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Gerolltes Geld V

Auf dem Monitor ist nur ein schwarzer Haarknoten zu sehen. Die Schwester der Verstorbenen steht in der Aufbahrungszelle direkt vor der Kamera und verdeckt das Bild. Das ganze Haus wimmelt und es ist ein Lärm und Stimmengewirr, daß ich am Liebsten davonlaufen möchte. Aber das geht nicht, wir haben seit Montagmorgen „open house“.

Nein, keiner sagt irgendetwas Negatives über das Aussehen der aufgebahrten Roma-Frau. Tot sehen sowieso alle Menschen etwas anders aus und mit einem ansehbaren Anblick hat in der Familie niemand gerechnet, der Mann der Verstorbenen hatte allen schon das Schlimmste erzählt und jeder hatte wohl schreckliche Erwartungen. Nein, man ist wirklich zufrieden mit unserer Arbeit. Aber ich habe keine Zeit mich wirklich darüber zu freuen. In unserem schönen Bestattungshaus ist die Hölle los der Wahnsinn ausgebrochen.

Es ging am Montagmorgen los. Nur ein paar Leute, so hieß es, wollen Abschied nehmen und zuerst kam eine Gruppe Männer, vielleicht acht an der Zahl. Kaum hatte aber jemand von uns die Leute in den Aufbahrungstrakt geführt, tauchten wenigstens zwölf Frauen mit Kindern und Kindeskindern auf, die unsere Halle bevölkerten. Es gehört wohl zur Lebensart und auch zur Trauerbewältigung, daß man laut ist, nehme ich an. Was die Kinder aber veranstalten, geht auf keine Kuhhaut und ist mit nichts anderem zu erklären, als daß man sie nicht im Griff hat und ihrem Tun nicht wehrt.

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Die Gören fassen alles an und kaum sind sie zehn Minuten da, gibt es keinen Raum mehr im unteren Haus, in dem sie nicht herumlaufen und alles in die Hände nehmen. Sandy, Frau Büser und ich sind vollauf damit beschäftigt, die Kinder von überall zu vertreiben und die Räume, in denen sie nichts zu suchen haben, abzuschließen. Das ist gar nicht so einfach, wir müssen teilweise erst die Schlüssel suchen, manche Räume waren noch nie abgeschlossen gewesen.

Wenigstens einhundert Personen schleusen wir an diesem Montag alleine am Vormittag durch unser Haus. Sie gehen in kleinen Gruppen zu der Verstorbenen, es wird geweint, nicht lamentiert, dann ist man wieder fröhlich, man verweilt, ist andächtig, jeder bringt irgendetwas mit und bei unserer -in kurzen Abständen durchgeführten- Kontrolle sehen wir, daß man der Verstorbenen Schmuck in allen nur erdenklichen Formen angelegt hat. Vor allem Broschen, Anstecknadeln und alles sieht für mich wahnsinnig wertvoll aus.

Die Trauergäste sind alle gut gekleidet, die Mädchen und Frauen tragen durchweg Kleider oder Röcke, keine einzige Hosen. Die Jungs und Männer stehen für sich und diskutieren in kleinen Gruppen. Es kommen immer mehr Leute, wir reichen Mineralwasser und Kekse in rauen Mengen.

„Mein Herr, wie können Sie alle Stühle wegschließen, wir müssen doch irgendwo sitzen?“ beklagt sich eine Frau und meint damit den Umstand, daß wir unsere Trauerhalle abgeschlossen haben, wo hinten an der Wand Stapelstühle stehen. Gepolsterte Stapelstühle, das Stück einmal für 190 Mark gekauft. Von diesen Stapeln haben die Leute sich einige Stühle genommen, in der Halle wild plaziert und dann turnten die Kinder mit Schuhen über die hellgrauen Bezüge.

„Geben Sie mir bitte einen Stuhl für diesen alten Mann hier. Sehen Sie nicht, daß der Mann schon beinahe hundert Jahre alt ist und unbedingt sitzen muß?“

Ich gebe der Frau einen Stuhl heraus, will aber kurz dazu sagen, daß es in der Eingangshalle Bänke und Sofas für wenigstens 30 Personen gibt. Die sollen ja nicht bei uns einziehen, sondern Abschied nehmen und irgendwann dann auch wieder gehen, so findet dann doch jeder einmal auch einen Platz.
Der alte Mann ergreift meine Hand und küßt sie, er lächelt dankbar aus einem fast zahnlosen Mund und jemand trägt den Stuhl vor die Tür, der Alte will an der frischen Luft sitzen. Ja, so sind sie, freundlich und dankbar. Bin ich politisch unkorrekt und ein böser Mensch wenn ich berichte und mich darüber ärgere, daß keine zehn Minuten später sowohl der Alte, als auch mein 190-Mark-Stuhl verschwunden sind und kein Mensch, aber wirklich kein einziger den Alten kennen will?

Frau Büser zieht eine Fresse, anders kann man das nicht nennen, sie muß mit Antonia zusammen in der Gästetoilette zwei Toilettenkabinen putzen. Jemand hat Spaß daran gefunden eine Rolle Klopapier in den Abfluss der einen Toilette zu stopfen und in der anderen Toilette hat jemand, ich sag’s mal so, die Schwerkraft aufgehoben und kurz unter der Decke an die Wand geschissen.

Nein, ich schimpfe nicht auf Roma, ich behaupte nicht einmal, daß das alles für sie typisch ist, sowas kommt immer vor, wenn sehr viele Menschen in einem ständigen Kommen und Gehen beieinander sind. Aber eine halbe Stunde später fehlt eine Rechenmaschine mit Rollendrucker im Büro und Manni zieht an den Ohren zwei Jungs aus dem Keller hoch: „Chef, die haben alles angepackt und wenn Sie ich fragen, die wollten klauen.“

Schluß, aus, fertig! Ich suche mir einen Mann, der das Sagen zu haben scheint und er entpuppt sich als einer der zahlreichen Onkel. So gehe das nicht weiter und jetzt würden wir für Ordnung sorgen, gebe ich bekannt. Ab sofort dürfen überhaupt nur noch so viele Leute in unser Haus, wie in der Eingangshalle Platz finden. Alle anderen Räume, bis auf Toilette und Aufbahrungstrakt sind tabu! Wenn fünf rausgehen, dürfen die nächsten rein usw.
Der Onkel versteht das, lächelt und kommandiert. Es dauert aber über eine Stunde, bis endlich unser Konzept aufgeht. Manni steht wie ein Zerberus vor dem Gang der zu den Büros und zur Treppe führt, er läßt keinen durch. Antonia muß Klofrau spielen und passt bei jedem Einzelnen auf, ob er das Klo auch sauber verlässt, das tun übrigens sowieso die Allermeisten. Trotzdem sind am Abend zwei Klorollenhalter, ein Seifenspender und eine Spülkastenabdeckung verschwunden.

In der Mittagszeit war der Besucherstrom etwas abgeebbt, am Nachmittag kamen dann wieder mehr Leute. Ich kann Herrn Kanzelbauer von gegenüber nur mit Mühe und einer Flasche Wein vom Besten beruhigen, denn sein Vorgarten sieht aus wie eine Müllkippe. Zwei unserer Fahrer picken drei große blaue Müllsäcke voll Pappteller, Getränkeflaschen und Verpackungsmaterial zusammen, später wird Herr Kanzelbauer meine Spülkastenabdeckung in seiner Mülltonne finden.

Wer denkt, daß das dann abends vorbei ist, der täuscht sich. Nein, das geht auch in der Nacht weiter, die Tote darf man ab jetzt vor allem in der Dunkelheit nicht mehr alleine lassen. Frauen übernehmen die Nachtwache und es bleibt bei einem Kommen und Gehen.
Wenigstens sind am Abend keine Kinder mehr da. Übrigens: Die Kinder gehorchen alle auf Wort, sind durchweg eigentlich ganz hübsch, aber ihren Gehorsam stellt kaum einer auf die Probe, man lässt sie gewähren, vor allem die Jungs.

Bitte, ich schildere hier keine Katastrophe und will die Leute nicht schlecht machen, aber jetzt weiß jeder, warum ich 25% mehr verlange.
Es ist exakt so passiert.

Am Abend kommt Josef und hat den Witwer am Arm, die beiden bleiben bestimmt eine halbe Stunde bei der Toten, dann kommen sie zu mir. Wir sitzen beisammen und der Witwer hält meine Hand. Er ist so dankbar, daß wir seiner Frau ein Gesicht geschenkt haben, denn nun kann sie in Frieden ruhen und muß sich nicht schämen.

Josef meint, es seien über 400 Personen zu erwarten, die Hälfte sei schon da und in den nächsten Tagen kämen noch mehr und wenn die aus Rumänien kommen, dann sind es bald 700 Menschen, aber die meisten kämen nur direkt zur Beerdigung auf den Friedhof nicht zu mir ins Haus, ich bin beruhigt…

Die Polizei taucht auf, ob ich dafür verantwortlich sei, daß auf dem Platz hinter dem alten Bahnhof jetzt vier Dutzend Wohnwagen wild campieren?
Nein, bin ich nicht, ich verweise die beiden Uniformierten an Josef und einen schmerbäuchigen Onkel. Ich gebe Josef mit strengem Blick ein umißverständliches Zeichen und er versteht es und geht mit den Beamten nach draußen, um das einsetzende Palaver der zusammenlaufenden Männer nicht in meinem Haus auszutragen.

Wie geht es weiter? Den Dienstag und den halben Mittwoch müssen wir noch „open house“ durchstehen. Und glaubt es mir: Wir machen das gerne! Ich pfeife letztlich auf den Stuhl und die Klorollenhalter. Mein Beruf ist es, den Angehörigen eines Verstorbenen die Abschiednahme in der Form zu ermöglichen, wie sie es sich vorstellen. Und wenn die es sich eben so vorstellen, daß dabei auch was kaputt geht und „verschwindet“, dann kostet das eben ein bißchen mehr.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#geld! #gerolltes

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(©si)