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Er ist nicht mehr aufgestanden

„Ich weiß ja auch nicht, aber auf einmal war der Tag da, da ist er nicht mehr aufgestanden.“
Das sagt Caroline Burmeester zu mir, deren Mann Harald wir gestern Nacht mit großem Aufwand zu Hause abgeholt haben.
Gerade einmal 45 Jahre alt, ist er gestern am späten Nachmittag verstorben, wir haben ihn trotzdem erst in der Nacht geholt, einerseits weil logistische Fragen zu klären waren und andererseits der Nachbarn und der Medien wegen.

Harald Burmeester hatte sich, unbemerkt von den Nachbarn, in den letzten 12 Jahren ein Körpergewicht von schätzungsweise 5 bis 6 Zentnern angefressen. Genau werden wir das nie wissen, der Mann ist schon lange nicht mehr gewogen worden und man kann nur schätzen. Das Haus konnte er schon seit fünf Jahren nicht mehr verlassen, seit drei Jahren kam er auch nicht mehr aus dem Bett.
Als Bestatter steht man da gleich vor mehreren Problemen. Man muß den Verstorbenen irgendwie bergen und transportieren und man muß ihn ja auch irgendwie handhaben und letztlich auch einbetten können. Alles nicht ganz einfach.
Bei der Bergung war uns das THW behilflich. Glücklicherweise konnte man den Hof des Anwesens anfahren und den Verstorbenen über eine Terrassentür im Erdgeschoß herausheben. Einmal mehr bin ich froh, daß wir einen Mehrsargtransporter haben. Natürlich haben wir keine Trage, die ein solches Schwergewicht aufnehmen könnte und so mußte er mit der Matratze und ein paar weißen Leinentüchern vorlieb nehmen. Ich nehme an, ihn hat es nicht gestört.

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Der Witwe war es wichtig, daß alles ohne Neugierige aus der Nachbarschaft ablief und das ist uns auch gelungen. Bis die kapiert hatten, warum da ein Gabelstapler am Werk war, war alles schon passiert, die meisten Rolladen gingen erst hoch, als alles schon erledigt war.

Es ist Caroline Burmeester ein Anliegen, daß ihr Mann so würdig wie möglich beerdigt wird und er nicht jetzt noch zum Gespött wird. Einen Sarg in dieser Größe haben wir nicht auf Lager, auch der Großhändler nicht, es wird also einer angefertigt werden müssen, was kein Problem ist. Auch auf dem Friedhof wird es kein Begaffen des großen Sarges geben. Stattdessen wird der Sarg noch vor der Trauerfeier ins Grab gestellt und die Feier findet mit einem großen Foto des Verstorbenen statt, das ihn in besseren Tagen zeigt.

Ich frage die Frau einfach mal: „Wie kann es denn passieren, daß jemand so dick wird?“
Es mag sehr direkt klingen, aber ich will es unbedingt wissen und warum sollte man da feierlich um die Sache herumreden?
Sie nickt und sagt: „Tja, was soll ich sagen? Ich gebe mir die Schuld daran. Harald hatte seinen Job verloren und hatte aus Frust angefangen zu fressen, ja so muß man das nennen und ich habe ihm nicht gewehrt, habe es nicht verhindert, sondern ihm die Sachen auch noch gekauft und hingestellt.“
Drei ganze Weißbrote mit Butter, Erdnußbutter und Käse, bis zu vier XL-Pizzas und jede Menge Krapfen und Cola… und das alles pro Tag, erfahre ich.

„Am Anfang konnte er noch aufstehen und ist wenigstens von seinem Zimmer bis ins Wohnzimmer oder in die Küche gelaufen, dann kam der Tag, an dem er sich in der Küche nicht mehr umdrehen konnte und irgendwann hatte er es dann in den Knien und sagte, daß er ein paar Tage liegen bleiben muß. Dabei ist es dann geblieben, das war der letzte Tag an dem er aufgestanden war. Ab da ist er nicht mehr hochgekommen.“

„Konnte man denn nichts machen?“

„Was denn? Wenn ich mal was gesagt habe, stellte er gleich die Frage, ob ich nun ihn als Menschen oder nur seine Figur liebe…“, sagt Caroline Burmeester und zieht einige Bilder aus der Handtasche. Die Fotos zeigen einen großen, kräftigen, aber durchtrainierten Mann beim Schwimmen, im Urlaub, beim Spielen mit den Kindern.
„Sehen Sie? Das ist ein Mann und was sollte ich ihm denn antworten, ich habe immer gedacht, irgendwann wird es Knacks bei ihm machen und er besinnt sich und nimmt wieder ab. Aber das war ein Teufelskreis. Keine Beschäftigung, keine Bewegung und immer nur gegessen, man kann sagen gefressen.“

„Na ich weiß nicht, ob Sie sich die Schuld daran geben sollten, schließlich hat es doch jeder selbst in der Hand, oder?“, frage ich und sie antwortet: „Stimmt ja auch, er hat sich vollgefressen, aber ich hätte ihm in den Arsch treten können, oder?“

Schwer zu sagen, wer da die Schuld trägt. Jedenfalls werden wir alles tun, um Frau Burmeesters Wunsch zu erfüllen und ihren Mann ohne großes Spektakel bestatten.

„Nein, ich schäme mich doch nicht für meinen Mann, um Gottes Willen! Aber er hätte es nicht gewollt, daß man ihn begafft und sich an dem fetten Mann aus der Breitenaustraße aufgeilt. Ich habe immer sagen müssen, daß er bettlägerig ist und nie erzählen dürfen, wie es um ihn steht. So will ich es jetzt auch halten.“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#aufgestanden #mehr #nicht

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(©si)