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Gerolltes Geld VI

Die Nacht war ruhig. Es ist die Nacht von Montag auf Dienstag, also die erste Nacht in der die Roma-Sippe Totenwache gehalten hat. Nur die Frauen wachen und schauen immer mal wieder im Gang vor der Aufbahrungskammer nach dem Rechten. Die Männer halten sich dabei zurück. In unserer Eingangshalle sieht es aus wie im Fernterminal eines Flughafens wenn eine Maschine nach Nahost ausgefallen ist. Man campiert, hat die Füße hochgelegt, es herrscht eine ruhige Stimmung.

Für uns gibt es nicht viel zu tun, fast alle von uns machen Nachtschicht, unsere Stunden wollen wir gar nicht zählen. Ab und zu verschwindet mal einer, Frau Büser war mal zwei Stündchen zu Hause, Sandy hat sich irgendwo vermutlich in einen leeren Sarg gelegt. Manni kann ja im Stehen schlafen und Antonia hat eh keine Zeit zum Pennen, denn die innere Verbrennung treibt sie alle 20 Minuten an ihren Rucksack um ein „Teilchen“ nachzuschieben.

Die Roma sind nette Leute, ich studiere ihre Gesichter, wundere mich darüber, daß viele der Männer so einheitlich dick sind, irgendwie anders dick als dicke Männer die ich sonst kenne, selbst junge Männer haben diese Figur. Ich glaube, erkennen zu können, zu welchem Zweig der Familie die Leute gehören. Mir wurde erklärt, daß da im wesentlichen zwei Familien derzeit anwesend sind und ich habe den Eindruck, als unterscheiden sich die Leute in gewisser Weise. Mir ist da vieles fremd und ich finde es nicht schlimm, daß ich neugierig bin und mir alle anschaue.

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Das Theater vom Tag ist überstanden, einer der Onkel war bei mir und hat zum Ausdruck gebracht, die etwas lauten Störenfriede und Klohalterabschrauber, die seien alle aus der anderen Familie. Zu Erklärung fügt er hinzu, das seien ja alles Korbflechter und seine Familie habe im Norden ein Imperium im Schrotthandel aufgebaut. Offenbar gibt es da Standesunterschiede, ich weiß es nicht.

Ich habe mich in einer Ecke im Treppenhaus auf einen Schemel gesetzt und tippe eine SMS, da kommt ein anderer ‚Onkel‘, diesmal aus der Korbflechtersippe und legt jovial den Arm um mich. Er macht eine beschwichtigende Handbewegung und erklärt nun seinerseits, die Lauten und Auffälligen, die seien ja nicht aus seiner Familie, sondern das seien die Lumpensammler aus dem Norden, ich müsse Verständnis haben, die seien eben so.

Wenn Sinti oder Roma diese Geschichten liest, wird er sich und seine Familie, seine Traditionen und die Schilderung des Verhaltens der Leute vielleicht nicht wiedererkennen. Aber ich schwöre, es ist exakt so abgelaufen und ja, man vermutet richtig, es war nicht meine erste „Zigeuner-Beerdigung“, ich kenne das im Grunde nicht anders.
Wenn man aber weiß, was auf einen zukommt, dann kann man das mit einkalkulieren und sich entsprechend vorbereiten.
Nicht alle diese Bestattungen sind so groß, aber unter 100-200 Personen habe ich noch keine erlebt.

Nun, wie wird es weitergehen?
Den ganzen Dienstag ist noch Abschiednahme bei uns im Haus, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch nochmal Totenwache und am Mittwochmorgen dann soll bei uns im Haus eine Art erste Trauerfeier stattfinden. Danach wird der Sarg 100 Kilometer weit überführt. Auf dem dortigen Friedhof stoßen dann die übrigen Familienangehörigen dazu und es gibt eine große Trauerfeier mit anschließender Beerdigung.
Danach ist der Spuk, und das weiß ich aus Erfahrung, schlagartig vorbei und ich werden keinen einzigen von diesen Leuten wiedersehen. Auch ein Grund dafür, daß man Vorkasse verlangt. Nicht alle haben einen deutschen Personalausweis, manche sind staatenlos, andere haben Ausweise benachbarter EU-Staaten, einige haben feste Adressen, andere nur eine proforma-Meldeadresse und greifbar ist vermutlich keiner. Ich würde mich auf ein geregeltes Mahnverfahren gar nicht einlassen wollen, hier nicht und im Ausland schon gar nicht.

Heute, im Ablauf der Geschichte ist es Dienstag und es steht der Besuch der ‚Königin‘ an.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#geld! #gerolltes

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(©si)