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Ein ruhiger Sonntag

Finstere, großgewachsene Gesellen ziehen gröhlend durch unser Haus, fassen alles Mögliche an, aus einem Zimmer tönt lautes Gelächter und eine Musik, die aus einer Aneinanderreihung kakophonischer Dada-Sequenzen besteht. Gekicher von Mädchen mischt sich unter maskulin vorgetragenes „Hey, hey, hey“. Ein Badezimmer steht halb unter Wasser, die Getränkevorräte sind binnen Minuten drastisch geschrumpft.
Inmitten dieses kleinen Anflugs des Chaos steht unser seit diesem Tag 15 Jahre alter Sohn und ist sichtlich überfordert.

Ab und zu kommt er zu mir in meine Gemächer, tippt mir auf die Schulter oder hampelt vor meinen Augen herum, damit ich den Wohltaten spendenden Kopfhörer mal abnehme und bittet mich um väterlichen Rat.
Der lautet den ganzen Nachmittag und Abend hindurch unisono: „Da mußt Du jetzt durch.“

Unser Sohn feiert eine Geburtstagsparty.

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Ich hatte ihn ja gewarnt und ihm im Vorfeld schon geraten, nur eine gute Handvoll Kinder Jugendliche einzuladen, aber er bestand darauf, daß wenigstens 15 junge Leute kommen dürfen, denn der Alla kommt nur, wenn auch der Rafa da ist und der Alla bringt den Hebbi mit, der aber mit unbedingte Voraussetzung, daß auch Moni kommt und auf diese Moni kommt es in gewisser Weise an.
Moni ist nämlich die Cousine von Lotta und bei ihrem Erscheinen ist auch die Teilnahme von Lisa relativ sicher. Lisa will eigentlich niemand dabei haben, weil die angeblich „voll doggy“ ist, wie auch die anderen bisher Genannten für das Gelingen der Veranstaltung eigentlich entbehrlich sind. Sie aber stehen am Anfang einer ganz bestimmten Ernährungskette, an deren Ende dann endlich Benny steht, der nur und ausschließlich kommt, wenn seine Schwester Georgia, genannt ‚Jo‘ anwesend ist und diese Jo ist nun wirklich wichtig. Sie hat nämlich die Handynummer von Julia und diese Julia ist es, die mein Sohn gerne auf seiner Party zu Gast hätte.

Warum er denn nicht nur diese Julia zu einem romantischen Nachmittag einlade, will ich von ihm wissen und ernte einen Blick, der mir deutlich zeigt, daß die neuerlichen Entwicklungen auf dem Gebiet romantischer Liebestechniken in den letzten 30 Jahren vollkommen an mir vorbeigegangen seien. Das sei ja wohl „voll unmöglich“ und er sei ja kein „Loser“. Nur die allergrößten Verlierer gäben sich die Blöße eine ‚Frau‘ direkt anzusprechen, alle anderen gockelten mit dem Handy herum und versuchten, das Herz des Weibchens durch 30buchstabige Sinnlos-SMS zu erobern.
Der Erfolg stelle sich aus der Sicht meines Sohnes deshalb nicht ein, weil 30 Buchstaben ja nun eine ungeheure Menge an deutscher Sprachabsonderung darstellten und es nahezu unmöglich sei, sich soviel Spracherguß abzuringen.

Letztens erst habe er sich mit Julia zu einem Kinobesuch verabreden wollen, die habe aber abgesagt.

„Wie sahen denn die SMS aus?“

„Kann ich Dir zeigen, guck mal!“

Junge: „wie?“ (Das heißt ‚Wie geht’s?‘)
Mädchen: „ÖL“ (das bedeutet OK und wird von der automatischen Korrektur zu ÖL berichtigt)
Junge: „was?“
Mädchen: „chillen“ (Ausruhen)
Junge: „Movie?“
Mädchen: „Wann?“
Junge: „Kinopomaxx“
Mädchen: „Nich wo, wann?“
Junge: „ÖL“
Mädchen: „WANN???“
Junge: „Dann eben nicht!“
Mädchen: „Hab schon lust“
Junge: „Ich hätte Zeit“
Mädchen: „Kino is shit“
Junge: „cooler Film“
Mädchen: „sowieso“
Junge: „Und?“
Mädchen: „muss mit den grufties weg“
Junge: „ÖL“

Ich schaue fassungslos vom Handy auf und bin zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, daß die beiden sich über völlig verschiedene Dinge und dann auch noch aneinander vorbei ge“simst“ haben.
Ach, was war es doch schön, als es noch Zettel gab:

Willst Du mit mir gehen?
(_) Ja
(_) Nein
(_) Vielleicht

So haben wir das früher gemacht und es war höchstens eine Person als postillon d’amour erforderlich, denn auch damals galt es als unschicklich, solche Zettel direkt auszutauschen.

Die Situation bei meinem Sohn ist also, daß er gerne eben diese Julia zu Gast hätte und noch seine Schwester und zwei Cousins, sowie einen gewissen Gaetano, von dem niemand weiß, ob und wie der mit uns verwandt sein könnte, der aber seit 12 Jahren bei allen Geburtstagen unserer Kinder immer eingeladen wird. Das sind mit dem Geburtstagskind Geburtstagsjugendlichen sechs Personen.
Aber Julia ist unerreichbar und käme nur wenn auch die oben genannte Kette an Voraussetzungskettenkindern kommt und genau deshalb sind es ganze 15 Leute die sich da zwischen dem Zimmer meines Sohnes, dem überschwemmten Bad und der Küche tummeln.
Und genau mit dieser Zahl an Gästen ist der liebe Sohn heillos überfordert.

Alle Feiern bisher hatte er auf seinem Sofa sitzend und von einer Handvoll Kindern umringt und Geschenke auspackend und futternd verbracht.
Insgesamt 16 Personen benötigen aber jemanden, der für Getränkenachschub sorgt, Teller, Gabeln, Gläser und noch mehr Nachschub liefert und das hält meinen Sohn auf Trab. Eigentlich ist er nur auf den Beinen und ständig irgendwo im Haus unterwegs, was seinen übermütigen Gästen immer wieder die Gelegenheit gibt, während seiner vorübergehenden Abwesenheit sein Zimmer auf den Kopf zu stellen.

Ich hatte es ihm vorher gesagt! Ich hatte es ihm so prophezeit! Aber ich bin ja nur ein jämmerlicher, alter Mann, der „null Ahnung“ hat.

Ich habe dann meine Kopfhörer etwas lauter gedreht, noch etwas vom Guten nachgeschenkt und mein kleine Reich genossen.

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(©si)