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Dr. Fu Man Chu

Es ist 4.45 Uhr morgens und schon wieder einmal habe ich eine Nacht ohne Schlaf hinter mir. Das heisst, lügen soll man ja nicht, von 1 bis 2 habe ich gepennt, dann musste ich raus. Um halb drei in der Früh fuhr ich mit, eine Verstorbene daheim abzuholen. „Bitte holen Sie meine Mutter sofort, die hat bei uns gelebt und ich möchte gerne, dass sie schon fort ist, wenn meine beiden Kinder morgen früh wach werden.“

Die Mutter war ein Tannenbäumchen, wie wir es nennen, oben ganz schmal und unten ganz breit. Auf den ersten Blick denkt man, das könne mal leicht werden, schlägt man aber die Bettdecke zurück, sieht man, dass das eine Täuschung war. Bestatter bekommen jeden Toten überall hinausgetragen, so eng kann ein Treppenhaus gar nicht sein, daß wir das nicht schaffen. Wir haben da so unsere Tricks.

Dieses Treppenhaus war aber besonders eng, die Angehörigen haben zugeschaut, also heisst es, die Trage immer schön waagerecht halten und immer mal wieder ganz weit runterbücken, dann wieder gestreckt hochstemmen und das mit 80 Kilo auf der Trage. Geht ordentlich in die Arme.

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Aber es ist alles gut gegangen und wir haben die alte Dame gerade bei uns ausgeladen, da ruft eines unserer Stamm-Altenheime an: Sofort kommen, zwei Herrschaften müssen gefahren werden.
Ich grunze ein bißchen was von später, nach Acht. Aber nein, der Leichenraum ist voll, bitte kommen sie sofort.

Zwei neue Tragen einladen, nochmals durch die ganze Stadt, wenigstens dürfen wir durch die Fußgängerzone und können ordentlich abkürzen. (Eigentlich dürfen auch wir nicht, aber wer schreibt morgens um kurz nach drei einen Leichenwagen auf? – Auch sonst macht das keiner, wenn man sich benimmt. Wir parken auch nie aus Spaß in der zweiten Reihe… )

Im Altersheim das geht sehr zügig, kurz vor vier sind wir wieder hier.

Piepst mich mein Mitarbeiter an: „Chef ich hab nochmal die Papiere von der alten Dame gecheckt, da fehlt die Hälfte.“

Es stellt sich heraus, dass ein wichtiger Umschlag bei den Leichenschaupapieren fehlt. Den brauchen wir aber später, wenn wir zum Standesamt fahren und den Todesfall amtlich anzeigen wollen. Welcher Arzt hat unterschrieben? Aha, es ist Dr. Fu-Man-Chu, wie wir ihn nennen. Ich weiß schon, was mir blüht! Der macht ganz viel Bereitschaft, lässt sich in einem Taxi mit so einem Blinkeschild duch die Gegend fahren und hat unseren Todesfall bescheinigt. Jetzt muss ich ihn erreichen, unbedingt noch heute Nacht, denn morgen früh, was eigentlich heute früh ist, fängt der um kurz nach Neun an zu operieren und dann kriege ich den Kerl den ganzen Tag nicht mehr. „Der Herr Doktor operiert. Der Herr Doktor diktiert gerade. Der Herr Doktor ruht gerade. Der Herr Doktor ist in einer Besprechung.“
Ja, ich weiß, Ärzte haben einen harten Job. Aber warum nimmt er auch unsere Papiere mit, das darf der gar nicht! Ich weiß aber warum der das macht. Der bekommt 95 Euro für seine Bemühungen und weil Krankenkassen nur für Kranke und nicht für Tote zahlen, will er die Knete gerne in bar und zwar von mir.

Also heißt es, dem Taxi mit dem Blinkeschild hinterher zu telefonieren, einen Wagen loszuschicken, der den Doktor irgendwo im Stadtgebiet zwischen zwei Einsätzen erwischt, dem seine 95 Euro geben, eine vorbereitete Quittung unterschreiben zu lassen und dann endlich den fehlenden Umschlag zu bekommen.

Da sag noch mal einer, mein Job sei nicht abwechslungseich. Anderen fällt nichts Besseres ein, als nachts zu schlafen!

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(©si)