Sterben + Trauer

Essen und Trinken am Lebensende

Bild von Vidmir Raic auf Pixabay

Als mein Vater nichts mehr essen konnte, wussten wir noch nicht, dass er schon so bald sterben würde. Wir hofften noch, dass die Ärzt*innen im Krankenhaus ihn schon wieder hinbekommen würden, dass es nur eine momentane schlechte Phase war. Ärzt*innen, Pflegekräfte und der Sozialdienst im Krankenhaus hofften und glaubten das auch. Dass es schon so weit war, überraschte am Ende alle. Im Nachhinein gesehen ist sein Essverhalten aber ganz typisch für das Lebensende: Er hatte keinen Appetit und bekam einfach nichts mehr herunter. Und unser Verhalten war wohl auch ganz typisch für Zugehörige von Sterbenden: Wir machten uns furchtbare Sorgen und versuchten, ihn zum Essen zu bewegen. Wir brachten ihm alles, was er haben wollte, und motivierten ihn zu jedem Bissen. Ein paar Löffel Apfelmus gegessen? Super! Dreimal am Eis geschleckt? Großartig! Es drehte sich vieles um das Essen in diesen Tagen. Schließlich musste er ja wieder „zu Kräften kommen“. Die Ärzt*innen unterstützten uns dabei: Sie verordneten hochkalorische Trinknahrung, die mein Vater abscheulich fand und erst recht nicht herunterbekam. Hätten sie damals schon absehen können, wie kurz vor dem Tod mein Vater stand, hätten sie wahrscheinlich anders reagiert.

Tatsache ist: Die meisten Menschen essen und trinken in den letzten Stunden und Tagen, manchmal sogar Wochen, nichts oder fast nichts mehr.

Tatsache ist auch: Für Zugehörige ist das meistens sehr erschreckend. Essen und Trinken sind in unserer Vorstellung untrennbar mit Leben und Gesundheit verbunden. Wenn jemand nichts mehr isst und trinkt, wird er sterben, und zwar schon bald. Kaum etwas macht uns diese furchtbare Tatsache so greifbar. Dazu kommt noch die emotionale Komponente von Essen: Es bedeutet auch, sich um jemanden zu kümmern, ihr*ihm etwas Gutes zu tun und sie*ihn zu versorgen. Wenn auch das plötzlich nicht mehr geht, ist die Hilflosigkeit noch größer. Man kann die*den Sterbende*n doch nicht verhungern und verdursten lassen!

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Sterbende verhungern und verdursten nicht

Was man Zugehörigen deshalb unbedingt erklären und sich auch selbst immer wieder klarmachen muss: Sterbende verhungern und verdursten nicht. Das Essen und Trinken einzustellen, ist ein ganz normaler und sogar wichtiger Aspekt des Sterbeprozesses. Man stirbt nicht, weil man mit dem Essen und Trinken aufhört. Sondern man hört mit dem Essen und Trinken auf, weil man stirbt. Es gehört dazu.

Der Körper stellt die Funktionen ein

Es ist nämlich so: Beim Sterben fährt der Körper nach und nach seine Funktionen zurück. Dazu gehören auch die Verdauung und die Nierenfunktion. Flüssigkeit und Nahrung können dann nicht mehr richtig verarbeitet werden und bringen die*den Sterbende*n daher nicht „zu Kräften“. Im Gegenteil: Essen und Trinken können in der Sterbephase den Körper sogar unnötig belasten und zu vermeidbaren Problemen führen. Flüssigkeit sammelt sich dann zum Beispiel im Gewebe und in der Lunge und kann die Atmung erschweren. Und: Eine gewisse Austrocknung scheint das Bewusstsein in der letzten Lebensphase auf angenehme Weise zu dämpfen und das Sterben zu erleichtern.

Kein Essen und Trinken mehr für Sterbende?

Das bedeutet natürlich nicht, dass man Sterbenden Nahrung und Getränke verweigern soll, wenn sie etwas zu sich nehmen wollen! Wer etwas essen oder trinken möchte, bekommt es selbstverständlich! Aber häufig haben Menschen in der Sterbephase gar kein Verlangen mehr danach. Sie wollen nichts mehr essen oder sind mit kleinsten Portionen zufrieden. Diejenigen, die auf das Essen drängen, sind meist die Zugehörigen, die befürchten, dass ihr geliebter Mensch verhungern oder verdursten könnte. Das passiert nicht! Nichts essen und trinken zu wollen, ist nicht Grund für das Sterben, sondern Teil davon. Und wenn der Sterbeprozess einmal im Gang ist, kann kein Essen und kein Getränk ihn aufhalten.

Wichtig ist hier, wie so häufig, auf die Bedürfnisse der Sterbenden zu schauen. Es ist in Ordnung, nichts mehr essen oder trinken zu wollen. Man sollte der*dem Sterbenden natürlich immer wieder etwas anbieten, sie*ihn aber nicht drängen oder überreden.

Was man trotzdem für Sterbende tun kann:

Zugehörige (oder auch Hospizbegleiter*innen, Pflegekräfte oder Ärzt*innen) können trotzdem viel tun:

  • Gegen das Durstgefühl und die Trockenheit im Mund hilft eine gute Mundpflege: Man befeuchtet die Lippen und die Mundschleimhaut mit Wasser oder gerne auch mit Lieblingsgetränken. Bier, Wein, Saft, Limo, Kaffee, … Hier ist alles möglich. Das bringt angenehmen Geschmack (= Genuss) und genügt völlig aus, um ein mögliches Durstgefühl zu bekämpfen und das Mundgefühl zu verbessern. Zur Mundpflege könnt ihr große Wattestäbchen, spezielle Mundpflegeschwämmchen oder auch kleine Sprühfläschchen benutzen. (Zur Mundpflege gibt es sicher in Zukunft noch einen ausführlichen eigenen Artikel.)

  • Viele Sterbende genießen den Geruch und das Aussehen ihrer Lieblingsspeisen, selbst wenn sie gar nichts oder nur sehr wenig davon essen können. Das Kochen des Lieblingsessen kann also trotzdem „Verwöhnen“ sein, auch wenn die Angehörigen es dann alleine essen. Sparen sollte man sich nur Vorwürfe à la „Ich habe das extra für dich gekocht und jetzt willst du nichts essen“!

  • Vorsicht: Es gibt auch Sterbende, die sehr empfindlich auf Gerüche reagieren. Gerade bei Krebserkrankungen und Chemotherapien kommt das häufig vor. Die gut gemeinten Essensdüfte lösen dann nur Übelkeit aus. Hier hilft wie so häufig reden: Fragt die*den Sterbende*n einfach, wie ihr*ihm gut tut. Und nehmt hin, dass sich das in kürzester Zeit wieder ändern kann.

  • Es kann sehr hilfreich sein, der*dem Sterbenden zu kommunizieren, dass sie*er nichts essen MUSS, wenn sie*er nicht möchte oder kann. Manche quälen sich nämlich Mahlzeiten herunter, um die Zugehörigen zu beruhigen, selbst wenn es ihnen danach schlecht geht.

  • Falls Flüssigkeit oder Nährstoffe über einen Tropf oder eine Magensonde zugeführt werden, solltet ihr jetzt mit den Ärzt*innen sprechen, ob diese Gabe nicht reduziert oder ganz beendet werden sollte. So schwer es auch fällt: Damit nimmt man der*dem Sterbenden keine Lebenszeit, sondern schenkt im besten Falle Lebensqualität.

Übrigens: Der bewusste Verzicht schwerkranker Menschen auf Essen und Trinken ist manchmal auch eine aktive Entscheidung, um den Tod bald herbeizuführen. Doch das ist ein anderes Thema, über das ich vielleicht mal gesondert schreiben werde.

Wie geht es euch mit dem Thema Essen und Trinken? Habt ihr schon Erfahrungen mit Sterbenden gemacht, die nichts mehr essen und trinken wollten?

Bildquellen:

  • plate-403596_1280: Bild von Vidmir Raic auf Pixabay

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