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„Für meinen Vater zahl ich keinen Pfennig!“

Der Mann sitzt da und ist fassungslos. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt.
Sein Vater hatte bei einem anderen Bestatter eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen, schon vor über 20 Jahren. Als dieser Bestatter vor einigen Jahren in den Ruhestand ging und sein Geschäft aufgab, haben wir die Bestattungsvorsorgen übernommen und alle diese Kunden angeschrieben. Glücklicherweise waren alle mit dem Wechsel einverstanden. Nur dieser Mann hatte sich nie gemeldet, was wir als stilles Einverständnis werteten.

Vor ein paar Wochen ist er dann in seiner Wohnung gestorben, hatte dort drei Tage lang gelegen und wäre nicht der Schornsteinfeger gekommen, hätte man ihn vermutlich bis heute nicht entdeckt. Es war ein einsamer, aber natürlicher Tod und weil der Mann einen Vorsorgeausweis im Portemonnaie hatte, wurden wir verständigt, um alles abzuwickeln.

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So wie vor über 20 Jahren bestellt, wurde der Mann in einem dunkelbraunen Sarg mit Palmenschnitzung gebettet und auf den Friedhof gebracht. Ganz seinem Wunsch entsprechend erschien zwei Tage später eine Anzeige in der Zeitung, die er selbst formuliert hatte, aber es kam niemand, um von ihm Abschied zu nehmen.

Nach zwei Tagen holten wir den Sarg wieder ab und brachten den Mann ins Krematorium. Wiederum zwei Tage später bekamen wir die Aschenkapsel ausgehändigt und überstellten diese an den im Wald gelegenen Nordfriedhof der Nachbarstadt, wo sich der Mann ein kleines Urnengrab am Waldesrand gewünscht hatte. Einen Grabstein wird es nicht geben, das Grab wird nur mit weißem Kies bestreut.

Was vor 20 Jahren noch nicht gültig war und was uns, trotz sorgfältiger Überprüfung der Unterlagen entgangen war: Unsere Kommune verlangt seit einiger Zeit eine etwas höhere Gebühr für Einäscherungen, wenn der Verstorbene nicht auch hier in der Stadt beigesetzt wird. Damit will man den Seebestattungen und den Beisetzungen in Ruhewäldern ein kleines bißchen einen Riegel vorschieben.

Der Betrag, der da mehr verlangt wird, ist nicht sonderlich hoch, es dreht sich nur um 85 Euro, aber der wird halt eben fällig.

Bei so alten Vorsorgen ist oft nicht mehr viel Luft drin. Vorsorgen werden ja am Besten mit einem etwas höheren Betrag abgeschlossen, damit noch etwas Spielraum für Gebührenerhöhungen und Preissteigerungen ist und der Bestatter nicht alle Jahre einen Brief mit der Bitte um Anpassung und Nachzahlung schreiben muß.

Da wir aber von diesem Kunden nie etwas gehört haben und er nur einmal bei unserem Vorgänger etwas nachgezahlt hatte, nämlich als das Sterbegeld der Krankenkassen weggefallen ist, kamen wir mit dem Vorsorgebetrag gerade eben so hin.
Hätte ich etwas von den 85 Euro geahnt, wäre aber für die auch noch genügend Spielraum gewesen.

Aber die Friedhofsverwaltung ist ja nicht immer unser Freund und Behörden arbeiten oft mal gerne nach „Schema F“. Also ging wegen der 85 Euro die ganze Behördenmaschinerie los und man ermittelte tatsächlich einen Hinterbliebenen, einen Sohn, von dem nichtmals wir eine Ahnung hatten. Bei Abschluß seiner Vorsorge hatte unser Mann im Feld der zu verständigenden Angehörigen eingetragen: Niemand!

So bekam also jetzt dieser Sohn eine Rechnung über 85 Euro und steht heute hier auf der Matte: „Mein Vater hat ja offensichtlich alles im Voraus bezahlt, dann müssen Sie auch diese 85 Euro bezahlen, ich jedenfalls zahle für diese Drecksau keinen müden Cent!“

Harte Worte!

Ich nicke das ab, nehme ihm den Gebührenbescheid einfach ab und erkläre ihm, daß die Sache damit für ihn erledigt ist.
Doch der Sohn ist damit nicht zufrieden: „Ich wollte nie wieder etwas mit diesem Drecksack zu tun haben. Ich hatte ihn schon fast vergessen, habe manchmal jahrelang nicht an ihn denken müssen und jetzt kommt alles wieder hoch.“

Ganz vorsichtig erkundige ich mich, was ihn denn so aufrege, vielleicht hilft es ihm ja ein wenig wenn er darüber spricht, doch er sagt:

„Das tut hier nichts zur Sache und ich kann auch gar nicht darüber sprechen, so sehr regt mich das auf. Lassen Sie sich nur gesagt sein, daß das der böseste und schlechteste Mensch war, der jemals auf Gottes Erden gelebt hat. Legen Sie bloß einen großen, schweren Stein auf sein Grab, damit dieses Ungeheuer nicht noch aus dem Grab heraus Böses tun kann. Mann, was bin ich froh, daß der jetzt tot ist…“

Wir sprechen noch kurz darüber, wie die Sache abgelaufen ist, wo sich das Grab befindet und dann geht der Mann mit der Zusicherung, daß er gewiss niemals das Grab seines Vaters besuchen wird.

Nun stehe ich da und frage mich immer wieder, was dieser alte Mann wohl in seinem Leben so Schlimmes gemacht hat.

——–
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    Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. März 2009 | Revision: 22. Februar 2014

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    19 Kommentare
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    15 Jahre zuvor

    Das Schlimmste war wohl, das er sich von seinen Verwandten entfernt hat. 🙁

    15 Jahre zuvor

    Juhu, ein Podcast.

    15 Jahre zuvor

    Vielleicht hat der Vater ihm mit 15 mal eine Woche Fernsehverbot gegeben. Sowas kann manche Leute ein Leben lang verfolgen…

    kumi
    15 Jahre zuvor

    @ NewsShit! und Fox:

    Es gehört schon einiges dazu, so über ein Elternteil zu urteilen. Manchmal sind es für unsereiner Nichtigkeiten, manchmal sind es sehr sehr schlimme Dinge.

    Könnt ihr euch nicht vorstellen, dass man Kindern schlimmeres antun kann als Fernsehverbot, was dazu führt, dass sie so leidenschaftlich hassen?

    Wer weiß, was da war. Steckt man nicht drin.

    Me
    15 Jahre zuvor

    Vielleicht war der Vater aber auch wie meiner, und darum verstehe ich dieses Verhalten. Manchmal geht es um mehr als eine Woche Fernsehverbot. Ich würde meinen auch am liebsten den Hunden zum Fraß vorwerfen.

    MiniMoppel
    15 Jahre zuvor

    Ich glaube, es gibt leider einige Gründe, seinen Vater derart zu hassen, und dazu muss man noch nicht einmal Fritzl heißen.

    Lisa
    15 Jahre zuvor

    Klingt wirklich sehr hart, ich habe zu meinem Vater auch kein gutes Verhältnis aber trotzdem denke ich das man im Leben auch verzeihen muss, sich selbst zuliebe, um auch den eigenen Frieden zu bekommen.

    Ronald
    15 Jahre zuvor

    Altnazi, Vergewaltiger, Kinderschläger, (ungefasster) Mörder … mehr ideen hab ich da im Moment nicht, die mich zu so einem Urteil kommen lassen.

    Sensenmann
    15 Jahre zuvor

    Und jetzt bezahlt ihr für den Sohn die 85 Euro?

    Krass, wie man so hart über seinen eigenen Vater urteilen kann. Da muss wirklich eine ganze Menge schiefgelaufen sein 🙁

    Andererseits wollte offenbar auch der Vater von seinen Angehörigen überhaupt nichts wissen. Todesanzeige schon vor über 20 Jahren selbst geschrieben (auf so eine Idee würde ich niemals kommen!), keiner, der im Todesfall verständigt werden sollte… Der Mann war wohl mehr als nur das schwarze Schaf der Familie. Seine Familie hat ihn verstoßen, und er selbst hat sich auch von allen Leuten abgewandt.

    E.
    15 Jahre zuvor

    Es gibt Eltern die zulassen das Fremde ihren Kindern Gewalt antun,
    und rein garnichts unternehmen.

    @7 bis wohin muss man verzeihen, muss man alles verzeihen? Wo ist die Grenze, oder
    soll man wirklich verzeihen? Bekommt man dann seinen Frieden?
    Ich kann es mir nicht vorstellen.

    Es gibt Dinge und Schicksale die kann noch nicht mal der begreifen,
    dem sie angetan wurden sind, geschweige denn Außenstehende.
    Kannst Du Dir vorstellen z.B. von Deiner Mutter gebissen zu werden,
    in eine Eckbanktruhe gesperrt zu werden, um nur die harmlosen Dinge zu nennen.
    Stell Dir vor Du bist 7 Jahre alt und man lässt zu das der Onkel von nebenan Dich betatscht.
    Ich kann und will nicht verzeihen.
    Ich werde niemals auch nur einen Knopf für meine Mutter zahlen, das schwöre ich bei Gott.

    15 Jahre zuvor

    Traurig, aber allzu oft der Fall. Wie mein Vorredner bereits andeutet, gibt es nunmal auch unverzeihliche Dinge, zumindest aus meiner Sicht. Es wäre interessant zu wissen, was der alte Mann verbrochen hat, andererseits ist es vielleicht wirklich besser, wenn alles im Grab verschwindet.

    15 Jahre zuvor

    @Kumi:
    ich kann mir sehr wohl sehr Schlimmes vorstellen und leider habe ich auch von realen Fällen erfahren. Vielleicht habe ich mich zu mißverständlich ausgedrückt:
    Der Vater wollte mit niemandem mehr etwas zu tun haben, der Sohn wollte nichts mehr von seinem Vater wissen. Um sich derart zu entzweien, muss sicher Böses vorgefallen sein, die Trennung ist nur die Konsequenz dessen. Bei mir selber hat es gereicht, das ich am Grab! meiner Mutter von deren Schwester alleine zurückgelassen wurde, weil diese noch 100km Fahrt vor sich hatte. Habe mich deswegen auch von den Verwandten entfernt, denen ich in dem Moment unwichtig war, als ich Trost gebraucht hätte. Nein, ich bin niemandem Böse, nur traurig. 🙁

    P.
    15 Jahre zuvor

    Ja, kann ich verstehen. Ich wuerde mit Sicherheit auch keinen Cent fuer meinen Erzeuger zahlen wollen. Und falls ich sein Grab besuche, wenn er dann mal gestorben ist, dann nur um ganz sicher zu sein, dass er auch wirklich tot ist!

    Was er angestellt hat?
    Erzeuger, nie interessiert an seinem Kind, nie gezahlt, nie besucht, nie geschrieben.
    Mit Mitte 20 wollte ich ihn kennenlernen „Das Thema ist fuer mich beendet.“ war sein Kommentar.

    Warum sollte ich da 85 Euro zahlen? Das Grab besuchen? Irgendwas heucheln?
    Aber sowas verstehen nur Menschen, die das oder aehnliches selber erlebt haben.

    Elenaor
    15 Jahre zuvor

    Wieso denkt ihr denn so? Kann doch auch sein, dass der Vater schon lange eingesehen hatte, dass der Sohn nichts von ihm wissen will und ihm nicht belästigen wollte, genauso wie dem Rest der Familie. Heißt ja nicht, dass er darüber glücklich war, aber es gibt zwischen kein Interesse und krampfhafter Kontaktaufnahme noch Zwischentöne. Vielleicht hat er sich so auch selbst bestraft.

    E.
    15 Jahre zuvor

    @Elenor
    sicher auch eine Variante. Jedoch sollte man dann seine Schuld nicht einfach nur mit ins Grab nehmen. Dann würden ein paar ehrlich letzte zusätzliche Zeilen denen helfen die „zurückbleiben“.

    Wenn man sich zu Lebzeiten Tot stellt, hat man sich dann wirklich selbst bestraft, oder nur seine Schulkd verdrängt?

    MacKaber
    15 Jahre zuvor

    Gab denn das hinterlegte Geld in den 20 Jahren keine Zinsen?

    Volker
    15 Jahre zuvor

    Er muss seinen Sohn sehr verletzt haben, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wenn man jemanden über den Tod hinaus so haßt, muss etwas wirklich schlimmes passiert sein.

    Yvonne
    15 Jahre zuvor

    Die Tochter von Herrn Josef Fritzl wird warscheinlich ähnliches überihren Vater sagen. Manch eine Tochter ist vom Vater / Bruder missbraucht worden ohne das es je zu einer Anzeige o.ä. kam. Da kann ich so eine Reaktion gut verstehen.

    Christians Ex
    15 Jahre zuvor

    @#16,
    so wie ich verstanden habe, hätte es gereicht. Die Friedhofsverwaltung hat den „Falschen“ angeschrieben wegen der €85.
    Bei solchen „Anlageformen“ sind Zinsen IMHO einkalkuliert.

    Es muss schon ein heftiges Trauma gewesen sein.
    Da reicht es manchmal aber auch schon, wenn dem Vater „nur“ ein furchbares Unglück zur Last gelegt wird (das der Staat noch nicht mal oder nur milde geahndet hat – Vater geht fremd, Mutter bringt sich deswegen um beispielsweise)… an sowas zerbrechen Familien.




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