Geschichten

Die Kuckucksuhr -XI-

Ältere Menschen sind manchmal leicht zu beeinflussen. Manchmal sind sie im Alter etwas verwirrt, manchmal sind sie mut- und hilflos, manchmal sind sie aber auch nur müde und haben keine Lust mehr, sich gegen die Dynamik jüngerer Leute zu wehren.

Mit stolzgeschwellter Brust ist Frau Birnbaumer-Nüsselschweif am vergangenen Mittwoch bei der Gemüsefrau eingelaufen. Die beiden Frauen sind Erzrivalinnen seit Jahrzehnten, können jedoch nicht voneinander lassen, zu groß ist das gegenseitige Mitteilungsbedürfnis und die Angst davor, man könne bei irgendeinen Informationsfluß nur am Ufer stehen und nicht etwas dazu beitragen können.

Unauffällig wie ein grün lackierter Elefant legte die Birnbaumer-Nüsselschweif ihren dicken Schlüsselbund direkt neben die Waage auf die Ladentheke und heuchelte dann Interesse für Kartoffeln. Festkochende wolle sie haben, aber nicht die Dicken, sondern liebe so kleine, aber nicht die da vorne, die sind zu klein, eventuell doch nur vorwiegend festkochende aber auf gar keinen Fall mehligkochende, na dann nimmt sie doch die Dicken, aber davon dann bitte nur ein Kilo, die Dicken sind ja viel schwerer als die Kleinen…

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„‚N Kilo is‘ ’n Kilo, zweiter Bildungsweg, wa‘?“ sagt die Gemüsefrau mit spitzer Stimme und schüttet aus dem Kartoffelkorb eine entsprechende Menge auf die Waagschale.

Die Birnbaumer-Nüsselschweif reagiert auf diese kleine Spitze aber nicht, so sehr ist sie darauf erpicht, das Verkaufsgespräch voran zu treiben. Endlich hat die Gemüsefrau die Kartoffeln in eine Tüte gekippt, den geforderten Obolus kassiert und die Birnbaumer-Nüsselschweif kann sich nach kurzer Verabschiedung in Richtung Tür bewegen.

„Halt!“ ruft die Gemüsefrau: „Frau äh, (die Namen ihrer Kunden weiß sie stets nur, wenn sie über sie hetzt), äh, hier liegt noch ihr Schlüssel.“

„Ach, Herrgott, ach nee, mein Schlüssel. Ja und dabei ist der doch so wichtig. Der wird ja auch immer dicker, der Schlüsselbund, wissen Sie? Schauen Sie, hier sind ja jetzt auch die Schlüssel von der Schweiz dran.“

„Ist die jetzt neuerdings abgeschlossen?“

„Wer?“

„Die Schweiz?“

„Nee, nicht die Schweiz, aber mein Haus in der Schweiz.“

„Sie? Sie haben ein Haus in der Schweiz?“

„Ja sicher!“

„Ach, und wo haben Sie das denn her, das ist ja das Erste was ich hör‘, und ich weiß immer alles, wenn Sie ein Haus in der Schweiz hätten, das wüßt‘ ich doch.“

„Ja, das ist ja auch neu.“

„Neu gebaut? Wovon denn?“

„Nein, das krieg‘ ich geschenkt.“

„Was? Geschenkt? Von wem denn?“

„Von der alten Frau Mandel.“

„Ach nee, die hat ein Haus in der Schweiz?“

„Ja, aber die kann da nicht mehr hin, die ist jetzt zu alt. Ich hab‘ ihr ja schon vor Wochen und Monaten gesagt, sie soll das lieber abstoßen, ist doch nur ein Klotz am Bein. Sie wissen ja, ich kann kein Elend sehen und die alte Frau hat sich doch so gequält und das Haus da ist doch nur eine Belastung für sie, nichts weiter als eine große Belastung, ein Klotz am Bein, wirklich.“

„Und da schenkt die Ihnen das?“

„Ja sicher.“

„Würde ich nicht machen. Ich würde das einem Makler geben und gut verkaufen.“

„Da wird sie doch nur übers Ohr gehauen, das habe ich ihr auch gesagt. Nein, wir machen das jetzt so, daß ich das Haus jetzt ausräumen darf. Alles kommt in den Container und dann darf ich da machen was ich will, hat die Frau Mandel gesagt.“

„Man verschenkt doch aber kein Haus.“

„Macht die aber. Sie sagt, ich sei so ein herzensguter Mensch. Sie hat extra da diesen Spanier oder Italiener hingeschickt, damit der alles repariert und ich bin dann hingefahren um mir alles anzugucken, sozusagen als Beauftragte der Frau Mandel.“

„Nochmal, man verschenkt doch kein Haus.“

„Was wollen Sie denn? Ich hab‘ mir das verdient!“

„Womit denn?“

„Weil ich so herzensgut bin, sagt die Frau Mandel.“

„Nur weil Sie jetzt immer einkaufen gehen für die und die alte Frau im Auto ‚rumfahren? Das haben Sie doch auch geschenkt bekommen, das Auto, nicht wahr?“

„Das stand ja sowieso nur ‚rum, war ja ein Klotz am Bein.“

„Ist wohl alles ein Klotz am Bein der alten Frau was Sie gerne haben wollen, oder?“

„Was wollen Sie denn damit sagen?“

„Nichts. Ich sage gar nichts, ich meine immer bloß.“

„Is‘ auch besser so! Ich bin nämlich herzensgut und habe ja die ganze Arbeit an der Hacke, da ist das nichts Ungewöhnliches, wenn sich da mal jemand erkenntlich zeigt.“

„Ja klar, mal ein Stückchen Kuchen und ein Zwanziger in die Hand, aber doch nicht Häuser und Autos.“

„Ich bin eben besonders herzensgut, also herzensguter als andere…“

„Pffft…“

„Auf jeden Fall will sie mir das Haus demnächst überschreiben, damit das kein Theater mit der Erbschaftssteuer gibt, wir sind ja nicht verwandt.“

„Lassen Sie sich doch adoptieren.“

Die Birnbaumer-Nüsselschweif hat inzwischen ihren Schlüselbund an sich genommen, steht immer noch an der Ladentür und stutzt: „Adoptieren? Mensch, das wär‘ ja die Idee!“

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