Fundstücke

Eine Leiche vor Gericht

Leichensynode

Normalerweise stehen die Mörder vor Gericht und die durch ihre Tat erzeugte Leiche spielt nur eine traurige Nebenrolle. Es gibt aber auch Fälle, in denen eine echte Leiche vor Gericht steht. So bei der sogenannten Leichensynode.

Die Kadaversynode: Ein bizarrer und makabrer Vorfall der Kirchengeschichte

Im Januar 897 n. Chr. fand eines der bizarrsten Ereignisse der Kirchengeschichte statt: die Leichensynode, auch Kadaversynode genannt. Diese Synode, die auch als „Synodus Horrenda“ bekannt ist, markierte einen Höhepunkt der politischen Intrigen und Machtkämpfe im Papsttum des späten 9. Jahrhunderts.

Hintergrund der Kadaversynode

Papst Formosus (816–896) hatte eine turbulente Zeit als Papst hinter sich. Er war 891 zum Papst gewählt worden, nachdem er zuvor als Bischof von Porto und als Gesandter des Papsttums in Bulgarien gedient hatte. Formosus’ Papsttum war von politischen Spannungen und Machtkämpfen geprägt, insbesondere in Bezug auf das Heilige Römische Reich und die Rivalität zwischen den Karolingern und den Spoleto-Herzögen.

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Nach Formosus’ Tod im Jahr 896 folgte ihm Bonifatius VI., der jedoch nur 15 Tage im Amt blieb. Ihm folgte Stephan VI., der eine persönliche Fehde mit dem verstorbenen Formosus austrug. Stephan VI. beschloss, die politische und persönliche Rechnung mit seinem Vorgänger auf makabre Weise zu begleichen.

Ein wichtiger Grund für den Schauprozess dürften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Papstwahl Stephans VI. gewesen sein. Seit dem Ersten Konzil von Nicäa im Jahr 325 war es geltendes Kirchenrecht, dass ein Kleriker wie er, der bereits in einer Diözese zum Bischof gewählt worden war, nicht Bischof einer anderen Diözese werden durfte. Wegen dieses sogenannten Translationsverbots war Stephan – nach Marinus I. und Formosus – erst der dritte Papst, der zuvor Bischof einer anderen Stadt gewesen war. Wie alle Bischöfe entstammten vor der Wahl Marinus’ auch die Päpste in der Regel den Reihen der Diakone und Priester ihres Bistums. Wenn also ein Bischof zum Papst gewählt wurde, bedeutete dies, dass er seinen früheren Diözesansitz gegen den der Stadt Rom eintauschen musste. Eine solche Translation war nach damaligem kanonischen Recht nur in Fällen von Notwendigkeit (necessitas) oder Nützlichkeit (utilitas) gestattet. Verboten war sie jedoch, wenn sie nur dem Ehrgeiz des Amtsträgers diente.

Genau das aber warf Stephan Formosus vor, der vor seiner Wahl zum Papst Bischof von Porto gewesen war. Das war sogar der Hauptanklagepunkt, obwohl – besser gesagt: weil – Stephan selbst sich der Translation schuldig gemacht hatte. Er war vor seinem Wechsel auf den Stuhl Petri Bischof von Anagni gewesen, ein Amt, das niemand anderer als Formosus ihm übertragen hatte. Wenn dieser nun nachträglich verurteilt und seine Weihen für ungültig erklärt wurden, löste sich Stephans VI. „Translationsproblem“ von selbst. Denn nach einer ungültigen Weihe wäre er de jure nie Bischof gewesen und hätte sich somit auch nicht des Wechsels in ein anderes Bistum schuldig machen können.

Um die gewünschte Verurteilung zu erreichen, wurde Formosus darüber hinaus angeklagt, er habe einen Eid gebrochen, den er Papst Johannes VIII. 878 auf der Synode von Troyes geleistet hatte. Diesem Eid zufolge hätte er nie wieder nach Rom zurückkehren dürfen. Weiterhin wurde er beschuldigt, seine Rückversetzung in den Laienstand durch Papst Johannes missachtet zu haben. Gegen diese Anklagepunkte sprach aber, dass Johannes’ Nachfolger, Papst Marinus I., Formosus schon 883 wieder als Bischof eingesetzt und von seinem Eid entbunden hatte.Quelle: Wikipedia: Leichensynode

Die Synode und der Prozess

In einer beispiellosen Aktion ließ Papst Stephan VI. den Leichnam von Papst Formosus exhumieren und vor ein Kirchengericht stellen. Der Leichnam wurde in päpstliche Gewänder gekleidet und auf einen Thron gesetzt, um den Prozess zu durchlaufen. Ein Diakon wurde ernannt, um die Antworten des Verstorbenen zu geben.

Formosus wurde unter anderem der Anmaßung beschuldigt, das Papstamt unrechtmäßig übernommen zu haben, und ihm wurden verschiedene Verstöße gegen das Kirchenrecht vorgeworfen. Es war ein groteskes Schauspiel, das weniger einem Gerichtsverfahren als einer politischen Machtdemonstration glich.

Urteil und Konsequenzen

Formosus wurde für schuldig befunden. Der Leichnam wurde der päpstlichen Insignien beraubt, seine drei segnenden Finger wurden abgeschnitten und sein Körper schließlich in den Tiber geworfen. Berichten zufolge wurde der Leichnam später von einem Mönch aus dem Fluss geborgen und beigesetzt.
Die Kadaversynode führte zu einem Aufschrei und verstärkte die Spannungen innerhalb der Kirche und der römischen Gesellschaft. Papst Stephan VI. wurde schließlich selbst gestürzt und inhaftiert. Er wurde im Sommer 897 in der Haft ermordet.
Mit Sergius III., nach dem Zeugnis des Geschichtsschreibers und Bischofs Liutprand von Cremona ein „Mörder auf dem Papstthron“, kam 904 wieder ein Parteigänger Stephans VI. an die Macht. Er verfolgte die Partei des Formosus erneut und erklärte alle Kleriker, die durch ihn oder durch einen von ihm ernannten Bischof die Weihe empfangen hatten, zu Laien. Sergius ließ die Leiche des toten Papstes ein zweites Mal exhumieren und nach der Abtrennung der übrigen Finger der Schwurhand wiederum in den Tiber werfen. Sie soll sich jedoch im Netz eines Fischers verfangen haben und wurde später in die Peterskirche zurückgebracht, um dort zum dritten Mal bestattet zu werden.

Nachwirkungen und historische Bedeutung

Die Leichensynode hinterließ ein tiefes Misstrauen gegenüber der Integrität des Papsttums. Papst Theodor II. (897) annullierte die Entscheidungen der Kadaversynode und ließ Formosus ehrenhaft bestatten. Später, unter Papst Sergius III., wurde die Synode jedoch erneut bestätigt, was zeigt, wie tief die politischen Spaltungen gingen.

Die Kadaversynode ist ein Beispiel für die extreme politische Instrumentalisierung des Papsttums in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels. Sie bleibt ein symbolisches Ereignis, das die Herausforderungen und die Korruption des mittelalterlichen Papsttums veranschaulicht.

Fazit

Die Cadaver Synode von 897 n. Chr. ist ein erschreckendes und faszinierendes Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche. Sie verdeutlicht, wie tief politische und persönliche Fehden das Papsttum durchdringen konnten und welche makabren Formen diese Fehden annehmen konnten. Dieser Vorfall bleibt ein mahnendes Beispiel für die Gefahren der Machtkämpfe innerhalb religiöser Institutionen und die extremen Maßnahmen, zu denen Menschen bereit sind, um ihre politischen Ziele zu erreichen.

Quellen

The Vintage News: Bizarre Historical Events
Leichensynode Wikipedia

Bildquellen:
  • leichensynode: Pietro Guglielmo


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 13. Juni 2024

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1 Kommentar
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Christian
6 Monate zuvor

Da gab es aber auch noch einen kirchenrechtlichen Hintergrund. Genau bekomme ich es nicht mehr zusammen.
Aber vielleicht helfen meine Stichworte und jemand kann das vervollständigen:

Damals waren Bischöfe auf ihr Bistum geweiht und konnten das nicht wechseln. Irgendwer in der Geschichte hat aber gewechselt und mit diesem Prozess wurde dann direkt die Weihe von wem anders ungültig und damit ein Konkurrent ausgeschaltet.

Ich hab gerade leider keine Zeit zum recherchieren.
Grüße Christian




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