Geschichten

Frau Beutgens I-V am Stück ohne Cliffhanger

Frau Beutgens war eigentlich ziemlich gefaßt, als sie zu uns kam. Ihr Mann Eugen hatte schon lange krank gelegen und war in der Nacht zuvor friedlich eingeschlafen. Fast hätte man meinen können, die Frau sei sogar etwas erleichtert gewesen. Oder nein, man muß sagen, sie war richtig erleichtert, denn was soll man da ein Geheimnis drum machen und aus vermeintlicher Pietät die Wahrheit verschweigen, denn sie hatte gesagt:

„Wenn ich schon über den Todesanzeigen das Wort ‚Erlöst!‘ lese, dann schüttele ich immer mit dem Kopf und frage mich, wer denn da wohl erlöst worden ist. Bei mir ist das klar, da bin ich die Erlöste.
Nee, ehrlich, der Eugen hat doch gar nichts mehr mitbekommen, der stand doch ständig unter Morphium. Aber ich, ich hatte die ganze Arbeit, habe meinen Mann gewaschen, gefüttert, gewindelt und getopft. Dabei bin ich doch auch schon 83 Jahre alt, gell, das sieht man nicht?“

Ich schüttelte nur den Kopf und sie sagte weiter:

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„Was so Angehörige oft leisten, das sieht keiner. Das bißchen Pflegegeld könnten die sich eigentlich auch in die Haare schmieren, die da oben. Wenn man’s nicht so dringend bräuchte, dann möcht‘ man es denen am liebsten wieder zurückschicken. Wenn dann so ein schwerkranker Mensch stirbt, dann ist das auch eine Erlösung für die die ihn pflegen mußten, oder sehen Sie das anders?“

Nein, das sehe ich nicht anders. Ich mußte das aber nicht sagen, Frau Beutgens merkte auch so, daß ich ihr zustimmte.
Dann kam sie zu dem Punkt, der sie besonders bewegte:

„Nun sind wir aber auch schon bei dem Problem. Ich habe nämlich keinen Pfennig für die Beerdigung.“

Das ist ja nun ein Problem, das ganz viele Leute haben und darauf ist man als Bestatter vorbereitet. Ich erkundigte mich nach der Gesamtsituation und konnte rasch erkennen, daß das kein Fall für das Sozialamt war, sondern daß Frau Beutgens und ihr Mann genug Rente bekamen, jedoch das meiste davon für die Pflege draufgegangen war. Ich schlug ihr eine Ratenzahlung vor.
Nein, das wollte sie auf keinen Fall. Nach dem Krieg habe man mal ein Sofa auf Abzahlung bei Möbel-Kuhnerling gekauft und das sei ganz fürchterlich für sie und ihren Mann gewesen. Zwei Jahre lang habe man sich nicht getraut richtig auf dem Sofa zu sitzen. „Da hat man dann was, was einem nicht richtig gehört und zahlt und zahlt und immer gehört es einem noch nicht ganz und wenn man es dann endlich abbezahlt hat, dann ist es schon gebraucht und fast schon alt. Ich verstehe auch nicht, warum sich viele Leute Autos auf Leasing holen. Das ist doch nur auf den ersten Blick günstig. Ich rechne diese Angebote in der Zeitung manchmal durch und dann sträuben sich mir die Haare, wenn ich sehe, was die am Ende bezahlen. Immer bezahlen, bezahlen, bezahlen und nie ist es richtig Deins und wenn dann der Tag gekommen ist, an dem du die letzte Rate bezahlst, dann geht so ein Werkstattmann um Dein Auto herum und schreibt jeden Kratzer und jeden Fleck auf und dann kriegt man einen Schreck, was dann alles noch obendrauf kommt. Hab ich bei meinem Großneffen so erlebt. Fürchterlich! Bloß keine Raten.“

Ihr Eugen sollte trotzdem eine ordentliche Bestattung bekommen, sie habe da noch so eine Kleinigkeit im Sparstrumpf, für alle Fälle, für den großen Notfall und der sei ja nun eingetreten.
Also suchte Frau Beutgens dann doch einen massiven Eichensarg und eine Deckengarnitur in mittlerer Preislage aus und buchte eine durchaus umfangreiche Bestattung mit schönen Blumen, Kondolenzbuch, Wurfsträußchen und einer Zeitungsanzeige in mittlerer Größe.

Mich erstaunte, daß sie ja erst gesagt hatte, sie habe keinen Pfennig mehr und dann doch noch einen Sparstrumpf aus dem Hut zauberte.

Die Bestattung von Eugen Beutgens verlief wunderbar. Es war eine sehr schöne Beerdigung und etwa 45 Leute nahmen in der Trauerhalle und am Grab Abschied von ihm. Danach ging es zum Leichenschmaus in den „Grünen Baum“.

Am nächsten Tag rief mich dann der dicke Hugo vom „Grünen Baum“ an und fragte, wann ich denn mit dem Geld vorbeikommen würde.

„Was? Wer? Ich?“

„Aber ja doch, die Frau hat gesagt, Sie bezahlen das alles.“

„Wir als Bestatter?“

„Ja sicher, hat die gesagt.“

„Das war aber so nicht mit ihr vereinbart“, knurrte ich und versuchte Frau Beutgens zu erreichen, doch sie ging nicht ans Telefon.

Nun ist es ein sehr seltenes, aber nicht einmaliges Vorkommnis, daß wir als Bestattungshaus auch solche Kosten zunächst einmal übernehmen. Normalerweise machen wir das bei Gärtnern, der Sterbeanzeige in der Zeitung und für die Friedhofsgebühren. Daß wir auch den Leichenschmaus zwischenfinanzieren und dann mit der Endrechnung abrechnen, ist eher ungewöhnlich, aber schon ein paar mal vorgekommen.
Also schickte ich Frau Büser rüber, das zu erledigen. Antonia konnte ich nicht schicken, um die Zeit gab es im „Grünen Baum“ immer Leberwurst-Buffet und da wäre sie vor Ablauf von zwei Stunden und 22.000 Kalorien nicht zurückgekommen.
Sandy weigerte sich sowieso seit über einem Jahr, in den „Grünen Baum“ zu gehen, weil Hugo sie angeblich mal begrapscht hätte und dann eine Woche lang ein blaues Auge gehabt haben soll.
Der dicke Hugo hatte das damals lachend von sich gewiesen, er sei nur ganz aus Versehen mit der einen Hand am Hintern der „Kleenen“ gelandet und die andere Hand sei nur an ihren Busen geraten, weil sie so gezappelt habe.
„Ja genau, und exakt aus dem gleichen Versehen, ist der Fettwanst mit seinem Glotzauge auch gegen meine Faust gedonnert“, hatte Sandy dazu gesagt und war eben seitdem nicht mehr gut auf den Gastwirt zu sprechen.
Später hatte Sandy dann zugegeben, daß sie der Tochter des Gastwirtes, die in der Küche und als Bedienung mitarbeitet, schöne Augen gemacht hatte, was den Alten erzürnt und dazu veranlaßt hatte, „ihr mal zu zeigen, wie ein richtiger Kerl das macht, dann geht das schon weg mit dem Lesbotismus!“
Soweit ich mich erinnere, haben sich Sabine, die Tochter des Wirtes; und Sandy dann noch etliche Monate getroffen, aber den „Grünen Baum“ hatte Sandy seitdem nie wieder betreten.

Gut, Frau Büser kam wenig später mit einer quittierten Rechnung über 788 Euro wieder zurück, sie hatte sich weder mit dem Wirt geprügelt, noch das Leberwurstbuffet eingesaugt und auch Sabine mit dem langen Hals und den langen Beinen war ihr nicht aufgefallen.
„Ich schreibs halt der Frau Beutgens mit auf die Rechnung“, hatte sie gesagt und wieder ihren Platz am Steuerrad des bürotechnischen Geschicks übernommen.

Wir ließen etwa zehn Tage verstreichen, dann druckte Frau Büser die Rechnung aus und Antonia nahm sie mit, weil Frau Beutgens Wohnung auf ihrem Weg lag. Sie wollte den Umschlag dort einwerfen, um Porto zu sparen.

In unserer Buchhaltungssoftware sah ich dann einige Tage später, daß Frau Beutgens ihre Rechnung auf Heller und Pfennig bezahlt hatte. Na, da war wohl einiges im Sparstrumpf gewesen.

Etwas merkwürdig war aber, daß Frau Büser am Ende des Monats mit ein paar Kontoauszügen in mein Büro kam und mich darauf aufmerksam machte, daß wir zwei Fehlbeträge hätten. Einmal war das eine Rechnung, die wir schon eine Weile schoben, eine Familie aus Ghana war uns noch was schuldig und ich war mir sicher, daß wir diese Rechnung irgendwann ausbuchen und als Fehlbetrag verbuchen konnten; und zum anderen war das die Rechnung von Frau Beutgens.
„Ja wieso das denn?“ sagte ich und tippte auf den Monitor: „Hier steht doch ‚bezahlt am 26. Juni‘, wie kann die noch offen sein?“

„Ja, in unserem System ist das abgehakt, aber es gibt keinen Zahlungseingang.“

„Moment mal“, sagte ich und klickte den Pfeil neben dem Zahlungsvermerk an, worauf sich ein Fenster öffnete, in dem man sehen konnte, wer das verbucht und auf welchem Weg bezahlt worden war.
Doch war das Fenster nicht ausgefüllt. Normalerweise geht das gar nicht, aber in diesem Fall war das so.

„Das gibt’s doch nicht!“ schimpfte die Büserin und versprach, das sofort zu klären.

Doch dann kamen zwei Sterbefälle kurz hintereinander, dann das Wochenende, dann die Trauerfeiern für die zwei Sterbefälle, dann der Steuerberater, dann war Sandy drei Tage krank, dann Antonia eine Woche in Urlaub und so vergingen auf seltsame Weise fast zwei Monate, bis Frau Büser ihr Vorhaben endlich in die Tat umsetzen und die beiden jungen Frauen zur Rede stellen konnte.
Aber auch unter Androhung der hochnotpeinlichen Befragung und auch nicht nach Vorzeigen der Büserschen Folterwerkzeuge, dem bösen Blick und dem ausgestreckten Zeigefinger, war keine der Frauen bereit irgendetwas zu gestehen.
Sandy schob das auf den blöden Computer, der mache angeblich sowieso was er wolle und Antonia zuckte völlig unbekümmert nur mit den Achseln. Ich hörte Frau Büsers Stimme, die in solchen Fällen durchdringend wie eine auf einen Nagel im Holz treffende Kreissäge werden kann, und wie sie sagte: „Dann muß die Frau eben herkommen und einen Beleg mitbringen. Irgendwas wird die ja haben. Irgendwie muß die ja belegen können, wie sie bezahlt hat.“

Da schlug dann Antonia vor, nach Feierabend mal eben selbst bei Frau Beutgens „reinzuspringen“ und sie nach einem Zahlungsbeleg zu fragen.

Zwei Tage später kam mir der Vorfall wieder in den Sinn und ich fragte Frau Büser, als sie mir eine Unterschriftenmappe ins Büro legte, was denn daraus geworden sei.

„Ja, das ist ne dolle Geschichte, Antonia hat sich den Bankbeleg zeigen lassen und demnach hat die Frau Beutgens von ihrem Konto bei der Kreissparkasse auf unser Konto überwiesen. Ich habe da jetzt eine Nachforschung angeleiert, aber das kann dauern, sagen die von der Bank.“

Also gut, dann war es ein Bankfehler, eine Fehlbuchung, es würde sich bestimmt alles klären und ich hakte die Sache innerlich ab.

Etwas später am Tag kam ich gerade aus der Trauerhalle, wo ich noch die Dekoration für eine Trauerfeier am Nachmittag zurechtgerückt hatte, da lief mir Antonia über den Weg und im selben Moment wurde mir klar, daß ich die Frau seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Nun war das Bestattungshaus ja nicht der Buckingham-Palast, es war groß und hatte viele Räume, aber man sah sich doch immer mal wieder und lief sich über den Weg, zumal Antonia eigentlich jeden Tag mit einer Tüte vom Bäcker Schlotzkramp durch die Zimmer zog und jedem was Fettgebackenes anbot.

„Mensch, wo hast Du denn gesteckt?“ fragte ich sie und sie glotzte mich nur aus riesengroßen Augen an, wie ein neugeborenes Kalb.
„Wo hast Du denn gesteckt? Bekomme ich nichts mehr aus Deiner süßen Bäckertüte?“ fragte ich und in der selben Sekunde füllten sich die Kalbsaugen mit Tränen und Antonia begann zu schluchzen: „Wie machen Sie das bloß, Chef? Sie kriegen immer alles raus! Ich kann doch nichts dafür, die arme Frau hat mir so leid getan. Ich habe das in den Sterbefall eingegeben und bin das mit der Bezahlung Schuld. Die hat doch nichts, die weiß doch gar nicht wie sie das bezahlen soll. Was sollte ich denn machen? Die arme Frau…“

„Moooooment!“ unterbrach ich sie, faßte sie von hinten bei den Schultern (sic!) und schob sie vor mir her in Richtung meines Büros.

Sandy kam uns entgegen, warf einen kurzen Blick auf das merkwürdige Gespann, das ihr entgegen kam, verzog ihr Gesicht und meinte: „Ach Gott, Chef, hast Du was getrunken, daß Antonia Dich stützen muß? Findest Du den Weg nicht mehr ins Büro?“

„Halt die Klappe!“

In meinem Büro brach Antonia dann vollends zusammen, was man daran sah, daß sie ihre Bäckertüte fallen ließ und beide Hände vors Gesicht schlug.
Ja, sie habe doch so Mitleid mit der alten Frau und die habe gesagt, sie würde das Geld schon irgendwie auftreiben und da habe sie gedacht man könne da doch einen Haken reinmachen bei bezahlt und dann käme irgendwann das Geld und keiner würde was merken…

Dann folgte langes Geschluchze und Gestammel und ich konnte Antonia erst beruhigen, als ich sie in den Arm nahm und tröstete.
Dennoch dauerte es fast eine Viertelstunde, bis sie sich beruhigt hatte.
Keine ruhige Sekunde habe sie gehabt, keine Nacht mehr geschlafen, wenigstens zwei Pfund habe sie verloren, ihre Jeans rutsche ihr schon vom Hintern und überhaupt ginge es ihr seitdem ganz schlecht…

Da war also Antonia, soviel konnte ich dann noch in Erfahrung bringen und aus dem Gestammel zusammenreimen, mit der Rechnung zu Frau Beutgens Wohnung gefahren und die alte Dame hatte sie vom Fenster aus gesehen und heraufgewunken. Dort hatte Antonia ihr die Rechnung übergeben, die Frau Beutgens sogleich geöffnet hatte. Danach hatte die alte Frau so geweint und erzählt, daß auf dem einen Sparbuch, von dem sie dachte, es enthielte ihren Notgroschen, gar nichts mehr drauf gewesen sei. „Das muß ich irgendwann abgehoben haben, ich hatte doch so viele Sachen zu bezahlen, der Eugen hat doch so lange gelegen. Das habe ich aber total vergessen. Und jetzt stehe ich da und kann so eine hohe Rechnung nicht bezahlen. Vielleicht wenn die Rentenkasse die drei Monatsrenten überweist. Aber jetzt nicht.“

Das große Herz unseres Pummelchen hatte uns also ziemlich in die Bredouille gebracht. Sie hatte einfach den Sterbefall als bezahlt abgehakt und darauf gehofft, die alte Frau würde kurz darauf doch irgendwie noch bezahlen. Und das mit dem angeblichen Bankbeleg, das habe sie nur erfunden, um nicht aufzufliegen…
Na ja, wer Antonia kennt, der kann ihr nicht böse sein; unmöglich!

Was Frau Beutgens aber anbetraf, so war ich mir zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht ganz sicher, ob sie wirklich so unbedarft war oder ob sie nur irgendwie eine große Beerdigung für ihren Eugen veranstaltet haben wollte und dabei genau gewußt hat, daß sie sie nicht bezahlen können würde.

Tja, was nun?

Aber ja doch! Antonia hatte mir ja einen Trumpf in die Hand gespielt: Frau Beutgens mußte inzwischen längst die Dreimonatsrente bekommen haben.
Man bekommt ja vom Rentendienst auf Antrag noch drei volle Renten des Verstorbenen auf einen Schlag ausgezahlt.
Also rief ich bei Frau Beutgens an, die sich ahnungslos gab und herumjammerte, das wachse ihr jetzt langsam doch alles über den Kopf und das Geld von der Rentenkasse habe sie bereits für den Grabstein ausgegeben.

Ich kochte innerlich, denn der Grabstein, der hätte noch ewig Zeit gehabt, den kann man sich auch in ein oder zwei Jahren zusammensparen. Stattdessen hätte sie lieber unsere Rechnung bezahlt, schließlich waren wir für alles in Vorleistung gegangen.

Daher war ich nicht besonders freundlich, aber auch nicht unfreundlich, als ich Frau Beutgens kurzerhand für den nächsten Tag zu mir bestellte.

Sie kam dann auch und, was soll ich sagen, auch sie guckte mich so an, daß ich nicht böse sein konnte. Sofort waren alle meine Befürchtungen, die Alte habe uns vielleicht verschaukelt, vollkommen verflogen. Denn sie war wirklich „völlig durch den Wind“, hatte den Überblick verloren und ihre große Handtasche quoll über von Unterlagen.

„Schauen Sie mal, das muß ich alles noch erledigen, der Eugen hatte da so eine Schublade mit dem Schreibkram. Der war auch im ADAC und überall muß ich ihn abmelden.“

Normalerweise macht der Bestatter solche Abmeldungen. Anhand von Dokumenten und Kontoauszügen ermittelt er, wofür regelmäßig Beiträge gezahlt werden und wo überall Mitgliedschaften bestehen und sofern das nicht mehr benötigt wird, meldet er das ab oder auf die Hinterbliebenen um.
Frau Beutgens hatte aber schon beim ersten Gespräch gesagt, der sei nur noch bei den Taubenzüchtern und da rufe sie eben den Obertäuberich selbst an.

Sandy und ich machten uns im großen Besprechungsraum dann daran, Frau Beutgens Unterlagen zu sondieren und zu sortieren, während Frau Beutgens und Antonia nur weinten.
Nach gut zehn Minuten hatten wir einen ersten Überblick und sahen, daß das alles kein Problem war. Der ADAC, zwei Vereinsmitgliedschaften, ein Beitrag für einen unseriösen Flugrettungsverein und ein Abo für den „Schachfreund“.
Die Mappe mit den ordentlich abgehefteten Kontoauszügen brachte dann noch einen Vodaphone-Vertrag zum Vorschein, für den Herr Beutgens jeden Monat fast 30 Euro bezahlte.#

„Ach was? Das kostet jeden Monat was?“ schluchzte Frau Beutgens. „Als der vor ein paar Jahren mal in Kur war, hat der sich so ein Ding gekauft, weil vom Kurzimmer kostete das 90 Cent pro Minute. Aber wir haben gedacht, man muß nur bezahlen, wenn man da auch spricht und seit der Kur liegt das Telefon originalverpackt im Schrank.“

„Kein Problem, melden wir ab“, beruhigte sie Sandy und tippte dann auf einen Eintrag im Kontoauszug vom Januar.
Im Januar werden ja bekanntlich viele Versicherungsbeiträge abgebucht und auch da fanden wir zwei, die Frau Beutgens nicht mehr brauchte. Auf dem nächsten Blatt entdeckte ich dann einen Eintrag, der mich aufmerken ließ.
Da buchte eine „Inveritas für Columbiana auf Gegenseitigkeit gem.nütz.e.V.“ zweimal 148 Euro ab.

„Frau Beutgens, was ist denn diese ‚Columbiana‘, die da immer bei Ihnen abbucht?“ fragte ich und die alte Dame winkte nur ab. „Die gibt es nicht mehr.“

„Was war denn das? Die muß es doch noch geben, wenn die immer noch abbucht. Was ist denn Inveritas?“

„Inveritas? Kenne ich nicht.“

„Was war denn diese Columbiana?“

„Ach, das hatte der Eugen mal irgendwann unterschrieben, das war mal früher so ein nachbarschaftlicher Sterbeverein. Kostete immer so 60 Pfennig im Monat, da kam immer so ein Kriegsinvalide zum Kassieren, so einer mit so’ner Lederhand, wissen Sie?“

„Okay, da kam also immer einer und hat kassiert und Sie haben jeden Monat bezahlt…“

„Nee, der ist schon lange tot. Überlegen Sie doch mal! Warten Sie, das war, ach Gott mein Gedächtnis, das war so ungefähr 1980, da kam der dann noch einmal und wir mußten was unterschreiben wegen dem Bargeldlosen, weil es ab da keine Kassierer mehr gab.“

„Gut, also der Mann mit der Lederhand hat Sie auf einen Dauerauftrag oder eine Lastschrift umgestellt, ist dann nicht mehr gekommen und dann irgendwann gestorben.“

„Ja, der ist tot, der wär‘ ja jetzt schon hundert Jahre alt.“

„So, und seitdem bezahlen Sie bargeldlos an die Columbiana.“

„Nein! Ich sagte doch schon, daß es die nicht mehr gibt. Dieser Verein ist aufgelöst worden, da haben wir dann damals ein paar Jahre später einen Brief bekommen.“

„Aber Sie hatten doch all die Jahre einbezahlt.“

„Das waren doch bloß sechzig Pfennig, ach warten Sie, ich lüge, am Ende waren das 85 Pfennig.“

Mir war klar geworden, was da passiert war. Durch die Umstellung auf bargeldlose Zahlung war auf einmal keiner mehr von dieser Sterbegeldkasse gekommen. Als dann noch der Brief gekommen war, daß die Columbiana aufgelöst und offenbar von der Inveritas übernommen worden war, hatten die alten Leute die Kasse ganz vergessen, obwohl sie, wie die Abbuchung im Januar bewies, immer noch zahlende Mitglieder waren.

Sandy nickte mir kurz zu und verschwand mit dem Kontoauszugsordner in ihrem Büro. Es dauerte keine zehn Minuten, da war sie wieder da. „Alles klar, Chef, einfach die Sterbeurkunde und falls vorhanden die Police, ansonsten den Beleg für die letzte Beitragszahlung hinfaxen und im Original nachreichen. Da gibt es 5.000 Euro plus Überschüsse, die der Typ erst noch ausrechnen muß.“

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis wir Frau Beutgens die Zusammenhänge klar gemacht hatten. Sie konnte überhaupt nicht begreifen, daß da jetzt doch noch Geld kam.
Als sie es endlich begriffen hatte, war sie sehr erleichtert. Sie und Antonia weinten noch ein bißchen, diesmal vor Freude und dann verkündete Frau Beutgens, nachdem sie ziemlich lautstark ihre Nase geputzt hatte:

„So und zur Feier des Tages lade ich Sie alle in den ‚Grünen Baum‘ ein!“

„Ohne mich!“ rief Sandy und machte eine abwehrende Handbewegung.

„Ach komm“, sagte ich: „Wenn Hugo Dich wieder begrapschen will, grapschen wir beide zusammen zurück und ich helfe Dir auch beim Verhauen!“


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 23 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 26. Oktober 2012 | Revision: 29. März 2016

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