Geschichten

Die Kuckucksuhr -V-

Nein, Frau Mandel fühlt sich kein bißchen ausgenommen. Sie ist ja sowas von begeistert von Frau Birnbaumer-Nüsselschweif. Die habe ihr sogar beim Aufräumen ihres Medizinschränkchens geholfen und ihr eine neue Wachstuchtischdecke aus der Stadt mitgebracht. „Was diese Frau alles für mich tut, die hat auch immer ein Viertelstündchen Zeit für mich, so etwas tut uns alten Leuten ganz gut.“

Wir sitzen gemeinsam über Kontoauszügen, um aus den Abbuchungen der vergangenen Monate herauszulesen, was sonst noch so alles abgebucht wird und was wir noch abmelden können, weil Frau Mandel das jetzt nach dem Tode ihres Gatten nicht mehr braucht.

Es ist bei ihr wie bei vielen alten Leuten, sie läßt mich mein Programm nicht durchziehen, sondern zerlegt es gekonnt in kleine Teileinheiten, nur damit ich oft wiederkommen muß und sie wieder jemanden zum Quatschen hat.
Ursprünglich wollte ich an diesem Tag das mit den Kontoauszügen erledigen und die Sache mit dem Grabstein erledigen, doch die Grabsteinangelegenheit hat Frau Mandel gleich auf einen nächsten Besuch vertagt, da sei sie heute nicht dazu in der Lage.

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Was macht man nicht alles für seine Kunden? Irgendwann bin ich auch mal so alt und sehne mich vielleicht auch danach, daß nach „Sturm der Liebe“ irgendjemand kommt und ein Viertelstündchen mit mir plaudert.
Sie hat ja sonst wirklich niemanden, die ganze Familie ist längst ausgestorben, zumindest gibt es keinen Verwandten, von dessen Existenz Frau Mandel noch etwas weiß.

Die Bekannten und Nachbarn sind ihr auch keine echte Stütze, ab und zu lässt sich mal einer blicken, aber nach Frau Mandels Geschmack viel zu selten. Ihr Leben spielt sich zwischen gelegentlichen Arztbesuchen und dem täglichen Fernseheinerlei in einer Suppe aus Einsamkeit und selbst auferlegten täglichen Pflichten ab.

Da ist so jemand wie die Birnbaumer-Nüsselschweif natürlich ein Lichtblick, sozusagen ein Strohhalm, nach dem die Einsame gerne greift. Ich versuche mehrmals, das Gespräch vorsichtig auf die Nüsselschweif zu lenken, was mir auch ganz gut gelingt, doch sobald ich ganz sachte die Habgierigkeit der Dicken zur Rede bringe, wiegelt Frau Mandel ab.

Fast schon habe ich den Eindruck, sie weiß um die wahren Beweggründe der Birnbaumer-Nüsselschweif, nimmt das aber billigend in Kauf, um sich damit ein wenig Unterhaltung und Abwechslung zu sichern.
Aber kapiert denn die alte Frau Mandel nicht, daß es mit dem Unterhaltungsprogramm der Birnbaumer ebenso schnell vorbei sein wird, wie es bei ihr nichts mehr zu holen gibt?

Nun gut, was hat die alte Frau denn noch? Vielleicht der kaufhausölige, röhrende Hirsch über dem Ehebett und eine kleine Sammlung von Zinntellern neben dem Büfettschrank im Wohnzimmer. Vielleicht versteckt sich ja im Schrank auch noch eine Briefmarkensammlung des seligen Herrn Mandel oder eine Aneinanderreihung mehr oder weniger wertvollen Porzellans. Aber wirkliche Werte? Ich glaube nicht, daß die Mandels sowas haben, dagegen spricht die Ausstattung der Wohnung und der geringe Wert der herumstehenden Gegenstände.

Der Wert irgendwelcher Sachen bemißt sich ja, sofern sie keinen bedeutenden Materialwert haben, immer nur nach der Wertschätzung ihres Besitzers. Ich erinnere mich an viele Stücke, die meine Eltern sehr gerne um sich hatten, die sie liebevoll pflegten und gerne betrachteten. Für sie waren diese Dinge wertvoll, ihnen wurde stets ein besonderer Platz zugemessen, sie wurden eventuell sogar beleuchtet oder auf einem eigens dafür angeschafften Regal präsentiert. Nach ihrem Tod habe ich vieles, mit dem auch ich eine gewisse Erinnerung verbinden konnte, übernommen und hege diese Sachen noch heute. Aber so manches ist damals schlagartig von einem Moment auf den anderen zum Müll erklärt worden.
Manche Sachen bekommen ihren Wert auch erst durch die Geschichte, die sie haben.
Ein dämlicher Fleischklopfer aus Holz ist für meine Kinder immer nur ein dämlicher Fleischhammer gewesen, den sie nicht im geringsten wertschätzten und der für allerlei kindliche Kloppereien mißbraucht wurde. Weil er sich aber schon ewig in unserem Besitz befindet, erzählte ich den Kindern irgendwann einmal, daß der Hammer aus einer Zeit vor 1850 stammt, heute also mindestens 160 Jahre alt ist. Man weiß nämlich noch ganz genau, welche Ahnin diesen Fleischklopfer im Jahre 1850 zur Hochzeit geschenkt bekommen hat, nur ist nicht bekannt, ob er damals neu oder gebraucht gewesen ist.
Seitdem sie das wissen, gehen unsere Kinder mit diesem einfachen Holzding doch ein ganzes Stück ehrfürchtiger um, immerhin hat ihre Ururgroßmutter damit schon Fleisch geklopft.

Vielleicht hat Frau Mandel auch irgendwelche Stücke, die für sie so bedeutsam und wertvoll sind, ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie ansonsten große Werte besitzt, sehr groß ist also die Gefahr nicht, daß die Birnbaumer-Nüsselschweif da noch viel abgreifen kann.

Ich bringe das mit den Kontoauszügen hinter mich, tatsächlich haben wir noch eine ADAC-Mitgliedschaft, einen Zahnschutzbrief und eine Lotterie gefunden, die wir kündigen können.

Wir sind schon an der Tür und ich frage, wann wir das mit dem Grabstein und das Aufsetzen der Danksagung erledigen können, da sagt Frau Mandel zu mir: „Das wird jetzt etwas knapp, das machen wir am Besten wenn ich wieder da bin.“

„Wohin gehen Sie denn?“

„Ich gehe nicht, ich fahre!“

„Und wohin?“

„Na, ich fahr‘ doch mit der Frau Birnbaumer in die Schweiz, da haben wir doch noch das Haus und Frau Birnbaumer will da mal durchputzen. Sie fährt mich in dem schönen Mercedes dahin und wir bleiben eine Woche. Danach können wir das mit der Danksagung machen und wegen des Grabsteins kommen Sie dann nochmal vorbei.“


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 14. März 2010 | Revision: 16. Juli 2012

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