Geschichten

Eine günstige Gelegenheit

Fünf Jahre hatten die Allerliebste und ich in jüngeren Jahren in der ehemaligen Chef-Wohnung über dem Büro einer Druckerei gewohnt. In Zeiten großer Wohnungsnot war uns diese Wohnung angeboten worden und kam uns wie ein Segen vor.

Die Wohnung war schön geschnitten, recht groß und vor allem sehr günstig. Beim Strom und bei den Nebenkosten hatte der Vermieter eine große geschweifte Klammer in den Mietvertrag gemacht und „inklusive“ hingeschrieben. Er bekäme für die nebenanliegende Druckerei ganz billigen Gewerbestrom und die Heizung unserer paar Quadratmeter würde angesichts der riesigen Druckhalle ja wohl kaum ins Gewicht fallen. Wo gibt es sowas noch? Prima!

Der Mietvertrag war unterschrieben, da ruft er mich an: „Haben Sie im Mietvertrag gelesen, dass das eine Betriebswohnung ist?“

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Ja, das hatten wir gelesen; er hatte uns ja erzählt, dass da früher sein Vater als Chef der Druckerei gewohnt habe. „Ja, dann wissen Sie ja auch, dass damit gewisse Aufgaben verbunden sind. Ist nicht viel, aber einmal die Woche die Mülltonnen rausstellen und vorne den Bürgersteig kehren.“

Okay, das kannten wir hier vom Musterländle nicht anders. Kehrwoch‘ nennt sich das. Irgendwas muss man hier immer „alle Woch'“ machen, Eimer rausstellen, Keller putzen, Treppenhaus, Gehweg, Briefkästen desinfizieren, Blumen im Treppenhaus gießen oder morgens die Kamele des Nachbarn auf die Weide bringen…
Überwacht wird das normalerweise von Josef Goebbels Schwiegermutter, die immer unten in der rechten Parterrewohnung wohnt und ihr Leben hinter einer stets spaltbreit geöffneten Wohnungstür fristet, immer bereit, Dir kurz nach dem Betreten des Hauses mit ihren freundlichen Hinweisen auf versäumte Gemeinschaftsaufgaben den Tag zu vermiesen.

Aber diese Art von Concierge durften wir erst später in der Person der allseits geliebten Frau Ruckdäschel in unserer übernächsten Wohnung kennenlernen. An dieser Adresse gab es außer uns niemanden im Haus; nur die Leute vom Druckereibüro, aber die gingen spätestens um 16 Uhr.

In diesem Fall übernahm der Vermieter, der Druckereibesitzer, selbst die Überwachung. Er wohnte schräg gegenüber und hatte vom Fenster aus einen wachen Blick auf unser Treiben.

Kurz nach dem Einzug stand er bei uns auf der Matte und verkündigte mit hochrotem Kopf die fristlose Kündigung: „Ihr habt Euer Arbeit net rischtisch gemacht!“
Mit „einmal die Woche die Mülltonnen“ rausstellen, hatte er nämlich auch noch gemeint: Im Druckereibüro alle Papierkörbe einsammeln und in einen Container entleeren, mal eben mit dem Vorwerk durchsaugen und die Schreibtische feucht abwischen.

Die Allerliebste und ich waren ratlos. Was sollte das denn?
Davon war nie die Rede gewesen. Wir verbrachten eine unruhige Nacht, schliefen kaum und hatten Zukunftsängste.

Am nächsten Morgen stand der Vermieter schon früh vor der Tür, in der linken Hand einen improvisierten Fresskorb und in der rechten Hand eine Flasche Wein. So habe er das doch nicht gemeint, wir seien doch so nett und man solle doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber angesichts der wirklich geringen Miete, wäre es ganz arg lieb, wenn wir die paar kleinen Reinigungsaufgaben eben mal miterledigen könnten. Als kleine zusätzliche Entschädigung würde er uns regelmäßig tolle Warenproben und Eintrittskarten auf die Treppe legen.

Dazu muss man wissen, dass diese Druckerei Kartonagen für einen bekannten Waschmittelhersteller und einen Lebensmittelkonzern herstellte. Dazu bekamen sie manchmal ganze Paletten mit Warenmustern zum Ausprobieren. Auch Eintrittskarten wurden dort gedruckt, wovon die Druckerei immer ein Freikontigent bekam.

Jau, wir haben zugestimmt.
Fortan lief alles super. Wir fühlten uns in der Wohnung richtig wohl, richteten sie sehr schön ein und genossen vor allem die geile Lage des Hauses auf einer Halbinsel im Neckar und die Ufernähe. Meine Spaziergänge mit dem Hund am Flussufer waren einfach toll.
Auch die zugesicherten Warenproben und Tickets bekamen wir regelmäßig. Zentnerweise Nudeln, immer ausreichend Waschpulver und kistenweise Duschgel, Shampoo und Milchpumpendesinfektionsmittel.
Mit den Eintrittskarten besuchten wir die Vorstellungen von Künstlern, die man entweder gar nicht kannte, eigentlich nicht mochte, oder deren Konzerte wir aus Kostengründen sonst nie hätten besuchen können.
Wir waren mit dem getroffenen Arrangement sehr zufrieden. Für das bißchen Mehrarbeit gab es einen mehr als ausreichenden Gegenwert in Naturalien.

Ein halbes Jahr später kräht uns wieder abends ein rotköpfiger Gockel die fristlose Kündigung um die Ohren. Was uns denn einfiele, den Garten so zu vernachlässigen. Das Gras stehe schon einen halben Meter hoch und überall kämen Disteln raus.
„Morgen Mittag ist das gemacht, aber tiptopp, sonst seid ihr morgen Abend raus!“

Die Reinigungsarbeiten im Büro fielen nur einmal die Woche an und es war eine wirklich leichte Arbeit, die schnell erledigt war. Dafür hatten wir eine wirklich schöne, ruhige und günstige Wohnung.
Aber noch zusätzlich Gartenarbeit?

Man kann sich denken, wie es weitergeht: Am nächsten Morgen steht der Vermieter mit einem Tablett vor unserer Tür, Brötchen, Eier, Marmelade und eine frische Rose. Es täte ihm alles so wahnsinnig leid. Manchmal habe er es so am Magen und dann komme es in ihm hoch…

Er geht nochmal 50 Mark mit der Miete runter, wenn wir den großen Rasen mähen und das lange schmale Beet sauberhalten.

Wir haben wieder eingewilligt.

Doch die Allerliebste und ich begaben uns ab dem Tag wieder auf Wohnungssuche. Wer weiß, was dem noch alles einfällt. Am Ende müssen wir auch noch in der Druckerei mithelfen oder regelmäßig bei ihm zu Hause Gitarre spielen und tanzen oder sowas.

Da konnte die schöne Wohnung noch so günstig sein, wir wollten lieber was, wo der Vermieter möglichst weit weg wohnt.

Episodenliste: 

Bildquellen:
  • gelegenheit1: Peter Wilhelm KI


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Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 9. April 2025

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