Menschen

Einliegerwohnung

Das hatte sich Herr Gratewohl dann doch irgendwie ganz anders vorgestellt und weil alles so ganz anders gekommen ist, als er es erwartet hatte und weil die Umstände immer schlimmer geworden waren, ja genau deshalb schlägt er heute drei Kreuze, wie man so sagt, weil Frau Kranz gestorben ist.

Doch ich erzähle das am Besten mal von Anfang an.

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Das Ehepaar Horst und Magdalene Gratewohl war vor 15 Jahren auf der Suche nach einem kleinen, freistehenden Häuschen mit großem Garten. Damals stand die Pensionierung des Herrn Gratewohl in ein paar Jahren bevor und er wollte gerne einen Garten, in dem er Gemüse und Obst für den täglichen Bedarf anbauen kann.

Es war zu dieser Zeit nicht leicht, ein passendes Objekt zu finden. Entweder war das Haus nicht freistehend oder es mangelte am genügend großen Garten. Da kam dann das Haus in der Blumenstraße wie gerufen. Es erfüllte nicht nur alle Anforderungen des Ehepaars Gratewohl, sondern war zudem auch noch erstaunlich preiswert.

Der niedrige Preis und die Tatsache, daß es schon lange auf dem Markt war, waren aber durch einen Umstand bedingt, den die Gratewohls nicht richtig bedacht oder falsch eingeschätzt hatten, eben durch die bereits erwähnte Frau Kranz.
Diese Rentnerin hatte nämlich in der oberen Einliegerwohnung des Hauses ein lebenslanges Wohnrecht und man mußte sie quasi mitkaufen.

„Damals waren wir es leid, noch lange weiterzusuchen und außerdem hieß es, die Dame sei krank und komme vielleicht bald ins Heim. Wir haben uns das nicht richtig überlegt, sonst wären wir gleich drauf gekommen, daß man auch recht jung Rentnerin werden kann und daß die noch gar nicht so alt war.“

Frau Kranz entpuppte sich als freundliche, aber sehr zurückgezogen lebende Frau, die viel spazieren ging und mit den Gratewohls ansonsten nicht viel zu tun hatte und auch nicht zu tun haben wollte.
Bald schon merkten die Gratewohls aber, daß mit Frau Kranz etwas nicht stimmte. Sie spielte manchmal nachts sehr laute Radiomusik und empfing immer häufiger Herrenbesuche, was dann oft darin mündete, daß durch die offenen Fenster sehr laute Beischlafgeräusche zu hören gewesen sein sollen.

„Wir haben gedacht, da wird ein Schwein geschlachtet, so hat die gequiekt und gestöhnt. Meine Güte, das kann doch jeder machen wie er will, aber doch nicht so laut und bei offenem Fenster, daß das die ganze Nachbarschaft hört“, empört sich noch heute Frau Gratewohl.

Schon nach einem Jahr kam ein weiteres Problem hinzu: Frau Kranz ließ niemanden in ihre Wohnung, keinen Schornsteinfeger, keinen Heizungsmonteur, keine anderen Handwerker. Der ganze Aus- und Umbau des Hauses kam dadurch ins Stocken. „Die hätte oben auch schon längst neue Fenster und Türen und eine neue Heizung. Aber die hat uns und die Handwerker nie reingelassen, obwohl das im Vertrag steht. Jetzt haben wir quasi zwei Häuser.
Vorne ist der Eingang zum Treppenhaus von Frau Kranz, da wird die obere Etage noch mit Ölöfen geheizt und hinten haben wir angebaut und unseren eigenen Eingang“, erzählt Herr Gratewohl und seine Frau ergänzt:
„Vorne konnte man nicht mehr reingehen. Da stinkt es dermaßen von oben runter, das hält man nicht aus. Außerdem steht die ganze Treppe nach oben voll mit leeren Flaschen, die säuft nämlich, die Frau Kranz.“

In den Jahren muß das immer schlimmer geworden sein. Die Spaziergänge der Frau Kranz entpuppten sich als Gänge zum Kiosk und Herumhängen am Rathausdenkmal mit anderen Hopfenfreunden. Die Leute auf der Straße erzählten sich, Frau Kranz schleppe hin und wieder einen dieser Trinker zu sich nach Hause ab, weil der ihr dann Bier und Wein dafür bezahle.
Außerdem sei Frau Kranz nicht mehr ganz bei Sinnen gewesen, berichtet Herr Gratewohl. Oft sei sie nachts im Nachthemd oder sogar unbekleidet durch den Garten geirrt, habe auf die Erdbeeren uriniert und in die Regentonne habe sie einen dicken Haufen gemacht.

Vor einem Jahr kam dann der Tag, da ging es nicht mehr anders. Der Schornsteinfeger drohte mit einem Ordnungsverfahren, wenn er nicht endlich mal nach den Öfen und Kaminen sehen konnte und so wartete das Ehepaar Gratewohl eine Abwesenheit der Frau Kranz ab und ließen dann den Schornsteinfeger einfach ins Haus.
Der und sein Lehrling gingen nach oben, werkelten dort eine kurze Weile und kamen dann mit vor den Mund gehaltenen Taschentüchern wieder runter.
Was sie denn da oben vorgefunden hätten, wollte Herr Gratewohl wissen, doch der Schornsteinfeger sagte nur kopfschüttelnd: „Das wollen Sie gar nicht wissen!“

„So schlimm?“

„Schlimmer!“

Mir sagte Herr Gratewohl: „Das war ja streng genommen verboten und Hausfriedensbruch, aber die hätte mir vielleicht mal die Hütte abgefackelt. Damit es da künftig keine Probleme mehr gibt, habe ich mal beim Ordnungsamt angerufen, damit die da mal alles in die Wege leiten, so eine Frau braucht doch einen Betreuer, die kam doch alleine gar nicht mehr klar.“

Und einen Betreuer hat Frau Kranz auch bekommen, nur kümmerte der sich eben nicht in dem Maße, das vielleicht notwendig gewesen wäre. Möglicherweise erstreckte sich die Betreuung aber auch nur auf Bereiche, die für die Gratewohls nicht von Bedeutung waren.
Es schien aber so, als habe Frau Kranz damit begonnen, in ihrer Wohnung Müll zu sammeln. Von da an standen auch Tag und Nacht sämtliche Fenster der Wohnung offen, die Rolladen halb heruntergelassen.

„Den Gestank konnte man nicht mehr aushalten. Es hat da immer schon gestunken, aber das wurde so schlimm, man bekam fast einen Brechreiz, wenn man mal da ins Treppenhaus mußte. Ich war mal da drüben, weil ich die Wohnungstür unserer Wohnung, die früher der Zugang zum Treppenhaus war, von außen mit alten Decken abgedichtet habe, damit der Gestank und das Ungeziefer nicht auch noch in unsere Wohnung kommt“, berichtet Herr Gratewohl.

Man kann es sich denken: Irgendwann am Wochenende ist Frau Kranz gestorben. Weil seit Montag kein Geräusch mehr zu hören war, hat Herr Gratewohl gestern Abend die Polizei gerufen.
Natürlicher Tod, Arzt, dann der Bestatter, wir.

Man muß diese Müllwohnung nicht näher beschreiben. Alles was man sich vorstellen kann und das dann alles noch dreimal schlimmer… Kot an den Wänden, nicht mehr zugängliche Räume, einer komplett vollgestellt mit leeren Flaschen und gammelndem Müll in Plastiktüten, ein anderer mit von Urin aufgequollenen Bodendielen und eine offenbar seit Jahren zertrümmerte Badezimmereinrichtung. „Auf dem Klo war schon jahrelang keiner mehr“, hatte einer der Polizisten gesagt.

Frau Kranz war zusammengerollt unter einer kotverschmierten Wolldecke in ihrem bitterkalten Schlafzimmer gefunden worden.
Verwandte gibt es keine, der Betreuer war bis heute nicht zu erreichen, jetzt liegt sie erst mal in der Kühlung. Was kann das anderes werden als Feuerbestattung anonym?

Auf die Gratewohls kommt jetzt die Generalsanierung zu.
„Selbst wenn ich die Wohnung für 1.000 Euro im Monat vermieten würde, was ja utopisch ist, so lange kann ich gar nicht mehr leben, als daß ein Mieter das einbringen würde, was uns da die Sanierung kosten wird. Da müssen alle Türen und Fenster raus, alles bis aufs Mauerwerk abgeklopft werden und die ganzen Böden und Decken erneuert werden. Da kann man neu bauen für das Geld“, beschreibt Herr Gratewohl seine Situation.
Seine Frau meint: „Am Besten wir lassen das alles von einer Firma grundreinigen, allen Dreck rausräumen und dann die Bude mit Sagrotan fluten. Dann machen wir die Rolläden runter und mauern die Wohnungstür zu. Das kommt uns billiger."

Nun, wir wollen jetzt erst mal sehen, wie Frau Kranz würdig unter die Erde kommt. Gern hat die so bestimmt nicht gelebt. Nach der Bestattung, muss dann oben grundsaniert werden. Wenn dann das alles gemacht wurde, dann müssen wir einen Nachmieter finden.


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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 3. März 2010 | Revision: 16. Juli 2012

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14 Jahre zuvor

Die Freiheit des Menschen und die Unverletzlichkeit der Grundrechte führen eben hin und wieder auch dazu, dass man einen Menschen so leben sehen muss. Sicherlich hätte man ihr helfen sollen, aber wie?
In höchstem Maße bedauerlich für alle Beteiligten. Und die Gratewohls haben schon richtig reagiert und eine Betreuung veranlasst. Aber man kann eben niemand zu seinem Glück zwingen.

Gruß
Joe

Salat
14 Jahre zuvor

War das nicht schon ähnlich hier drin?

Salat

susi
14 Jahre zuvor

Mir kommt die Geschichte auch unheimlich bekannt vor.

Tanja aus Augsburg
14 Jahre zuvor

Aus dem Verwandtenkreis weiß ich, dass solche Menschen sich oft gar nicht helfen lassen wollen, egal wie oft man Hilfe anbietet 🙁

Feli
14 Jahre zuvor

In der ähnlichen Geschichte gab es aber noch eine Tochter, die ab und an etwas vorbei gebracht hatte.

Luscia
14 Jahre zuvor

Mir ist völlig schleierhaft, warum die Hausbesitzer – ganz im eigenen Interesse – nichts dagegen unternommen haben. Dagegen kann man schlicht rechtlich vorgehen, alles andere ist doch dumm.

14 Jahre zuvor

Jep – kommt mir auch leicht bekannt vor. Damals die Dame hieß aber „Kuhl“ (o. doch „Kohl“?) – aber das mit dem Wohnrecht auf Lebenszeit, Einliegerwohnung und Messiesyndrom (mit allem unfeinen was dazu gehört) passt.
Aber sowas kanns ja durchaus öfter geben – leider. (Das leider bezieht sich darauf, dass man wohl als Aussenstehender ziemlich machtlos zu sein scheint und selbst das Amt bei diesen Geschichten wohl keinen großen Handlungsbedarf gesehen hat…)

Ponder
14 Jahre zuvor

Die Geschichte kam mir auch sehr bekannt vor, ich habe das Bastatterblog erst vor ein paar Wochen gefunden und musste es natürlich am Stück und ganz und gar lesen 😉

Hier: http://bestatterweblog.de/archives/Mama,-ich-hab-Dich-lieb!/3984

Allerdings mit Tochter im Anhang 🙂

Matthias
14 Jahre zuvor

Mieter haben hierzulande viel zu viele Rechte.

Madame Unkreativ
14 Jahre zuvor

@9: Das mag man so sehen, solange man ein kleines Häuschen hat und einen Teil davon an irgendwelche Idioten vermietet. Wenn man aber in einem typischen Mietshaus wohnt, wie man sie in Großstädten in allen Alters- und Qualitätsklassen findet, das einem Vermieter gehört, der von der Sorte noch 4, 5, 6 Stück hat und davon lebt, sieht die Sache ganz schnell anders aus. Wenn einer von 50 Mietern mault, dann schreit er halt. Das ist für den Mieter auch nicht gerade vergüngungssteuerpflichtig, auch wenn ich den Häuslebauer mit seinem nervtötenden Mieter durchaus auch verstehen kann. Aber die Aussage, der Mieter an sich habe zu viele Rechte, kann ich nun gerade nicht bestätigen.

Anise
14 Jahre zuvor

Mir tun da alle Beteiligten Leid.
Die Frau hat bestimmt nicht freiwillig so gelebt, man hätte ihr helfen müssen. Nur wie?

Matthias
14 Jahre zuvor

Ob nun ein kleines Häuschen oder 4-6 Mietshäuser… bei der Zahl bist du auch selbst hinter jeder Wohnung her. Meine Freundin studiert/arbeitet in diese Richtung, was man da alles zu hören bekommt… oft geht das ja auch gegen die anderen Mieter, wenn da so eine irre Partei eingezogen ist.

Ma Rode
14 Jahre zuvor

@9; ich sehe das zwar etwas zwiespaltig mit Deinem Satz „Mieter haben … viel zu viele Rechte“, weil ich ja auch ein Mieter bin, aber ich gebe Dir recht angesichts des Problems der sogenannten Mietnomaden. Da möchte ich auch nicht auf der Seite des Vermieters sein.

14 Jahre zuvor

Wir haben hier auch so eine Nachbarin. Allerdings kümmert sich da das Ordnungsamt sehr viel besser darum, so das die in regelmäßigen Umständen vorbeikommen und die Wohnung entrümpeln. Zuletzt vor ungefähr einem halben Jahr weil sie angefangen hatte ihr Essen im Keller zu lagern und wir dadurch eine Rattenplage biblischen ausmaßes hatten.

Helfen lässt sie sich nicht. Obwohl es ihr schon tausend mal angeboten wurde. So läuft es halt immer darauf hinaus das irgendwer das Ordnungsamt benachrichtigt wenns anfangen sollte zu heftig zu riechen …

forgottenflower
14 Jahre zuvor

Ich denke, dass das Problem Mietnomaden etwas zu sehr aufgebauscht wird. Die krassen Fälle geistern regelmäßig durchs Fernsehen und den Boulevard und daher scheint es, dass es viele von ihnen gibt. Siehe HartzIV-Betrüger.
Ich kenne einen Fall von einem allerdings relativ harmlosen Mietbetrüger. Der Vermieter (Vater einer Freundin) hat sich von dem jungen, gut angezogenen charmanten Mieter nicht nur keinen Einkommensnachweis irgendeiner Art zeigen lassen, sondern auch noch belabern lassen, keine Kaution zu verlangen. Und er hat sich auch Monat um Monat mit der Miete vertrösten lassen. Und er eigentlich kann er froh sein, dass er lediglich mit dem Verlust von zwei Monatsmieten davonkam. Aber wenn man es jemandem so einfach macht, braucht man sich nicht wundern, dass es ausgenutzt wird.

Frau EssVau
14 Jahre zuvor

ich habe vor einiger Zeit und gutes Buch zu diesem Thema gelesen: „Kraniche und Klopfer“ von Axel Brauns.
Es lässt Leute mit diesen Problemen – und ihr Umfeld – in einem anderen Licht sehen. Sehr traurig!

Anonym
14 Jahre zuvor

Es ist wie überall im Leben. Es gibt zwei Seiten, Mieter und Vermieter, und auf beiden Seiten gibt es Idioten. Einer Seite grundsätzlich den schwarzen Peter zuzuschieben hilft auch nicht weiter.
Es gibt Vermieter, die kümmert es einen Scheiß wenn mitten im Januar die Heizung ausfällt, und es gibt Mieter, die rufen abends um 11 beim Vermieter an, weil ein Vogel rote Beeren auf dem Balkon abläd. Es gibt Mieter, die fluten das nagelneue Parkett, und es gibt Vermieter, die einen Aufstand machen wenn nicht Samstags um 15:00 Uhr die Treppe geputzt ist.

Bianca
14 Jahre zuvor

Dass man solche Kosten nicht dem Amt aufdrücken kann, weil die sich nicht ausreichend gekümmert haben. Solche Leute brauchen leider mehr als nur Betreuung zu Hause…

Anonym
14 Jahre zuvor

@18: Naja, das Amt kann auch nur was machen, wenn es um die Umstände weiß. Da die Frau offenbar keine Verwandten hatte, denk ich schon, dass auch der Vermieter unten mal öfter nach dem Ordnungsamt hätte telefonieren können. Aber der hat sich ja offenbar auch nicht zuständig gefühlt, mal was zu unternehmen, Hauptsache kein Streit im Haus, lieber Tücher vor den Türritzen und ignorieren, bis sie tot umfällt…

idriel
14 Jahre zuvor

@forgottenflower

Das glaube ich nicht – ich kenne mehrere dieser Fälle, und zwar nicht aus TV oder Boulevard sondern aus dem richtigen Leben. Das kommt sehr oft vor und ist wahrlich kein Spass für Vermieter (und evtl. Mitmieter im Haus).




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