Geschichten

Die Nachtigall -2-

Eine junge Frau, reich, gesellschaftlich anerkannt, was will man mehr?
War sie den bedeutend älteren Partner leid geworden, hatten sich ihre Interessen auseinander entwickelt?

Mich hätten die Antworten auf diese Fragen interessiert, doch ich komme nicht dazu, sie zu stellen. So wie man eine lästige Fluse von der Schulter seiner Jacke fegt, wischt sie die Trauer mit einer Handbewegung weg, und gleichzeitig ist auch dieses kleine Tor, das einen Einblick in ihre Gemütslage gab, verschlossen. Sehr geschäftsmäßig, so wie jemand, der es gewöhnt ist, Aufträge zu erteilen und Arbeiten einzuteilen, stolziert die Frau auf ihren hohen Absätzen mit klackenden Geräuschen durch den Ausstellungsraum.
Vor der Adenauertruhe bleibt sie stehen und mein Herz hüpft ein bißchen. Sollte es wirklich wahr werden, daß wir nach Jahren mal wieder eine dieser üppig verzierten Eichentruhen verkaufen, die nur als teuerstes Schaustück im Laden stehen?
Sie wendet sich aber gleich wieder ab und bleibt vor einem der Schweizer Särge stehen. Sperrholz, mit tollen Maserungen laminiert, sehr günstig und sehr schlicht.

Daß bei ihr nur der persönliche Geschmack und nicht der Geldbeutel eine Rolle spielt, erkenne ich daran, daß sie ernsthaft zwischen dem über 7.000 Euro teuren Schaustück und einem Sarg der unteren Preisklasse hin und her schwankt.

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„Den da, bitte!“ sagt sie, deutet tatsächlich auf den Adenauersarg und schaut schon nach den Decken.

„Sie haben natürlich die freie Auswahl“, informiere ich sie“, aber zu der Truhe gehören eigentlich diese Decke und das Kissen hier fest dazu. Ich zeige ihr die betreffenden Stücke und sie nickt es ab: „Dann ist ja gut, nehmen Sie die bitte.“

Einen Grabstein will sie ebenfalls gleich aussuchen und ich zeige ihre unseren Katalog. Da ist aber nichts dabei, was ihr auch nur annähernd gefällt, also empfehle ich ihr zwei, drei Steinmetze, doch sie schüttelt den Kopf: „Nein, das möchte ich alles aus einer Hand.“

Also verabrede ich mich mit ihr für den Nachmittag des gleichen Tages auf dem Hauptfriedhof. „Dort können wir uns alle möglichen Grabsteine im Original anschauen und vielleicht ist da ja etwas dabei, das Ihnen gefällt.“

Ein kurzes Lächeln huscht über ihr Gesicht und zwei hübsche Grübchen tauchen für ein paar Sekunden auf ihren Wangen auf.

Ich bleibe noch einen Moment stehen und schaue ihr nach. Sie fährt ein Bentley-Cabrio. Meine Güte, was für ein tolles Auto!

„Au, au, da hat unser Chef aber ganz schön verliebte Augen gemacht“, unkt Sandy und schnalzt mit der Zunge.

„Na hör mal! Die Frau hat gerade ihren Mann verloren …“

„Eben! Jetzt ist sie frei, und Kohle hat sie auch“, meint Sandy.

Ich winke ab. „Erstens bin ich schon verheiratet und habe genug damit zu tun, eine Frau in meinem Alter zu bändigen, und zweitens frage ich mich bei so jungen Frauen immer, ob die dann diejenigen wären, die meine Socken waschen würden.“

„Macht die nie!“

„Siehste!“

Am Nachmittag treffe ich kurz vor der verabredeten Zeit am Friedhof ein. Zeit genug, um eine Zigarette zu rauchen. Während ich warte, klingelt mein Handy, die junge Witwe bittet um etwas Geduld, sie sei beim Friseur nicht gleich an die Reihe gekommen. „Abschnittsgefährte“ lautet der Name des Salons, wie ich erfahre. Ich schüttele den Kopf und überlege, ob es auch für Bestattungsunternehmen blöde Namensparallelen gibt. „Die Einlocher“ fällt mir ein, und „Der andren eine Grube gräbt“ oder „Tieferleger“ oder „Topf und Kiste“…

Der Friedhofsverwalter sieht mich da stehen und ist neugierig, was ich da wohl mache.
Er ist einer von den städtischen Mitarbeitern, die was auf dem Kasten haben, mit ihm kann man sich gut unterhalten. Ich gestehe, daß die meisten Friedhofsverwalter ganz nette Kerle sind und die in meinen Geschichten immer wieder vorgeführten Quallenmenschen, Po-Kratzer und Dumpfbacken eher die Ausnahme sind; aber es sind eben besonders erzählenswerte und oft erheiternde Ausnahmen.

Zwanzig Minuten vergehen wie im Fluge, ich habe einige Neuigkeiten aus der Branche erfahren, da kommt der Bentley der Rothaarigen auf den Parkplatz gefahren.

Sie sieht toll aus, ihr Haar ist jetzt gelockt, das gefällt mir gut.

Wenn es um das Aussuchen von Grabsteinen geht, halte ich einen Spaziergang über den Friedhof für eine der besten Möglichkeiten.
Auf dem Ausstellungsgelände oder im Katalog eines Steinmetzes sieht man nur einen Teil des Möglichen, viel 08/15 und wenig Extravagantes.
Meist fällt die Entscheidung dann im Bereich der 08/15-Grabsteine.
Und später, wenn sie sich dann auf dem Friedhof genauer umschauen, dann ärgern sich die Leute, weil sie noch ganz andere Sachen entdecken.

Während wir an den Gräberreihen entlangschlendern, erkläre ich der jungen Frau: „Schauen Sie nach der Form der Grabsteine. Wenn Ihnen eine Form und eine Größe zusagen, sagen Sie mir das. Achten Sie auch auf das Material und die Farbe. Sie können den Stein, der Ihnen von der Form her gefällt immer auch in anderen Farben haben. Später gucken wir dann mal nach Schriften, die ihnen gefallen. So bauen wir Stück für Stück Ihren Wunschstein zusammen.“

Ihr gefällt diese Vorgehensweise und am Ende habe ich einen zwei Meter großen Engel aus Marmor mit einem Sockel mit goldfarbenen Buchstaben auf dem Zettel.
Na, ob diese Engel heute noch erlaubt sind? Ich werde das prüfen müssen.

„Können wir uns mal ein wenig hinsetzen, ich habe einen Stein im Schuh“, sagt sie und lächelt ihr zauberhaftes Grübchenlächeln.

Ich bewundere Frauen dafür, daß sie auf dermaßen spitzen und hohen Absätzen überhaupt laufen können, und dann noch auf den Kieswegen eines Friedhofs …

Ein Vogel irgendwo im Baum über uns flötete eine Melodie, die genau klang wie irgendein bekannter Handyton.

Wir sprechen darüber und auf einmal sagt sie zu mir: „Ach, hören Sie doch auf, mich immer zu siezen. Ich mag nicht einmal seinen Nachnamen. Nennen Sie mich Iris.“

Nun bin ich kein Freund des vorschnellen Duzens und nicke das deshalb erstmal nur ab. Im weiteren Verlauf wechsele ich dann zu Iris und ‚Sie‘, das erscheint mit angemessener und vermeidet dennoch den Nachnamen.

Iris lehnt sich weit auf der Bank zurück, streckt die Beine weit von sich und genießt mit geschlossenen Augen die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.

Auf einmal sagt sie: „Ach, mein Gott, wir sollten uns eine Bank im Schatten suchen, ich liebe ja die Wärme der Sonnenstrahlen, aber als rothaariger und hellhäutiger Mensch werde ich überhaupt nicht braun, ich werde bloß rot und fleckig und habe immer sehr schnell einen Sonnenbrand. Sie müßten mal sehen, wie mein Körper aussieht, wenn ich zu lange an unserem Pool gelegen habe.“

Ich kann nicht anders, ich bin ein Mann, und ich stelle mir das vor.

-Fortsetzung folgt-


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 12. Mai 2015

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4 Kommentare
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Arno Nühm
9 Jahre zuvor

Das stelle ich mir auch gerade vor.

Georg
Reply to  Arno Nühm
9 Jahre zuvor

@Arno Nühm:
Dann bin ich enweder kein Mann oder mit 50 Jahren auf dem Buckel und 30 Jahren Ehe ist man da abgestumpft denn mir geht es nicht so,ich traue diesem Weib zu das sie die Zeche prellt……………….

Bernd
9 Jahre zuvor

oh man, …..
und schon wieder heißt es warten

Stefan G.
9 Jahre zuvor

Da steht nicht „Fortsetzung folgt…“.
Schreib da sofort hin: „Fortsetzung folgt..“ los! 🙂




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