Menschen

Die Lichterkette

Vor dem alten Rathaus steht ein Tannenbaum. Er steht nicht immer da, nur zu Weihnachten. Gestiftet wird er seit Jahr und Tag von der Familie Russnagel, die vor Generationen mal Waldbesitz hatten und deshalb den Bürgern immer diesen Baum schenken konnten. Nun haben die einzig verbliebenen, weit über 80 Jahre alten und unverheirateten Schwestern Franziska und Klara Russnagel schon lange keine Wälder mehr, lassen aber immer noch auf ihre Kosten alljährlich einen Baum anliefern.

Federführend für das Aufstellen und die Schmückung des Baumes ist die Kirchengemeinde und zwar genauergesagt der Mütter- und Frauenverein.

Die Feuerwehr wird jedes Jahr aktiviert, um den etwa 12 Meter hohen Baum aufzustellen, wofür eine extra bei der Renovierung des Rathausplatzes im Boden versenkte Halterung dient, in der im Frühjahr auch der Maibaum steckt.

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Das Dekorieren des Baumes mit Geschenkpäckchenattrappen übernimmt der Gewerbeverein und die Kugeln kommen alle Jahre wieder von Juwelier Hans-Josef Ringschmied. Die Lichterkette, ja die stiften immer wir.

Vor Jahren kam einmal vom Mütterverein ein altes kleines Mütterlein mit halb erfrorener roter Nase zu uns und fragte, ob wir auch etwas zum Baum beisteuern könnten. Da habe ich dann 250 D-Mark gestiftet, wovon man wetterfeste Lichterketten anschaffte, die dann von der Feuerwehr um den Baum gewickelt wurden.

Schön!
Wirklich, der Baum sah mit diesen Lampen besonders schön aus und ich fand, daß diese Investition ganz gut platziert war.

Ein Jahr verging und das Mütterlein kam wieder, es seien so einige der Birnen kaputtgegangen, ob wir vielleicht…
Ja klar, ich gab 50 Mark und die Oma war glücklich.

Ein paar Monate später sah ich das Mütterlein wieder, diesmal im Sommer und diesmal tot. Die Alte war gestorben und wir haben sie anständig beerdigt.
Ihre Nachfolgerin wurde… na, wer weiß es?
Eben: Frau Birnbaumer-Nüsselschweif.

Die kam dann auch pünktlich vor Weihnachten und bat um eine Lichterkette.

„Moment mal, Sie haben doch schon eine Lichterkette bekommen, so eine mit ganz dicken Gummikabeln, die war richtig teuer.“

„Die is‘ weg.“

„Ja, wie weg?“

„Tut mir leid, ich weiß es nicht, jedenfalls haben wir keine Lichterkette im Bestand und hier auf den Unterlagen, die ich übernommen habe, da steht, daß Sie für die Kette zuständig sind.“

„Von zuständig sein kann gar keine Rede sein, wir haben lediglich mal eine gestiftet.“

„Ja eben und die ist jetzt weg, also brauchen wir eine neue und der Herr Protzmann vom Gesangsverein hat schon eine gekauft, hier ist die Rechnung, das macht 200 Euro.“

„Das sind ja fast 400 Mark! Ist die aus Gold?“

„Man soll doch nicht umrechnen! Das sind 200 Euro.“

„Okay, ich stifte die Kette, an 200 Euro soll es mal nicht scheitern, aber die muß dann bitteschön ein paar Jahre halten, ich kann nicht jedes Jahr 200 Euro geben.“

Gut, die Kette hat gehalten, genau bis letztes Jahr. Da haben jugendliche Randalierer den Tannenbaum vor dem Rathaus komplett verwüstet und dieser Attacke ist auch die Lichterkette zum Opfer gefallen.
Man machte sich dann Gedanken und ist auf die Idee gekommen, daß in diesem Jahr der Baum nur oben herum geschmückt wird, also nur bis dahin, wo kein Mensch so ohne weiteres hinkommt.

Na ja, die Idee ist ja an sich nicht schlecht und man sieht solchermaßen geschmückte Bäume ja fast überall.

Und selbstverständlich stand die matronenhafte Selbstdarstellerin Mitte November wieder bei uns im Haus: „Wir bräuchten dann mal wieder eine Lichterkette.“

Ich zog den Geldbeutel aus der Jackentasche und blickte die Birnbaumer nur fragend an.

„Nun, so an die 250 Euro werden wir brauchen, diesmal soll’s eine Lettlampe werden.“

„Eine was?“

„Eine Lettlampenkette.“

„Lötlampenkette?“

„Nein, LETT, so mit solchen LETTS dran, EL-EH-DEHS.“

„Ach so, eine LED-Lichterkette, na dann.“

„Mein Mann sagt immer LETT.“

„Meinetwegen kann er auch ‚let it be‘ sagen; ich würde es zumindest zu Ihnen sagen.“

„Let it be? Ach ja, das ist Englisch, nicht wahr?“ Sie lächelt geschmeichelt: „Das Sie mich mit einer leuchtenden Biene vergleichen, Sie Charmeur, Sie!“

Boah, ich kotz gleich hintern Schlips!

Sie nahm die 250 Euro und nickte meine Beteuerung ab, daß das jetzt aber wirklich das allerletzte Mal sei, daß ich für diese Lichterkette etwas spende. „Ja ja, machen Sie sich keine Gedanken, wir schreiben das ja auch ins Kirchenblatt, da werden immer alle Spender aufgeführt“, sagt sie und schwebt nilpferdgleich dahin.

Ab dem Nikolaustag steht dann der Baum auf dem Platz vor dem alten Rathaus und ist von oben herab bis auf etwa drei Meter Höhe mit den großen Kugeln, meiner neuen LED-Kette und den in Goldfolie als Geschenkattrappe verpackten Styroporwürfeln geschmückt. Unten herum sind nur ein paar Schleifen aus Goldfolie, die reizen wohl niemanden in seiner Zerstörungswut, hofft man.

So Mitte Dezember beginnt dann eine Serie in der Tageszeitung, in der täglich irgendein Weihnachtsmarkt, ein besonders weihnachtlich geschmückter Vorgarten oder eine andere jahreszeitliche Veranstaltung beschrieben wird. Eines Tages ist auch der Rathausvorplatz dran und man sieht auf einem Foto den nächtlich leuchtenden Baum.
Auf einem anderen Foto ist die Birnbaumer-Nüsselschweif zu sehen, wie sie gerade so tut, als würde sie eine der goldenen Schleifen an den Baum binden. Dabei grinst sie so in die Kamera, daß mir unwillkürlich die Pizza vom Vorabend einen guten Morgen wünschen will.

Im Text darunter wird genau beschrieben, wer den Baum stiftet und welche Vereine und Geschäftsleute noch etwas haben springen lassen. Dann wird die Birnbaumer interviewt. Sie bedankt sich bei allen und freut sich öffentlich über das große Herz der Geschäftsleute, die auch in diesem Jahr wieder sehr großzügig gewesen seien.
Bis dahin lächele ich, denn unser Unternehmen wurde weiter oben auch als Lichterkettenspender erwähnt.
Doch dann kommt der letzte Satz des Interviews: „Leider war die vom Bestattungshaus gestiftete Lichterkette so kurz, daß sie nicht bis ganz unten reicht.“

Mann, Mann, Mann, wenn ich die fette Kuh erwische, gibt’s sechs Wochen lang Hackfleisch, ich sag’s Euch!


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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 29. Dezember 2010 | Revision: 8. Juni 2012

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Xenaris
13 Jahre zuvor

Lieber nicht, das gibt nur den nächsten Gammelfleischskandal.

Held in Ausbildung
13 Jahre zuvor

Die Rüsselschweif treibt einem aber auch echt immer zur Weißglut! Waahh! Naja hauptsache ihr Rüssel war wieder in der Zeitung…

Zwergi
13 Jahre zuvor

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist eine ziemlich selbstgerechte Ziege. Wahrscheinlich plappert sie häufiger derart unbedachten Mist und meint, sich selbst damit toller darstellen zu können. Puh, solche Leute habe ich echt gefressen – dabei mag ich gar kein Ziegenfleisch.

Held in Ausbildung
13 Jahre zuvor

Die Rüsselschweif treibt einen aber auch echt immer zur Weißglut! Waahh! Naja hauptsache ihr Rüssel war wieder in der Zeitung… *waahh*

Held in Ausbildung
13 Jahre zuvor

Sorry, Doppelpost, bitte löschen! 🙂

Zwergi
13 Jahre zuvor

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist eine ziemlich selbstgerechte Ziege. Wahrscheinlich plappert sie häufiger derart unbedachten Mist und meint, sich selbst damit toller darstellen zu können. Zum einen ist niemand verpflichtet, immer wieder Geld für so einen Weihnachtsbaum zu geben und den Lichterkettenfehlkauf hat ja eindeutig jemand anderes verzapft.
Puh, solche Leute habe ich echt gefressen – dabei mag ich gar kein Ziegenfleisch.

Anonym
13 Jahre zuvor

„Leuchtende Biene“. Ich näß mich hier gleich ein 😀
Alter Charmeur.

13 Jahre zuvor

Das Nüsselschwein hat aber auch immer noch nen Nachschlag bereit!

Üble Sache… Aber Hackfleisch??… Das will doch keiner… Das is viel zu fettig!

Gruß
Joe

Kartoffel
13 Jahre zuvor

Wie wäre es mal mit einer Gegenoffensive?

Einfach den ganzen Scheiß zusammentragen, den die so verzapft hat.

Mit diesem Zettel „of hell“ einfach zu allen Vereinsvorsitzenden, bei denen die Tusse ihr Unwesen treibt und darauf hinweisen, dass Du jegliche Unterstützung einstellst, wenn das Nüssel-Schnüffel-Schnief-Schwein nicht sofort ihre Attacken unterlässt. Natürlich sollte schon eine Gegendarstellung in die Zeitung, denn ihr Verhalten ist geschäftsschädigend, möglichst vom Mütter- und Frauenverein.

Und wo wir gerade dabei sind:mit anderen wird dieses fiese Vieh ähnlich umgehen. Wie wäre es mit einer Selbsthilfegruppe 🙂

13 Jahre zuvor

Also wenn du mich fragst, ich hätte die Lichterkette sofort wieder abnehmen lassen. Und ich hätte die Presse gleich mitinvolviert und das Ganze mitdokumentieren lassen.
Kannste aber glauben.
Sowas dreistes.

Pythia
13 Jahre zuvor

Die hat ihren Mann noch nicht ins Grab gebracht???

Micha
13 Jahre zuvor

@ Pythia,

die hat nen Mann?????? Ne oder….
Wo hat die den her……?

Pythia
13 Jahre zuvor

Hab mich auch gewundert, aber oben steht ihr Mann sagt LETT zu LED …

Kirstin
13 Jahre zuvor

Es gibt eben auch Männer die fahren auf solche Frauen wie die Birnbaum-Nüsselschweif ab. Entweder sie finden eine solche „angebetete“ oder sie gehen zu R*L zu Schwiegertochter gesucht.

Sensenmann
13 Jahre zuvor

Oje, oje, hoffentlich hat deine Frau nicht mitbekommen, dass du mit dem Rüsselschwein geflirtet hast… Sei vorsichtig, eifersüchtige Frauen sind gefährlich 😉

„Man soll doch nicht umrechnen“ – der Spruch ist wirklich klasse 😀 Erinnert mich an einen Bekannten, der mal sagte: „1,50 sind 3 Euro, und das sind 6 Mark!!111elf!“ 🙂

13 Jahre zuvor

Manche wehren sich halt nicht genug…. 😉

13 Jahre zuvor

Man wie kann man nur so dreist sein. Die gute Frau sollte lieber froh sein das es überhaupt eine Lichterkette gab. So selbstverständlich ist das garnicht.
Naja wenigstens hat man dank ihr immer einen Aufreger im Blog.

halo
13 Jahre zuvor

schon als ich auf den „weiterlesen“ Button drückte, wusste ich, das das nach B-N riecht
.. und ich hatte Recht! Danke Tom, dass Du mich zu diesem Glücksgefühl verholfen hast 🙂
Aus Deinen bisherigen Berichten komme ich zu der Erkenntnis: Da kommst Du nicht raus 😉
lass trotzdem Dein gutes Herz weiterhin sprechen.
Liebe Grüße aus Frankfurt am Main
Hajo

Uli
13 Jahre zuvor

Tom, denk einfach an die Kinder, die den leuchtenden Baum anschauen, denen ist die Rüssel-Tante eh egal … die sehen nur das Licht … ob Lett oder LED is dabei auch Wurscht … 😉

Anita
13 Jahre zuvor

Geil, absichtlich eine kuerzere Lichterkette kaufen um dann demjenigen, dem man das Geld dafuer aus der Tasche gezogen hat, als knauserigen Geizhals darzustellen.
Ich verneige mein Haupt vor der Meisterin der Niedertracht.
Die Marquise de Merteuil waere gruen vor Neid ob solcher Hinterhaeltigkeit.

JJ Preston
13 Jahre zuvor

Ich glaube, ich lese hier schon viel zu lange mit…
Beim Satz „Federführend für das Aufstellen und die Schmückung des Baumes ist die Kirchengemeinde und zwar genauergesagt der Mütter- und Frauenverein.“ dachte ich gleich: OH GOTT, DAS RÜSSELSCHWEIN…

jones
13 Jahre zuvor

Moin, Tom,

nach dem Bericht müsste im Ort doch jeder wissen, wies wirklich war – oder täusch ich mich da? 😉




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