Geschichten

Die Magenschleimhaut und die Klöten

Ostfriesentee

„Dat kleidet dann schön die Magenschleimhaut aus“, sagte Herr Piepenbrink, der freundliche Hotelier in Ostfriesland, als er schwungvoll mit einer kleinen Kelle etwas Sahne in eine Tasse Tee gleiten ließ. „Dat macht so schöne Wölkchen und dat is man gut für den Magen. Dann schlürfen! Man mut dat schlürfen! Ers ma oben die schöne Sahne, für’n Magen, dann kommt der Geschmack von den Tee und dann mit’n dritten Sluck, da kommt dann dat süße Kluntje.“

„Das was?“ frage ich und schaue den Mann, der uns die ostfriesische Teezeremonie näher bringen will, mit großen Augen an.

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„Dat Kluntje!“

„Und wie kommt die Klöte da rein?“ frage ich, der Mann zuckt nicht einmal, sondern deutet auf einen kleinen Pott mit Kandiszucker: „Dat tut man zuerst inne Tasse. Mann, hast du denn nicht aufgepasst?“

Mein Reisebegleiter Frank tritt mir unter dem Tisch ans Schienbein, denn meine despektierliche Benennung des Ostfriesenkandis als Klöte bringt und nun eine Wiederholungsstunde in Sachen Teekultur ein. „Also gut, fang ich also nochma‘ von vorne an…“, stöhnt Herr Piepenbrink und zum gefühlt 50sten Male beginnt er mit seinen Ausführungen zum Thema Ostfriesen und Tee.“

Nun ist das aber nicht das erste Mal, daß man uns diese Schulung angedeihen läßt. Schon gestern, direkt nach unserer Ankunft, hatten wir ein schöne Fischrestaurant im Hafen aufgesucht und uns leckeren Backfisch bestellt.
Doch statt des Fisches servierte uns der oberste Fischbräter zuerst eine Kanne Ostfriesentee.

„Ja ja, ihr Binnenländer müßt erst mal unseren leckeren Tee kennenlernen!“

Die Erklärung dauerte eine gute Viertelstunde und dann war der Fisch auch schon fertig.

Ehrlich? Sie wollen meine ehrliche Meinung wissen?
Gut!
Backfisch ist lecker. Ostfriesentee ist lecker.
Aber Backfisch mit Ostfriesentee, das ist in etwa so wie Rinderhirn mit Himbeermarmelade.

Ich muß die Geschichte aber besser von Anfang an erzählen.
Eingeladen hatte mich eine berufsbildende Schule in Norden. Norden liegt in Ostfriesland ziemlich nah an der Nordsee und wir alle wissen, da wohnen die Ostfriesen.

Und wie immer, wenn ich wo auftreten soll, hatte mein Agent dem Veranstalter meine Bühnenanweisungen zugeschickt. Da steht drin, was ich so brauche und was ich nicht so gerne habe.
Zum Beispiel, daß während meiner Lesung nicht getanzt und gejodelt werden darf und daß ich gerne eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser auf meinem Lesetisch vorfinden möchte.

Kaffee! O, was für ein Sakrileg im Lande der Ostfriesenteetrinker!
Der Hotelier, der von meinem Wunsche nach Kaffee Kenntnis erlangt hatte, hatte mir im Vorfeld schon per Mail die Einführung in die ostfriesische Kunst des Teetrinkens angekündigt.
Nett! Warum nicht? Ist doch mal was anderes.

Im Hotel angekommen, stand der Mann quasi schon mit der Teekanne parat und war leidlich enttäuscht, daß wir uns erst anderen Dingen zuwenden wollten. Wichtigeren Dingen, dem Hereintragen des Gepäcks zum Beispiel. Und Kaffee zum Beispiel.

Gerade waren wir also dieser ersten Teeschulung entgangen, war uns das mit dem Backfisch und dem Tee passiert. Wir hatten also quasi vor dem Fischgenuß zwangsweise doch eine Einführung in das Teetrinken bekommen.

Nach dem Fisch gelüstete es uns nach etwas Süßen und da kam uns eine Bäckerei, die da so längs des Weges herumlümmelte, gerade gelegen.
Kurz nach fünf, also jetzt mehr so gegen Abend, sozusagen kurz nach 17 Uhr betraten wir die Bäckerei und wurden von sechs Augen angestarrt, so als hätten wir beide, etwas kräftige Männer keine Hosen an.
Drei Backwarenfachverkäuferinnen betrachteten uns wie Alien-Zombies.
Warum nur?
Ich meine, es kann doch nicht ein so ungewöhnlicher Vorgang sein, daß ostfriesische Bäckereien hin und wieder auch mal zufälligerweise von Menschen betreten werden, die den Wunsch nach Ankauf verschiedener wohlfeilgebotener Backwaren äußern.

Das Problem, so eröffnete uns die Oberbackwarenfachverkäuferin dann sogleich, sei die Tatsache, daß man schon um 18 Uhr schließe.
Ein Blick auf die Uhr zeigte, daß bis dahin noch fast eine Dreiviertelstunde Zeit war.

„Wir hätten gerne diese und jene Backwaren zum Mitnehmen und vielleicht noch ein Stückchen Kuchen und eine Tasse Kaffee für jeden von uns“, äußerte ich vorsichtig meine Wünsche.

„Ich hätte gerne einen Milchkaffee“, ergänzte mein Freund Frank.

„Au, au, au!“ stöhnte eine der Thekenbewacherinnen auf: „Milchkaffee geht gar nicht! Da haben wir die Maschine schon sauber. Es geht nur normaler Kaffee.“

Auch gut. Kann man ja Milch aus den kleinen Plastikmilchdöschen reintun.

„Zu meinem Kuchen hätt‘ ich gerne noch etwas Sahne“, ergänzte Frank seine Verzehrwünsche.

Kollektives Aufstöhnen der Bäckereiwarenbewacherinnen.
„Das geht gaaaaaaaaar nicht. Überhaupt nicht. Ganz und gar nicht! Die Sahnemaschine sei nämlich auch schon in Anbetracht des unmittelbar bevorstehenden Feierabends klinisch gereinigt worden und mit der Aufnahme der Sahneproduktion sei nicht vor morgen Früh ab neun Uhr zu rechnen.

So saßen wir da also, bei Milchkaffee ohne Milch und Kuchen ohne Sahne und wurden von drei Paar Augen angestarrt. Dann begann man um uns herum den Boden aufzuwischen, nicht ohne die mehrfach geäußerte Warnung, es sei jetzt glatt und glitschig und wir sollten beim Verlassen der Bäckerei bitte vorsichtig sein, es sei ja demnächst bald Feierabend.

Der allergrößte Ärger bahnte sich aber dann in Form eines dem Rentenalter zuzurechnenden Ehepaares an, die an der Bäckerei vorbeischlenderten, soweit das fahrbare Gehhilfen zulassen, und erfreut feststellten, daß ja noch Gäste im Kaffeehaus sitzen. Also betraten auch sie die Bäckerei und begehrten je ein Stückchen Kuchen und Kaffee.
Die Schuld am unterbrochenen Vorfeierabend gab man seitens der Belegschaft aber eindeutig uns, das zeigte die Blicke deutlich.

Ganz klar, die drei Frauen waren unterbezahlt, hatten keine Lust, auch nur einen Handstreich mehr zu tun, als unbedingt notwendig und wir als zahlende Kunden waren so kurz vor Feierabend störend und bei der Verrichtung der vorfeierabendlichen Abläufe im Wege.

Na ja, kann man ja verstehen, irgendwie…

Leise flüsterte ich meinem Freund zu: „Wenigstens gibt es hier Kaffee, ich war schon ganz auf Entzug, wegen dem Tee und so…“

„Tee?“ Wie aus einem Munde riefen die drei Unwilligen dieses Wort aus. „Tee? Sie wollen Tee?“

Und man glaubt es kaum, was die drei Frauen für ein Tempo entwickelten und unter völliger Außerachtlassung sämtlicher Feierabendgedanken in Windeseile eine Kanne Ostfriesentee, eine Schale mit Kandiszucker und ein Kännchen mit Sahne vor uns aufgebaut hatten.

„Ja, ja, ihr Süddeutschen, jetzt führen wir euch erst mal in die Kunst des ostfriesischen Teetrinkens ein!“

35 Minuten lang! Von Feierabend und Eile keine Spur. Nein, das ist das heiligste Gut der Ostfriesen und die Teekanne ist feierlicher, heiliger und wichtiger als der Heilige Gral.

Während zwei der Verkäuferinnen uns mit dem Tee in Schach hielten, räumte die Dritte unseren Kaffee weg.

„Wir sind hier in einem ewigen Kreislauf von Tee und Wiedergeburt gefangen. Ich sag‘ dir, das wird unser ganz persönlicher Murmeltiertag!“ sagte ich zu Frank, der gerade gezwungen wurde, die dritte Tasse Tee zu sich zu nehmen.

Das Teezeremoniell wurde jäh unterbrochen als mein Begleiter seine Geldbörse zückte und die Worte sagte: „Ich bräuchte dann einen Bewirtungsbeleg.“

Wie von Quentin Tarantino gestochen fuhren die Köpfe der Bäckereibediensteten mit schreckgeweiteten Augen zu uns herum.

Ach nee, die Kasse sei schon abgeschlagen und man habe die Kassenbons für uns schon in vorauseilendem Gehorsam vorab ausgedruckt. Das mit dem Beleg hätte man vorher sagen müssen und außerdem stehe ja auf so einem Kassenbon auch alles Wichtige drauf.
Nun ist mein Begleiter ja insbesondere auch für die Finanzen zuständig und ein geschulter Widerleger der immer wieder vom örtlichen Handel vorgetragenen Behauptung, ein kleiner Kassenzettel auf dem nur Datum, die Nummer 3855 und ein Betrag stehen, sei als Bewirtungsbeleg ausreichend.

Kurzum, diese Teezeremonie hatte ein rasches Ende.

Eine Buchhandlung sprang uns auf dem Weg ins Hotel quasi vor die Füße und wir betraten den Laden, um nachzuschauen, wo und wie meine Bücher da präsentiert werden.
Der Buchhändler kam freundlich hinter seiner Theke hervor, äußerte den allzeittauglichen Gruß „Moin“ und als wir recht unostfriesisch mit „Tach“ und „N’Abend“ antworteten, erkannte der freundliche Literaturhändler natürlich sofort, daß er Fremde vor sich hatte.
Muß ich es erzählen?

Kaum war die Erkenntnis, Nichtostfriesen in seinem Laden zu haben, bis in die singuläre Synapse vorgedrungen, hielt er auch schon ein Tablett mit einer Kanne Tee, zwei Tassen, einem Kännchen mit Sahne und einem Topf mit Zuckerklöten in den Händen.
Keine Ahnung, wo der das so schnell her hatte, vermutlich trägt das jeder echte Ostfriese ständig irgendwo in den weiten Hosen am Mann.

Wieder zum Hotel zurückgekehrt gingen wir geraden Weges auf den Haupteingang zu.

„Moooment!“ warnte mich Frank, als ich den Schlüssel in das Schloss stecken wollte. Wir schauten uns an und verstanden uns auch ohne Worte.
Auf dem Absatz machten wir kehrt und gingen hintenrum, über die Terrasse ins Haus; zu groß erschien uns die Gefahr, daß hinter der Eingangstür ein weiterer Friese seinen Tee bereit halten würde.

]Bild: By Ke.We. (Own work) (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons]

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