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Freddy II

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Zurück zu Freddy Kunkelborn.
Nach einigem Hin und Her, das mit dem im vorherigen Artikel Geschilderten nicht viel gemeinsam hatte, war mir dann klar, daß dieser Manfred Kunkelborn, der mich immer grüßte und mir nachbarschaftlich zuwinkte, zwangsgeräumt worden war. Vor anderthalb Jahren war seine Frau gestorben, mit gerade mal 51 Jahren und da hat er wohl angefangen mit Vielem aufzuhören, insbesondere mit dem Bezahlen von Rechnungen. Viele Umschläge machte er gar nicht mehr auf, weiß Frau Büser zu berichten, und schließlich sei der Gerichtsvollzieher mit einem Möbelunternehmen angerückt und man habe dem Kunkelborn die Wohnung leergeräumt.

Der sei an dem Tag untergetaucht gewesen und es sei nur dem Gerichtsvollzieher zu verdanken gewesen, daß er überhaupt noch ein Dach über dem Kopf gehabt habe. Denn obwohl es nicht zu seinen Aufgaben gehörte, hatte der Gerichtsvollzieher bei der Wohnungsbaugesellschaft, für die er in der großen Wohnung die Zwangsräumung von Kunkelborn betrieb, durchgedrückt, daß die Freddy eine Zweiraumwohnung am anderen Ende der Straße gegeben haben.
Als Kunkelborn dann mit dem Untertauchen fertig war, wohnte er eben nicht mehr in Nummer 12 sondern in Nummer 78, Hochparterre rechts.
Dorthin hatte der Gerichtsvollzieher auch die Kisten und Kästen bringen lassen, so sparte der sich den Aufwand des Einlagerns ohnehin wertloser Sachen und Freddy bekam die Chance, mit einer wesentlich geringeren Miete nochmals von vorne anzufangen.

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Was die Büser alles weiß!

Ich erzähle das, weil Freddy Kunkelborn heute Morgen vor mir sitzt und mir Sterbepapiere über den Tisch schiebt.
Gestorben ist eine Maria Montecello, gebürtige Italienerin, seit Ewigkeiten Deutsche, geschieden von Carlo Montecello und zuletzt Lebensgefährtin von Freddy.

Um es kurz zu machen: Frau Montecello hat sich totgesoffen.

Nach dem Tod seiner eigenen Frau hatte Kunkelborn zu allem Unglück auch noch seine Arbeit verloren. Obwohl, eigentlich muß man sagen, daß es reine Blödheit war.

In der Fabrik hatte einer seiner Kollegen eines Tages verkündet, daß er aufhöre und bei einer anderen Firma anfange. Ja, und wie das immer so ist, wollten dann natürlich alle wissen, was das für eine Firma sei und ob es da besser sei. Und genauso klar war es, daß der Kollege die Verhältnisse in der neuen Firma in den schönsten Farben schilderte. Bezahlung satt, Urlaub von Ende Februar bis Anfang November, keine Überstunden, ganz leichte Arbeit, tolle Kantine und alles frei.
Das wollten seine Kollegen natürlich so nicht wahrhaben, aber der andere sagte nur: „Ihr könnt Euch ja selbst davon überzeugen, die suchen noch jede Menge Leute.“

Man mag es ja gar nicht glauben, daß ein einzelner Mensch so doof sein kann, noch weniger, daß eine ganze Gruppe so doof sein kann, aber tatsächlich haben daraufhin drei, darunter auch unser Freddy Kunkelborn, bei der jetzigen Firma gekündigt und waren voller Hoffnung, daß das Arbeiter-Schlaraffen-Paradies, von dem der andere Kollege erzählt hatte, wirklich „jede Menge Leute“ sucht.

Man muß sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: In einer Zeit in der jeder froh sein muß, wenn er überhaupt eine anständige Arbeit für ein ausreichendes Geld hat, schmeißen drei Kollegen ihren Job hin, allein auf die vage Vermutung eines Dritten hin, bei einer anderen Firma gäbe es bessere Jobs.

Ich muß, so glaube ich, gar nicht weitererzählen, oder?
Also, bei der Schlaraffenland-Firma gab es keine weiteren Jobs und von den drei Idioten wurde nur einer bei der alten Firma wieder genommen. Nicht wieder genommen wurde Freddy Kunkelborn, der daraufhin wieder anfing, ungeöffnete Briefumschläge in die Ecke zu werfen, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen und, wegen fehlender Einnahmen, die Miete nicht zu bezahlen.
Es soll ja auch mit der Arbeitslosenunterstützung diverse Schwierigkeiten geben, wenn man seinen Job ohne zwingenden Grund hinschmeißt…

Wenigstens hatte Kunkelborn Glück und lernte in einer Kneipe die besagte Maria Montecello kennen. Die soff sich da allabendlich den Kopf von den Schultern, hatte aber wenigstens Arbeit. Sie verdiente sich das wenige, was ein Säufer so zum Essen braucht, als Packerin in einer Fabrik und konnte Freddy tatsächlich nach drei Monaten einen Job besorgen.
Maria Montecello gehörte zu jenen Säuferinnen, die den ganzen Tag wunderbar funktionieren, eine gute Arbeit leisten, ihre Wohnung in Schuß halten, aber dann den ganzen Abend an der Flasche oder am Zapfhahn hängen.

Bald schon zog man zusammen, was auch dadurch beschleunigt wurde, daß es derer ungeöffneter Umschläge zuviele geworden waren und die Wohnungsgesellschaft keine Lust mehr hatte, den sowieso schier unüberschaubaren Berg an Mietschulden noch weiter anwachsen zu lassen. Kunkelborn kam einer weiteren Zwangsräumung durch einen nächtlichen Umzug zu seiner Maria zuvor.
Nun ja, so ein richtiger Umzug war das nicht, eher das übereilte Mitnehmen diverser Artikel aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik und das Zurücklassen der immer noch nicht ausgepackten Kisten und Kästen von der Zwangsräumung…

So, jetzt hatte Kunkelborn also eine Partnerin, eine gemeinsame Wohnung, einen Job, eine Frau, die auch arbeitet, und hätte sich darum kümmern können, irgendwie aus der Scheiße der Misere wieder herauszukommen. Ein paar arme Jahre und man wäre über den Berg gewesen.
Nö, hat er aber nicht gemacht. Stattdessen muß Freddy ein göttlicher Strahl aus dem Himmel getroffen haben, der in ihm die Erkenntnis weckte, er habe nun die quasi göttliche Aufgabe, seine Maria vom Suff zu erlösen.
Das kann man natürlich am Besten, wenn man nicht mehr arbeiten geht und erst mal zu zweit weitersäuft.
Er selbst habe ja, das beteuert Freddy mehrfach, nie einen Tropfen angerührt. Bei allem Elend und bei allem was man ihm vorwerfen könne, gesoffen habe er nie. Aber mit Maria war das anders, da sei das sozusagen Bestandteil der selbstausgedachten Therapie gewesen. Damit die mal sehe, wie das ist, wenn der Partner besoffen ist…

Mir wird beim Schreiben schon fast schlecht…
Die Hälfte aller Lehrer, sagen böse Zungen, fristen so ihr Leben. Sie tun ihre Arbeit und fallen jeden Abend ins promillebedingte Koma. Andere behaupten, das seien nicht die Lehrer, sondern die städtischen Bediensteten und wieder andere sagen, das seien weder die einen noch die anderen, sondern das träfe generell auf alle Polizisten zu…
Ich kann’s nicht beurteilen, vielleicht ist ein wahrer Kern enthalten, jedenfalls kenne ich auch den einen oder anderen, der weder Lehrer, noch Bediensteter, noch Bul Polizist ist, der sich auf diese Weise durchs Leben trinkt und das schon seit Jahrzehnten.
Alle haben eines gemeinsam: Sie fallen der Umwelt nicht auf, sie fallen niemandem auf den Wecker und sie funktionieren ansonsten in Beruf und Alltag. Es wäre also absoluter Quatsch, wenn sie nicht mehr arbeiten gingen. Aber genau das hatte Freddy seiner Maria und blöderweise auch sich selbst als Therapie verordnet.

Ja ja, und es kam so wie es kommen mußte: Die Firma schickte irgendwann Kündigungen und die ganze Situation für Freddy wurde immer verfahrener.

Schulden ohne Ende, keine Arbeit und jetzt noch die Lebensgefährtin tot.

„Kann ich das in Raten bezahlen?“

„Wovon denn?“

„Keine Ahnung.“

„Man kann ja nur dann etwas in Raten bezahlen, wenn man auch Geld hat.“

„Ich dachte, man bezahlt immer dann in Raten, wenn man kein Geld hat.“

„Ja, wenn man den vollen Betrag nicht hat. Aber wenigstens das Geld für die Raten sollte man haben.“

„Das sind die auf dem Amt Schuld. Herzloses Gesindel!“

Ich mag Herrn Kunkelborn nicht wegschicken. Wir haben schon unter noch viel schlimmeren finanziellen Bedingungen eine anständige Beerdigung hinbekommen, aber ich muß als Kaufmann ja doch wenigstens einen kleinen Silberstreif am Horizont sehen. Also nehme ich erst einmal die persönlichen Daten von Freddy und der Toten auf, lasse mir diverse Unterlagen unterschreiben und schicke ihn dann heim, damit er mal prüfen kann, wer da als weiterer Geldgeber in Frage kommen könne.
Schließlich soll die Frau erwachsene Kinder haben…

Irgendwie kommt die Frau unter die Erde, soviel ist sicher. Aber genauso sicher ist, daß Freddy Kunkelborn meine spätere Rechnung ungeöffnet auf einen Stapel mit noch mehr ungeöffneten Rechnungen werfen wird.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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