Allgemein

Die Vossmanns

orgel

Familie Vossmann erschien hier sechsköpfig. Keine Angst, es folgt keine Schauergeschichte, jeder von denen hatte schon ganz genau einen Kopf, aber es waren sechs Leute an der Zahl. Alles Kinder und Schwiegerkinder des verstorbenen Kartoffelhändlers Rudibert Vossmann.

Vossmann war hier in der Stadt ein sehr bekannter Mann, jeder kennt seine Geschichte, er hatte es von einem einfachen Markthändler zu einem der führenden Kartoffel-Großlieferanten des ganzen Landes gebracht. Sparsamkeit, Fleiß und eine gewisse Portion Bauernschläue hatten ihn erfolgreich sein lassen.

Was ihn stets sehr betrübt hatte, und das hatte er mir mal vor Jahren in ganz anderem Zusammenhang persönlich erzählt, war die Tatsache, daß keines seiner Kinder Interesse an seinem großen Betrieb zeigte. „Es ist ein Fluch, den ich selbst herbeigerufen habe“, sagte er, „hätte ich die nicht alle was Anständiges lernen lassen, wären die vielleicht hier geblieben.“

Werbung

So aber haben seine beiden Söhne und seine Tochter studiert und außerhalb Karriere gemacht.
Walbert ist Arzt an einem Krankenhaus, verheiratet mit einer ebenso liebreizenden, wie doofen Sonja, sein Bruder Gundbert ist Finanzfachwirt und hat eine weithin bekannte Immobilienfirma in einer weit entfernten Stadt, ist mit der etwas fülligen und lauten Anne verheiratet und die Letzte im Bunde, Schwester Rosemarie (Ha! Nix mit Bert!) ist Architektin und mit Paul verheiratet, der angibt Künstler zu sein, mir auch ganz genau erklärt hat, was er so macht, ich habe es aber nicht verstanden.

Warum ich mich erdreiste, zu behaupten Sonja sei doof, ergibt sich aus ihrer ersten Frage. Dieser dumme Dosendeckel sitzt mit ihren Schwägern und Schwägerinnen bei mir, um über die Bestattung des Schwiegervaters zu sprechen und stellt mir als Allererstes die Frage: „Ist der Papa jetzt schon beerdigt, oder was?“

Nein, ist er nicht, der ist gestern Abend erst gestorben; ich meine, das weiß man doch, daß da erst noch was kommt und der Bestatter die Leute nicht abholt und binnen einer Stunde verscharrt.
naja, vielleicht ist sie etwas aufgeregt und ich will ihr das mal als Bonus zugute halten. Dann aber fragt sie ihre Leute und ich traue meinen Ohren nicht: „Wenn der Papa vom Schlag getroffen wurde, wer hat ihn denn geschlagen?“
Allgemeines „Pssssst!“ und Augenverdrehen.
Walbert und Gundbert haben sich offenbar im Vorfeld kurz über den Ablauf unterhalten und äußern ziemlich konkrete Wünsche: Trauerfeier auf dem Zentralfriedhof, großer Eichensarg, Einäscherung und spätere Urnenbeisetzung in einem Ruhewald.
Die beiden Frauen, die etwas laute Anne und die leicht durchgeistigte Rosemarie, blitzen sich schon die ganze Zeit an, das ist mir nicht entgangen.

Wir suchen gemeinsam einen Sarg aus, es läuft gut für uns, es wird ein teurer Sarg, man bestellt keine Blumen, weil man selbst genügend Gärtner kennt und das selbst machen will und wir kommen dann zunächst bei der Zeitungsanzeige etwas ins Stocken. Rosemarie will unbedingt ihren Doppelnachnamen mit in der Anzeige haben, die anderen wollten nur die Vornamen nehmen.

„Du wolltest ja schon immer etwas Besseres sein“, giftet Anne sie an, die anderen schreiten gleich ein, vermitteln und schließlich ist es Künstler Paul der betont, keinen Wert darauf zu legen, daß sein Nachname mit auftaucht. Insgesamt will man meine Vorschläge zur Gestaltung aber nicht hören, versteigt sich in die aberwitzigsten Formulierungen, verplempert eine ganze Stunde, verwirft schließlich alles wieder und fragt dann abschließend: „Wie war das noch mal, was Sie ganz am Anfang vorgeschlagen hatten?“ Dann nimmt man das, was ich so meinte und endlich können wir uns den weiteren Formalitäten zuwenden.

Ganz vorbildlich haben die beiden Söhne alle Unterlagen mitgebracht und ich kann meine Liste schnell abarbeiten. Doch dann explodiert die Stimmung! Walbert zieht bei der Frage nach Versicherungen und dergleichen eine Police aus der Tasche und möchte, daß wir für ihn mit einer Sterbeurkunde die Versicherungssumme beantragen.

„Was ist das denn für eine Versicherung?“ will sein Bruder wissen und Sonja zieht sich gleich das Formular hinüber: „200.000 Euro!“ kräht sie und hält die Police ihrem Mann Walbert vors Gesicht.
Walbert lehnt sich zurück, macht ein gleichgültiges Gesicht und erklärt: „Das ist eine Lebensversicherung, die ich auf Papa abgeschlossen habe. Ich habe die Beiträge bezahlt und ich bekomme auch das Geld!“

Nun muß man wissen, und deshalb ist der alte Vossmann auch noch sehr bekannt gewesen, daß er Jahrzehnte mit seinem Betrieb im Gewerbegebiet unserer Stadt ansässig war. Als eines Tages eine große Betriebserweiterung anstand, verweigerte ihm die Stadtverwaltung ein angrenzendes Grundstück und nach langem Hin und Her, das auch detailliert durch die Presse gegangen ist, zog Vossmann mit dem ganzen Betrieb in eine kleine Ortschaft vor den Toren der Stadt. Dort bot man ihm den benötigten Platz, eine großzügige Gewerbesteuerregelung und darf sich nun nach seinem Tod über die „Vossmann-Stiftung“ freuen, die eine Seniorenresidenz, eine Kindertagesstätte und einen Kunstpark finanzieren wird.

Was die Kinder erhalten, weiß man nicht, es dürfte aber nicht wenig sein. Aber 200.000 Euro mehr zu haben oder nicht, das macht auch für solch „arme“ Leute einen Unterschied. Und es ist ja nicht verboten, auf jemand anders die, Lebensversicherung genannte, Wette auf den Tod abzuschließen. Genau das hatte Walbert getan, brav die Prämien entrichtet und darf sich jetzt als Begünstigter über die Versicherungssumme freuen.

„Das ist pietätlos!“ giftet Sonja, die nicht kapiert zu haben scheint, daß ihr das Geld ja auch zugute kommen wird. Anne greift den Gedanken aber bereitwillig auf und wiederholt: „Jawoll, pietätlos!“

„Wieso?“ rechtfertigt sich Walbert: „Als ich die Versicherung vor zwei Jahren abschloss, da lebte Vater ja noch und erfreute sich bester Gesundheit. Pietät hat immer was mit dem Tod zu tun, da war er aber noch quicklebendig.“

„Du kannst doch nicht auf dem Tod unseres Vaters setzen!“ schimpft sein Bruder und Schwester Rosemarie stimmt zu: „Man schlägt kein Kapital aus dem Tod eines anderen Menschen.“

Ich kann nicht anders und sage etwas leise: „Ich schon.“

Sechs Köpfe fahren zu mir herüber, man schaut mich erst entsetzt an, ich zucke nur mit den Schultern und sage: „Meine Großmutter hat immer gesagt: Was dem einen sin‘ Uhl, is‘ dem anderen sin‘ Nachtigall!“
Dann schwindet das Entsetzen aus ihren Gesichtern und ich gaube es war Anne, die zuerst lachte, dann lachten alle.

Walbert nimmt die Police an sich und sagt: „Ihr seid doch nur neidisch, weil ich die Idee mit der Versicherung hatte und ihr nicht.“

„Dann kannst Du aber auch die Beerdigung bezahlen, das steht mal fest!“ beschließt sein Bruder Gundbert, der bis dahin recht ruhig geblieben ist. Die beiden Brüder schauen sich eine Weile schweigend an, dann nickt Walbert und sagt zu mir: „Schreiben Sie bitte mich als Auftraggeber auf.“

Eine kluge Entscheidung, wie ich finde. Ein paar Tausend Euro für die Beerdigung und seine Geschwister halten den Mund wegen der Lebensversicherung.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#vossmanns

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)