Manche Themen sind wie eine offene Dose Thunfisch im Hochsommer: Kaum ist sie auf, schwärmen sie herbei – die Möwen der digitalen Fehlinformation. Und so kam es, wie es kommen musste: Der Anblick der aufgebahrten Leiche von Papst Franziskus, insbesondere die Haltung seiner Hände, wurde zur Steilvorlage für das Internet – dem einzigen Ort, an dem sich absolute Ahnungslosigkeit mit absoluter Überzeugung paart.
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Kaum war ein erstes Bild des verstorbenen Pontifex erschienen, flatterten auch schon die Kommentare auf Plattformen wie X, Facebook oder TikTok ein:
„Warum sehen seine Hände aus, als würden sie schweben?“
„Das ist doch inszeniert!“
„Da stimmt was nicht! Illuminatenritual? Transhumanismus?“
„Der Papst gibt im Tod eine geheime Botschaft an Satanisten.“
„Da haben die Einbalsamierer absolut versagt. Grober Fehler.“
„Der Papst war ein Echsenmensch und da kann man die Hände nicht falten, wegen der Schwimmhäute.“
Amüsant bis beunruhigend ist dabei weniger die Frage selbst – sondern die schiere Vehemenz, mit der völlig ahnungslose Laien ihre Meinungen als Expertenurteile verkaufen. Man hat offenbar ein paar True-Crime-Podcasts gehört, mal CSI gesehen und sich drei Fatzbuck-Threads einverleibt – schon darf man sich zum thanatopraktischen Großmeister aufschwingen.
Interessanterweise bekommen ja die blödesten und sichtbar falschesten Behauptungen immer die meisten Likes und den größten Zuspruch. Es steht ja im Netz, also muss es ja stimmen; auch wenn der Absender „Schrumpelwarze128“ heißt.
Die Realität? Völlig unspektakulär – aber fachlich korrekt.
Papst Franziskus wurde, wie heutzutage bei bedeutenden kirchlichen Persönlichkeiten üblich, thanatopraktisch behandelt. Dabei handelt es sich um ein modernes Verfahren des sogenannten „modern embalmings“ – ein Fachbereich, den ausgebildete Thanatologen weltweit praktizieren. Nein, das bedeutet nicht, dass der Verstorbene ausgehöhlt, mit Formalin aufgeblasen oder mit Drahtgestellen präpariert wurde – auch wenn das einige Möchtegern-Mystiker im Netz so darstellen.
Was passiert tatsächlich?
Bei der modernen Thanatopraxie werden die Körperflüssigkeiten – insbesondere Blut – durch konservierende Flüssigkeiten ersetzt. Dies geschieht über gezielte arterielle Zugänge. Organe werden hierbei nicht entfernt. Ziel ist es, das Gewebe zu stabilisieren, Fäulnisprozesse zu unterbinden und ein möglichst würdevolles, friedliches Bild des Verstorbenen zu ermöglichen – insbesondere bei langem öffentlichen Abschied, wie es bei einem Papst der Fall ist.
Im Gegensatz zur Einbalsamierung ist das Ziel nicht die dauerhafte Erhaltung des Leichnams sondern die Aufrechterhaltung eines vorzeigbaren Zustands für die Dauer einer Aufbahrung bis zur Beisetzung.
Totenstarre, Medikamente und ein dicker Bauch
Was viele digitale Hobby-Gerichtsmediziner nicht wissen (und leider auch nicht googeln), ist Folgendes:
Jeder Mensch durchläuft nach dem Tod eine Totenstarre. Diese beginnt wenige Stunden nach dem Versterben und löst sich nach einiger Zeit wieder. Wie schnell, wie intensiv und in welchen Bereichen sie einsetzt, ist individuell sehr unterschiedlich – abhängig von Krankheitsgeschichte, Medikamentengaben, Muskelzustand, Ernährung, Körperbau und Umgebungstemperatur.
Im Fall von Franziskus kam einiges zusammen:
- Lange Vorerkrankung
- zahlreiche Medikamente
- ein deutlicher Bauchumfang
- und das fortgeschrittene Alter
Wer schon einmal versucht hat, die Hände eines korpulenten, älteren Verstorbenen nach der Totenstarre zu falten, weiß: Das ist manchmal so einfach wie Origami mit Gummibärchen. Selbst wenn sich die Totenstarre gelöst hat, bedeutet das nicht, dass sich Gelenke wieder weich und geschmeidig bewegen lassen. Die Muskulatur ist nicht mehr aktiv, das Gewebe erschlafft ungleichmäßig – und in Kombination mit der Kleidung, dem Ankleideprozess und der Lagerung kann es dazu führen, dass die Hände nicht exakt in der typischen „Gebetshaltung“ ruhen, sondern etwas steifer oder leicht erhöht erscheinen.
Keine Magie. Keine Verschwörung. Kein Skandal.
Das Bild, das einige als „seltsam“ oder gar „inszeniert“ bezeichnen, ist ganz einfach die Folge biologischer und praktischer Umstände, wie sie in der Thanatopraxie täglich vorkommen können.
Papst Franziskus wurde würdevoll hergerichtet – unter Anwendung modernster konservierender Verfahren – und mit größter Sorgfalt aufgebahrt. Es gab keinerlei Anzeichen für Missachtung pietätvoller Standards, ganz im Gegenteil.
Wer daraus nun ein mystisches Spektakel oder einen Verschwörungsmythos ableiten möchte, der sollte sich weniger mit Telegram-Gruppen und mehr mit seriösen Fachquellen beschäftigen. Oder, wie wir Bestatter oft sagen: Wer keine Ahnung hat, darf sie gerne behalten. Oder wie Dieter Nuhr es sagte: „Einfach mal Fresse halten“
Fazit für den gesunden Menschenverstand
Die Haltung der Hände des toten Papstes ist nichts Außergewöhnliches.
- Sie ist weder ein Zeichen für Manipulation,
- noch für postmortale Telekinese,
- noch für „okkulte Praktiken“.
Sie ist schlicht das Resultat menschlicher Biologie, konservierender Technik – und der Grenzen, die sich im toten Körper ganz natürlich setzen.
Es ist in Zeiten wie diesen umso wichtiger, dass Fachwissen nicht von Fantasie ersetzt wird. Thanatologie ist kein esoterisches Hobby, sondern ein Beruf mit Ethik, Ausbildung und Verantwortung.
Leserfrage: „Hätte man das nicht schöner hinbekommen können?“
Ach ja, die Klassikerfrage: „Hätte man das nicht schöner machen können?“
Kurzantwort: Ja, hätte man.
Langantwort: Man hätte, aber man sollte nicht – und das aus gutem Grund.
Die Aufbahrung eines verstorbenen Papstes ist keine modische Inszenierung und auch keine Photoshop-Challenge. Es handelt sich um einen hochsensiblen, religiös und diplomatisch bedeutsamen Akt – bei dem jede Handlung mit größter Behutsamkeit vorgenommen wird. Und das nicht ohne Grund.
Denn die Geschichte hat gelehrt, was passieren kann, wenn man zu forsch oder ehrgeizig zu Werke geht.
Fallbeispiel I: Papst Pius XII (gestorben 1958)
Pius XII wurde – sagen wir mal: mit übermäßiger Innovationsfreude konserviert. Der damalige Leibarzt hatte ein eigenes Konservierungsmittel entwickelt und damit experimentiert. Das Ergebnis war weniger erbaulich:
Der Leichnam begann bereits während der Aufbahrung zu verwesen. Gerüchten zufolge war der Geruch so intensiv, dass Wachposten ohnmächtig wurden. Das Gesicht verfärbte sich, Blasen bildeten sich auf der Haut, und die Nase kollabierte. Nicht ganz das, was man sich unter einem würdigen Abschied vorstellt.
Fallbeispiel II: Papst Benedikt XVI (gestorben 2022)
Auch bei Benedikt XVI verlief die Aufbahrung nicht ganz makellos. Trotz modernerer Methoden wirkte der Leichnam – nach Meinung vieler Beobachter – ungewöhnlich starr, fast wächsern. Vor allem die Mundpartie erschien verspannt und unnatürlich geschlossen. Das lag unter anderem daran, dass man (völlig zu Recht) keine gewaltsamen Eingriffe oder operative Fixierungen vorgenommen hatte. Hier wurde also ebenfalls auf Kraft verzichtet – was optisch nicht jedem gefiel, aber ethisch korrekt war.
Franziskus: Würde vor Optik
Vor diesem Hintergrund hat man sich bei Papst Franziskus bewusst für eine sehr zurückhaltende, würdevolle Behandlung entschieden – nach den Standards der modernen Thanatopraxie: langsam, achtsam, ohne Druck und ohne gewaltsames Erzwingen von Körperhaltungen. Ob der Papst zu Lebzeiten bestimmte Wünsche für die Haltung seiner Hände während der Aufbahrung geäußert hat, ist nicht öffentlich bekannt. Aber gerade deshalb wurde vermutlich alles vermieden, was nach Manipulation oder Zwang hätte wirken können.
Und dann gibt es da noch einen ganz praktischen Aspekt, den einige „Aufbahrungskritiker:innen“ gerne übersehen:
Papst Franziskus war ein kräftiger, übergewichtiger Mann mit nicht sehr langen Armen. Laut Aussage erfahrener Thanatologen hätte es u.U. grotesk ausgesehen, wenn man versucht hätte, die Hände noch zehn Zentimeter näher zusammenzuführen. Seine Ellenbogen wären dann seltsam abgespreizt und schwebend erschienen – ein Bild, das mit Sicherheit noch mehr Spekulationen ausgelöst hätte.
Fazit: Das war kein Versäumnis – das war das Beste, was möglich und ethisch vertretbar war
Die Haltung der Hände war kein Zeichen von Nachlässigkeit, sondern ein Ergebnis von Respekt, Erfahrung und Zurückhaltung. Man hat genau das getan, was in diesem Fall möglich war – ohne Verrenkung, ohne Zwang, ohne kosmetischen Ehrgeiz auf Kosten der Würde.
Und wenn das Ergebnis nicht perfekt symmetrisch oder instagrammable ist – dann liegt das schlicht daran, dass der Tod nun einmal nicht normschön ist. Und das ist auch gut so.
In diesem Sinne: Wir wissen es alle: Echsenmenschen lassen sich die Schwimmhäute immer auftrennen. Und: Wenn Dir das nächste Mal jemand erzählt, Papst Franziskus schwebe, weil seine Seele „noch nicht ganz gegangen“ sei – dann schenke ihm doch ein Buch über Anatomie. Oder besser: empfehle ihm das Bestatter-Weblog.
- pope-francis-embalming: Peter Wilhelm KI
- pope-francis: Rome Reports via YouTube Screenshot
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