Allgemein

Ellenbogen raus und durch

Die Sargträger heben den Sarg vom Karren während sich der Pfarrer am Fußende des Grabes postiert und die Trauergäste noch um die besten Plätze schieben und schubsen.
Die Witwe nimmt auf einem bereitgestellten Stuhl Platz, ihre beiden Kinder zur Linken und zur Rechten. Der Pfarrer schaut kurz über den Rand seiner Brille, seufzt um dem traurigen Anlass die richtige Würze zu geben und blickt dann in das aufgeschlagene, in schwarzes Leder gebundene Büchlein in seinen Händen.

Ich weiß was jetzt kommt: „Aus Erde bist Du gemacht….“

„Voooorsicht!“

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Die eben noch gesenkten Köpfe der Trauernden fahren hoch und man sucht die Quelle der lautstarken Unterbrechung und man muß nicht lange suchen:

Schon wieder tönt es von halbrechts „Voorsicht mal eben!“
Ein älterer Herr schiebt ein Fahrrad mit einem kleinen Anhänger hinten dran über den Friedhofsweg. Die auf den Hänger geladenen Utensilien, ein kleiner Sack mit Graberde, eine große grüne Plastikgießkanne und das obligatorische „Besteck des Todes“ (Schäufelchen, Hacke und Minirechen) weisen ihn als erfahrenen Grabpfleger aus und er läßt auch weiter keinen Zweifel daran aufkommen, daß er jetzt und in dieser Sekunde da durch muß, auf seinem Wegerecht beharrt und sich auch noch für fürchterlich wichtig hält: „Moooment mal eben, ich muß da durch!“

Kaum größer als der Lenker seines Fahrrades schiebt er, die Ellenbogen einsetzend, sein Gespann durch die Gruppe der Trauernden, die ihm verwirrt Platz machen.
Ich stehe ungünstig, komme nicht schnell genug weg, sonst hätte ich den Knippidolleck von seinem Tun abgehalten.

Später lasse ich meinen Blick schweifen, will den Alten finden und zur Rede stellen, doch ich sehe ihn leider nicht mehr.

Aber das ist nur ein Beispiel für rücksichtsloses Verhalten auf dem Friedhof. Die „Märkische Allgemeine“ bringt heute einen Artikel, der das ebenfalls thematisiert. Er ist hier nachzulesen.
Rücksichtsloses Verhalten auf dem Friedhof, das ist eine Sache, die immer auch im Auge des Betrachters liegt und von den Umständen abhängt.
Wenn auf dem Friedhof sonst nichts los ist, wen sollte es da stören, wenn ein knutschendes Liebespaar eine der Bänke okkupiert? Es spricht auch nichts dagegen, daß Kinder und Jugendliche Friedhöfe als eine Art Abenteuerspielplatz sehen, wenn sie nichts kaputtmachen.
Auch daß Friedhöfe für viele Ältere eher als Parkanlagen oder Kleinstgarten gesehen werden, ist doch völlig in Ordnung.

Jedoch gibt es Momente und Situationen, da gebietet es der Anstand, daß man sich würdevoll verhält und die Trauer der anderen respektiert. Man muß sich doch bei allem was man auf dem Friedhof tut, immer der Würde des Ortes bewußt sein und respektieren, daß hier Menschen ganz in Ruhe ihre Trauer ausleben möchten.

Zweimal habe ich in den letzten Sätzen das Wort „Respekt“ benutzt und genau darum geht es. Heutzutage vermisse ich in vielen Bereichen einfach den Respekt voreinander. Wir haben es in unserer Gesellschaft erreicht, daß die schlimmsten Auswirkungen von Ausgrenzung und Standesdünkel allmählich abgeschafft werden. Minderheiten erfahren zunehmend Anerkennung und die Möglichkeiten des Einzelnen sind heute weiter als je zuvor. Wenn aber aus der Verbesserung der eigenen Möglichkeiten nur noch ein „Ich, Ich, Ich“ erwächst und jeder glaubt, er allein komme zu kurz oder diese Chancen stünden ganz alleine ihm zu, dann läuft etwas verkehrt. Freiheit meint immer zuerst auch die Freiheit des anderen. Man mag sich viel mehr herausnehmen können als jemals zuvor, aber das muß seine Grenzen finden und diese Grenzen sind genau da, wo andere beschnitten, beeinträchtigt und eingeschränkt werden.
Ellenbogen rein und immer auch an den anderen denken!

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(©si)