Die Karaoke-Bar

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Frau Schlatt trauert um ihren Egon. Ihr Mann ist schon am Freitag vor Ostern im Josefinen-Krankenhaus verstorben. Dabei ging es ihm an sich bis vor 14 Tagen ganz gut, doch dann war er beim Arbeiten im Garten über ein Harke gestolpert, ins Straucheln geraten, in einen Strauch geraten und hatte sich die Hüfte gebrochen.
Im Krankenhaus konnte man zwar ein stabiles, schönes, neues Oberschenkelgelenk einbauen, jedoch gesellten sich häßliche Bakterien dazu und Egon Schlatt bekam eine Lungenentzündung, sprach dann auf die dargebotenen Medikamente kaum an und so kam es, daß er nach mehr als einwöchigem Kampf auf der Intensivstation verstarb.

Nein, nein, das sei kein Problem, der Verstorbene könne noch bis nach Ostern in der Kühlkammer des Krankenhauses bleiben, hatte man der Witwe gesagt, die ja in solchen Sachen keine Erfahrung hatte, weil sie erst ganz frisch als Witwe im Dienst war und vorher noch nie Witwe gewesen ist.
Dann habe sie genügend Zeit, um über Ostern einen Bestatter zu suchen, vor Dienstag könne der sowieso nichts machen.

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Da haben die Leute vom Krankenhaus durchaus Recht, wie ich meine, jedoch nahm dann die Tochter von Frau Schlatt die Sache in die Hand und überzeugte ihre Mutter davon, daß man heutzutage in solchen Fällen nicht mehr zum Fachmann oder zum Traditionsbetrieb vor Ort gehe, sondern daß man im 21. Jahrhundert so etwas alles über das Internet mache.

„Ich kenne aber gar keinen Herrn Endreut“, protestierte die frischgebackene Witwe.

„Mama, Endreut ist nicht der Name des Bestatters, sondern mein Handy kann Android, das ist dieses Programm da drinne.“

„Und damit kann man den Papa beerdigen?“ wollte Frau Schlatt wissen.

„Nein, Mama, aber damit können wir den Bestatter finden.“

„Aber den muß ich doch nicht finden, der wohnt da drüben an der Ecke, das sind keine 200 Meter von hier.“

„Den meine ich doch nicht, der ist doch bestimmt viel zu teuer.“

„Woher willst Du das denn wissen, Jutta, Du warst doch noch nie bei dem.“

„Im Internet ist alles billiger, Mama.“

„Ja und kommen dann auch Leute von dem Internetz zur Beerdigung? Ich will nämlich nicht, daß da Wildfremde kommen.“

„Aber Mama, Du kennst Dich wirklich nicht aus. Lass mich mal machen.“

Wenig später hatte Tochter Jutta, unterstützt von ihrem Mann Jörn eine Seite im Internet gefunden, deren Betreiber verspricht, Tag und Nacht, bundesweit für 499 Euro die Menschen unter die Erde zu bringen.

„Da rufen wir mal an. Siehste, Mama, da geht das ganz billig.“

„Na, wenn Ihr meint, ich bin ja froh, daß Ihr Euch kümmert, mir wäre das zu kompliziert. Ich wäre einfach da rüber gegangen, sind ja nur 200 Meter.“

„Da wirste aber nur abgezockt, hört man doch immer wieder im Fernsehen. Ich ruf jetzt mal den Günstigen an.“

Der Günstige geht nicht an den Apparat. Stattdessen läuft ein Band und Jutta hört eine lange Ansage. „Wenn Sie aus Brandenburg anrufen, dann wählen Sie bitte die Blablabla, rufen Sie aus Baden-Württemberg an, dann wenden Sie sich bitte an die Blablabla…“

Statt zu sagen: „Das ist aber eine umständliche Geschichte“, sagt Jutta: „Ach, das ist ja toll, die haben überall jemanden. Ich hab mir die Nummer von hier jetzt aufgeschrieben und ruf jetzt da mal an.“

„Hier?“ fragt Frau Schlatt, „Hier aus der Stadt?“

„Nein, aus Gummpeldingenshausen.“

„Wo ist das denn?“

„Keine Ahnung.“

Jörn mischt sich ein: „Ich guck mal in Google.“

Frau Schlatt ist irritiert: „In was für einer Kugel?“

„In Guuuuugel, Mama! Das ist eine Suchmaschine“, erklärt Jutta.

„Eine was?“

„Setzt Dich da hin, das ist nichts für Dich, trink lieber Kaffee, Jörn und ich machen das schon.“

Frau Schlatt sitzt da, trinkt Kaffee und ihre Tochter und ihr Schwiegersohn hantieren wie wild mit ihren Handys. Jörn hat keine Ortschaft mit dem Namen Gummpeldingenshausen gefunden und schon nach ‚Gumm…“ fragt ihn sein Handy: „Meinten Sie Karaoke-Bar?“

„So ein Mist! Ich will doch jetzt nicht singen!“ schimpft er und Frau Schlatt merkt auf: „Ach ja, der Organist singt auch immer so schön, den müssen wir auch noch bestellen.“

„Das macht doch alles der Bestatter“, beruhigt sie ihre Tochter und wählt nun beherzt die vom Band abgeschriebene Nummer.

Er sei gerade auf der Autobahn unterwegs und habe ganz schlechten Empfang, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. Man solle sich etwas gedulden, er rufe gleich zurück.

„Der ist grad innem Funkloch“, sagt Jutta zu Jörn und Frau Schlatt fällt dazu ein: „Ach Gott, der Arme, ruft da jemand jetzt die Feuerwehr, um dem da raus zu helfen?“

Die ‚Kinder‘ beachten den Einwand der alten Frau gar nicht und Jutta hilft Jörn beim Vergrößern der Karte von Gummpeldingenshausen. „Ach Du meine Güte, das ist ja gar nicht hier, das ist ja in der Ostzone!“ bemerkt Jörn erstaunt und Frau Schlatt meint dazu:

„Tante Hedie war auch in der Ostzone, da haben wir immer Päckchen hin geschickt, aber jetzt gibt es die ja nicht mehr.“

„Ja ja“, sagt Jörn, „die DDR ist weg.“

„Nee, Tante Hedie ist weg, die ist 1984 gestorben.“

Der Bestatter aus Gummpeldingenshausen ruft zurück. Er sei gar nicht weit weg, aber jetzt am Dienstag nach Ostern, sei sehr viel Verkehr auf den Autobahnen, und es könne so zwei Stunden dauern, bis er da sei, um den Verstorbenen aus dem Krankenhaus abzuholen. Man könne sich ja inzwischen auf der Internetseite einen Sarg und eine Urne aussuchen, dann gehe das nachher alles viel schneller, er müsse ja heute noch nach Flönzstedt und dann wieder nach Gummpeldingenshausen.

Jörn triumphiert: „Guck mal, da isses ja, das Gummpeldingenshausen.“

„Wofür brauchen wir das eigentlich?“ will Frau Schlatt wissen.

„Da ist der Bestatter her“, erklärt Jörn seiner Schwiegermutter und die fragt: „Wäre es nicht einfacher, wir wären einfach da rüber gegangen, ich meine zu dem, der nur 200 Meter von hier weg ist?“

„Der ist doch ganz teuer.“

„Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß einer der von Gummersbach kommt, billiger sein soll.“

„Gummpeldingenshausen heißt das.“

„Noch schlimmer, das kenne ich gar nicht“, beklagt sich die alte Frau. „Ich wäre ja zu dem da drüben gegangen. Alle anderen, die bei dem waren, die waren sehr zufrieden.“

„Aber der ist teuer, Mama. Der Mann hier am Telefon ist billig.“

„Und wie soll da gehen? Der holt jetzt den Papa am Krankenhaus ab“, fragt Frau Schlatt. „Und dann nimmt der den mit nach Gelsenkirchen?“

„Nach Gummpeldingenshausen!“

„Und was soll Papa da? Das ist doch weit weg. Und dann bringen die den wieder hier auf den Friedhof?“

„Keine Ahnung, ich ruf den nochmal an“, sagt Jutta und tut das auch.

Nein, er nehme den Toten mit, dann komme der in den Sarg, den man sich im Internet ausgesucht habe und dann käme der Tote nach Tschechien, da sei es sehr schön, und da würde der verbrannt und beigesetzt.

„Wie jetzt? In Tschechien? Wo ist das denn?“ Frau Schlatt ist entsetzt. „Ich will ein ganz normales Grab, hier auf dem Friedhof, wo ich dem Papa Blumen hinbringen kann.“

Tochter Jutta gibt das an den Internetbestatter weiter und der beruhigt sie: „Das geht ja auch, kein Problem, ist bloß ein bißchen teurer.“

„Wieviel denn?“

„Das kann ich jetzt so aus der Hüfte nicht sagen, aber mit 499 Euro kommen wir dann nicht hin.“

„So ungefähr.“

„So ungefähr? Na ja, ich würde mal sagen, so mit einem mittleren Sarg und einer Urne… Na ja, so an die 1.800 Euro. Ohne Grab versteht sich.“

„Das wird dann aber doch ziemlich teuer“, meint Jutta und der Bestatter sagt: „SIE wollen ja was Besonderes, DAS kostet dann. Tschechien gibbet für 499.“

Tochter Jutta bedankt sich, legt auf und blickt ratlos in die Runde.

„Könn’wer nicht doch zu dem da drüben gehen?“ fragt Frau Schlatt ganz vorsichtig und Jörn meldet aus dem Hintergrund: „Es gibt zwei Gummpeldingenshausen, eins in Bayern und eins in Thüringen.“

„Kinder, ist ja lieb von Euch und Euren Herrn Endreut, aber ich geh jetzt zu dem da drüben. Ruft mir bloß beim Herrn Endreut in Gummersbach an, nicht das der doch noch her kommt. Ich geh da rüber!“

Jutta hebt resignierend ihre Schultern und Jörn schaut kurz von seinem Smartphone auf: „Bis zu dem Gummpeldingenshausen in Thüringen sind es über 500 Kilometer.“

„Ich geh da rüber!“


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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 27. April 2011 | Revision: 1. Juni 2012

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Andante
13 Jahre zuvor

Tom ist wieder da! Und auch noch in Bestform! 🙂

Rena
13 Jahre zuvor

Ahhh, wie hasse ich diese Besserwisser. Sollen sie doch die „alte“ Frau machen lassen, wie sie will.

13 Jahre zuvor

Das ist mal ein Wiedereinstieg in die Blogosphaere wie man es sich schoener nicht wuenschen haette koennen.
Ich freue mich das du wieder auf dem Damm bist und bedanke mich das du es geschafft hast am fruehen morgen meine Mundwinkel schon derart zu reizen das sie sich zu einem Laecheln verbogen haben.
DAS schaffen um die Uhrzeit wahrlich nicht viele aber der Tom und der Herr Endreut,die schaffen das mit links.
PRIMA !!!!!!!!!!!!!!!

Konni Scheller
13 Jahre zuvor

Wärst du Chirurg, müsstest du vermutlich dauernd jemand aufschneiden. Das ist ein Drang, gell?

So bin ich froh, dass du Schriftsteller bist 🙂

Tzosch
13 Jahre zuvor

Android? Selber schuld. Beim iPhone gibts bestimmt schon eine App. 😉

Ma Rode
13 Jahre zuvor

Mann! Wie meine Kollegen! Fummeln alle mit ihren Smartphones im Internet rum, als wäre es das Allheilmittel, aber dann ist der Strom weg und man muss doch „händisch“ den Stadtplan oder das Navi im Auto befragen.

Mitunter ist weniger mehr! Auch und gerade in Zeiten des Online-Wahns …

Marco
13 Jahre zuvor

Auch von mir herzlich willkommen zurück. Und das gleich mit einer so tollen Geschichte 😀

Schroeder
13 Jahre zuvor

Genial beschrieben! Genauso läuft es… wie immer mitten aus dem Leben!!!
Welcome back.

Turtle
13 Jahre zuvor

[quote]Android? Selber schuld. Beim iPhone gibts bestimmt schon eine App.[/quote]

Bei Leuten wie Jutta und Jörn hilft auch keine iPhone-App, da würde nur eine Hirn-App was bringen, aber die ist dann wahrscheinlich nicht installierbar.

hajo
13 Jahre zuvor

es gibt zwei unumstössliche Tatsachen:
1. Im Internet ist alles billiger
2. Die Erde ist eine Scheibe
😉
.. da braucht man nur in „die (Glas-)Kugel“ zu schau’n
die alte Dame ist klasse und ich hoffe, dass sie sich durchsetzt 😀
Tom: Du hast wieder die alte Form gefunden: perfekt!
Herzliche Grüße
Hajo

Smilla
13 Jahre zuvor

Schöne Geschichte und zum Glück mit gutem Ausgang, ich habe echt gehofft, dass sie eben „da rüber geht.“

Was mir aufgefallen ist, dass „andere Leute“ nicht vorkommen. Das ist bei uns eine ganz schlimme Sache, weswegen ich weit weg in eine Stadt gezogen bin. Da macht man sich über „billig“ keine so große Gedanken, da wird viel wert drauf gelegt, dass alles gut aussieht und alles perfekt ist, damit niemand hinterher was sagen kann. Was natürlich trotzdem passiert. Mein Papa mußte gestern Abend frisch aus dem Urlaub noch zum Familiengrab, weil über Ostern wohl jemand Unkraut entdeckt bei uns hat. Von einem Bäumchen sind Samen gefallen und nun stehen da vereinzelt für Oma Krüger wohl sichtbare 4cm Bäumchen. Ich habe hier auch einen Anruf bekommen, ob wir schon neu tapeziert hätten etc, wegen der Kommunion. (!)

Ich bin jedesmal froh, davon weit weg zu sein…wie stressig da eine Beerdigung erst sein muss, will ich mir gar nicht ausmalen.

hajo
13 Jahre zuvor

@Smilla: da sind die Leute doch human.
Zu Kommunion (alternativ Konfirmation), Hochzeit etc. nur innen renovieren? Das Haus muss auch von aussen in neuem „Outfit“ erstrahlen 😉
.. oder?

Smilla
13 Jahre zuvor

@hajo

Du kommst aus dem Norden und hast das schon mal durchgemacht?! Ich lasse mich nicht davon anstecken, *nei-hein*….

13 Jahre zuvor

Und die Kosten erstmal fuer dir Grundsanierung der Hausdame…*g*

Designierter Komposti
13 Jahre zuvor

TOMs Schreib-App funktioniert wieder. Willkommen zurück!

LuzieFehr
13 Jahre zuvor

…bin mir nicht ganz sicher ob ich weinen oder lachen soll!

mir ist grad´ nach beiden.

außem Leben? .. ja, außen Leben!

so was erfindet keiner *smile*

Tzosch
13 Jahre zuvor

Eine „Friedwald-App“ gibt es schon. Fürs iPhone selbstverständlich!

http://itunes.apple.com/de/app/id370843117?mt=8

Toll! 😉

Ma Rode
13 Jahre zuvor

Wir dürsten nach Wissen und ersaufen in Informationen – nicht von mir, aber stimmt haargenau!

13 Jahre zuvor

„Im Wort Gelehrter steckt nur der Begriff, daß einem vieles gelehrt ist, aber nicht, daß man auch etwas gelernt hat.“
Um meinen Lieblingssprücheklopfer mal wieder zu zitieren…

13 Jahre zuvor

Naja, im Internet gibts ja vieles billiger. Aber für manche Sachen sollte man halt dann doch zu den Leuten seines Vertrauens gehen, statt unbedingt nach einem Schnäppchen zu suchen… Aber wenn man sich inzwischen schon für Brustimplantate in die Türkei begibt.. Geiz ist eben geil

13 Jahre zuvor

Jaja, da haben wir ja diese geiz-ist-geil mentalität. Ich hab ja nichts dagegen wenn man vergleicht aber gerade beim Sterbefall würde ich nicht auf die Idee kommen eine Internetbestattung durchzuführen.

13 Jahre zuvor

@Steffen
Wenn erst das neue Protokoll CoIP (Corpse over IP) eingeführt wurde, sollten Internetbestattungen völlig problemlos sein.

„Mailen sie uns den Verstorbenen, wir erledigen den Rest“

Der Tote wird dann einfach nach /dev/null kopiert

Inklusive Trauerfeier als Facebookevent …

Dod
13 Jahre zuvor

Oh ja, Trauerfeier als Facebookevent ist toll. Da steht dann „Opa Heinz ist tot!“ – und alle klicken auf „Gefällt mir“ ..

Ö Schi
13 Jahre zuvor

„facebookevent“ so weit kommts noch – und wer geht dann mit dem Körbchen für die Kollekte rum?? und wo ist der Leichenschmauß?? vielleicht bei „Schusselbeck.dö“??

13 Jahre zuvor

Doch bei Facebook geht alles sinen geregelten Gang. Nachdem alle ans virtuelle Grabmal getreten sind und auf gefällt mir geklickt haben, gibts die Trauermusik bei Yoututbe und der der Haupterbe postet die URL der bundesweit ausliefernden Dönerkette auf seiner Pinnwand, wo die Onlinebestellung der Trauergesellschaft abgegeben werden kann. Alle posten kurz, was sie gegessen haben, jeder klickt nochmal auf gefällt mir und man bestellt bei Starbucks den Kaffee.

Pythia
13 Jahre zuvor

@ kall

Also dass du das Heißgetränk bei Starbucks als Kaffee bezeichnest, gefällt mir nicht!

13 Jahre zuvor

@Pythia
man nennt es so. Ob es welcher ist, wei0 ich nicht, da ich noch nicht in den Genuss gekommen bin.

Pythia
13 Jahre zuvor

Ich schon, aber nur einmal 🙂




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