Geschichten

Fett 2

Mit sieben Leuten waren wir am Einsatzort und unsere Aufgabe sollte es sein, den verstorbenen dicken Mann ins Bestattungshaus zu transportieren. Mir gingen mehrere Sachen gleichzeitig durch den Kopf. Ich dachte daran, wie ich noch mit dem Sarghändler über die breite Riesentruhe gelacht hatte, die er in seiner Ausstellung stehen hat, und wie gesagt hatte: „Jau, is‘ groß genug für drei Zimmer, Küche, Bad …“. Ich dachte an den Teddy auf dem Bett des Toten und malte mir vor meinem geistigen Auge aus, wie er auf den großen Fernseher auf der gegenüberliegenden Wand starrend, eine Pizza nach der anderen in sich hineinschob, während Mutti im Küchenkittel um ihn herumwuselte und ihn mit einer weiteren Familienflasche Cola versorgte.
Und ich dachte an die vier Treppen, die vor uns lagen.

Die beiden Polizisten waren sehr hilfsbereit, sie lehnten sich an den Türrahmen, der eine links, der andere rechts, und amüsierten sich über unsere vergeblichen Versuche, den dicken Martin zu bewegen.
Wir, das waren die beiden Fahrer, die an diesem Abend Dienst hatten, zwei weitere Aushilfen, Manni, Sandy und ich.
Sandy war ein paar Mal durchs Treppenhaus gelaufen und hatte dann auf der anderen Straßenseite mit einem Schreibblock Stellung bezogen. Viele der Gaffer hielten sie für wichtig und bald schon hatte sich um sie eine Traube von Menschen gebildet.
Keine Ahnung, was sie den Leuten für Bestattergeschichten erzählte, vermutlich die vom Madenauge oder die von der zerplatzten Mumie; sie hatte einige solcher Schauergeschichten auf Lager.
Aber wenn man meint, durch diese Maßnahme hätten weniger Menschen die Fensterbretter, die Bürgersteige und auch das Treppenhaus belagert, dann täuscht man sich.

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Ich hatte Manni angewiesen, den Bestattungswagen rückwärts so nahe wie möglich an die Haustür heran zu fahren. Den Einsatz der Trage konnten wir vergessen, die war aus Leichtmetall und obwohl sie ziemlich stabil war, hätte sie hier ihren Dienst versagt. Wir hatten entdeckt, daß der Verstorbene unter seinem Bettlaken eine Art Gummimatte hatte, die wohl hygienische Zwecke hatte. Unser Plan war es, den Mann mitsamt dieser Matte vom Bett zu ziehen, ein Bettlaken über ihn zu legen und ihn dann auf der Matte nach unten zu tragen. Manni hatte Spanngurte mitgebracht, die wir unter dem Mann hindurchziehen wollten, um ihn zu verschnüren und um Angriffspunkte für unsere Hände zu haben.
Das sähe, so stellte ich es mir vor, noch halbwegs pietätvoll aus.

An den Beinen gelang das Manöver mit den Gurten, am Oberkörper nicht. So sehr wir uns auch bemühten, es war uns nicht möglich, den Mann anzuheben. Er lag in einem überbreiten Bett, mehr auf der rechten Seite des Bettes, links von ihm war etwas mehr Platz.
Auf einem Zahnstocher kauend meinte einer der Polizisten: „Feuerwehr anrufen und mit dem Kran hier rausheben lassen.“
Die Mutter des Verstorbenen hatte das in der Küche gehört und heulte wieder laut auf. „Diese Schande, diese Schande!“

Ich stand vor einer schwierigen Entscheidung. Einerseits fand ich es schrecklich, daß diese Frau ihren Sohn offenbar zu Tode gefüttert hatte, davon kündeten etliche leere Packungen und Limonadenflaschen neben dem Nachttisch. Mit ihr hätte man kein Mitleid haben müssen und so hätte ich wirklich die Feuerwehr rufen können. Die wäre dann mit Riesentamtam gekommen, hätte das ganz große Besteck mitgebracht, das Fensterkreuz rausgesägt und den Toten sehr publikumswirksam nach unten gehievt.
Andererseits tat die Frau mir dann doch leid, und irgendwie hatte der kleine hellbraune Teddy in mir was zum Klingen gebracht. Ich fand, es stand mir gar nicht zu, die Frau zu verurteilen oder in irgendeiner Weise abfällig über den Dicken zu denken und zu sprechen.
So entschied ich mich für die „kleine“ Lösung ohne Feuerwehr.

„Sie da!“, sprach ich einen von den beiden Polizisten an und am liebsten hätte ich ihn etwas von oben herab mit „Er da, komme er her!“ angesprochen. Mir ging dieses verhaltene Grinsen der beiden Beamten fürchterlich auf die Nerven.
So etwas habe ich selten erlebt, normalerweise überwog distanzierte Sachlichkeit und ein dem Amt geschuldeter Ernst.
„Jo, jo“, meinte der Beamte und steckte sein Funkgerät in die Brusttasche seiner Jacke.

„Wie wäre es, wenn Sie mal mit anpacken?“, fragte ich ihn, ließ ihm und seinem Kollegen aber gar keine Zeit zum Antworten und schob die beiden einfach ein Stück nach vorne. Da auch im Flur der Wohnung etliche Leute herumlungerten, wollten die beiden sich wohl auch keine Blöße geben und nickten spontan und zustimmend. Manni gab ihnen Gummihandschuhe und wies ihnen eine Position jenseits des Bettes zu.
„So, und ihr da, ihr könnt auch helfen!“, bestimmte ich kurzerhand und ernannte drei besonders doof aus der Wäsche guckende Männer im Flur zu Helfern.

„Wer, icke?“, fragte einer verdutzt und ein anderer machte eine abwehrende Handbewegung.
Ich ließ das nicht gelten: „Sie stehen hier im Flur eines Sterbeortes herum, also gehören Sie ja zur näheren Familie. Wäre das nicht so, dann wären Sie nur neugierige Gaffer, die im Weg stehen. Und das Sie ja bestimmt keine Gaffer sind, werden Sie uns sicher auch gerne helfen, oder?“

Aus der Küche tönte es wieder: „Diese Schande, diese Schande…“, doch die Männer schauten sich nur kurz an. Nein, diese Blöße wollten sie sich auch nicht geben und so krempelten sie die Ärmel hoch.

Ich zählte durch: 2 Bestattungswagenfahrer, 2 Aushilfen, Manni und ich, 2 Polizisten und die drei Doofen vom Flur, insgesamt 11 Leute, das sollte doch wohl gehen.

Fortsetzung folgt


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 17. April 2015

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Leo
9 Jahre zuvor

Jaja, soweit die Theorie..;o)))

Rena
9 Jahre zuvor

Das Argument, dass sie wohl Angehörige sind, finde ich genial. Auch die Polizisten einzubeziehen. Blöd schauen und dumm daher reden kann schließlich jeder. Bin auf die Fortsetzung gespannt.

9 Jahre zuvor

Das Argument mit den „Angehörigen“ ist genial …

BestattungenWallraff
9 Jahre zuvor

Das die meisten Dicken Menschen in Obergeschoss oder Dachgeschosswohnungen sterben, ist schon verwunderlich. Wenn die Menschen mal vorher mitdenken würden was passieren könnte wenn sie Dicker und Dicker werden und das bis zum Tod, wäre manches Einfacher.

Bei uns haben wir dafür die Feuerwehr die dann das Gebäude mit Straße weiträumig absperrt so das es keine Gaffer gibt. Der Verstorbene wird dann mit der Drehleiter nach unten befördert.

Die Mutter des Verstorbenen kann ich allerdings gar nicht verstehen mit Ihren Wörtern: Was für eine Schande. Selbst wenn sie dem Sohn alle gefallen getan hat, muss Sie sich nicht den Schuh des Verstorbenen Sohnes anziehen, das er nun mit 11 Mann durchs Treppenhaus getragen wird hat er alleine zu Verantworten, auch wenn er davon nichts mehr mitbekommt.

Für Bestatter gibt es für solche (Dicken) Fälle auch ein Spezielles Brett auf dem der Verstorbene festgeschnallt wird und man ihn mit 2 Seilen die Treppenstufen hinuntergleiten lassen kann, ohne ihn Hochheben zu müssen.

sakasiru
Reply to  BestattungenWallraff
9 Jahre zuvor

@BestattungenWallraff:
Aber selbst wenn du die Straße absperrst kannst du ja kaum den Anwohnern verbieten, sich in (oder vor…) ihren Häusern aufzuhalten, und das dürften ja die Hauptzuschauer sein. Wäre natürlich nett wenn die Feuerwehr auch gleich noch das ganze Mietshaus evakuiert…

Hajo
Reply to  BestattungenWallraff
9 Jahre zuvor

@BestattungenWallraff:
zum Thema „Wohnen im Obergeschoss“ hätte ich einen Vorschlag: lasst doch die Schwerkraft entscheiden, wenn jemand zunimmt, rutscht dieser, dank der physikalischen Gesetze, eine Etage tiefer
.. und tiefer
.. und tiefer – STOP: wenn es in die Tiefgesschosse geht, hat der Bestatter ja auch wieder Probleme .. 🙁

fsck
9 Jahre zuvor

„Werd ich am Galgen hochgezogen,
weiß ich, wie schwer mein Arsch gewogen.“

Ich wiege nur die Hälfte, aber auch das sollte für alle Beteiligten mehr als genug sein.

9 Jahre zuvor

Was für eine Geschichte! Treib mich grad das erste Mal hier herum und erfreue mich über das Gelesene. Dane für die Erzählungen….

BestattungenWallraff
9 Jahre zuvor

@sakasiru Da hast du Recht. Aber wenn sich die Anwohner in oder vor Ihren Häusern aufhalten sehen sie bei einer Drehleiter Benutzung nur den GFK Sarg in dem der Verstorbene liegt.

Anders ist es bei einer Verstorbenen Bergung über das Treppenhaus, da könnte man alle Personen bitten, solange in Ihren Wohnungen zu bleiben bis der Verstorbene im Leichenwagen liegt. Sollte dieses nicht Funktionieren kann man sich auch als Polizist oder Feuerwehrmann vor die Wohnungstüren stellen und die (Gaffer Sicht) behindern.

Petrus
9 Jahre zuvor

bei uns in München rückt da die Feuerwehr mit Kran an, bei solchen Sachen.

übrigens sehr dezent.

wool
9 Jahre zuvor

mahahaha… „die drei Doofen vom Flur“ *ich brech ab*




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