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Gerolltes Geld XII

orgel

Fast will sie gar nicht zu Ende gehen, diese Geschichte, so viele Eindrücke sind es, die es zu verarbeiten gilt. Mich beschäftigt das Ganze sehr, ich glaube, ich weiß viel zu wenig von den Roma und Sinti, um wirklich zu verstehen, warum manches so ist, wie es ist. Ich kann nur erzählen, wie es bei mir „rüberkommt“.

Nachdem die Autobahnfahrt im Konvoi gut überstanden war, trafen die Wagen rechtzeitig am Friedhof ein, jedoch verwehrten die Friedhofsmitarbeiter allen Autos, außer unserem Bestattungswagen, die Zufahrt zur Leichenhalle. Das führte zu einem mittleren Volksaufstand der bereits anwesenden und jetzt eintreffenden Roma. Sie sahen das als Diskriminierung, wollten nicht einsehen, daß wir mit dem Sarg ja ohne Zweifel zur Leichenhalle müssen und sie mit ihren Autos auf dem 100 Meter entfernten Parkplatz parken sollten. Nein, aus ihrer Sicht hat man uns bevorzugt und sie benachteiligt.
Aber erneut zeigt sich, daß nach einem kurzen heftigen Theater, das nur einmal mehr der Versuch war, irgendwelche Ansprüche durchzusetzen, auch sehr schnell mit der gegebenen Alternative vorlieb genommen wird. Vielleicht verliert man sein Gesicht, wenn man es nicht wenigstens versucht.

Der Verwaltungschef bittet mich in sein Büro, er lacht und rollt mit den Augen: „Das ist ja wieder ein Theater. Aber so ist das eben.“
Wir unterhalten uns kurz und er erzählt mir, daß er das Grab schnell schließen lassen wird, vorher haben die Roma keine Ruhe und die Verwaltung hat schon angefragt, wie lange das Ganze noch dauert, denn auch in seiner Stadt haben sich an mehr oder weniger geeigneten Stellen kleine Wohnwagenburgen errichtet und je früher die Roma weiterfahren, umso besser.

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Ich sage ihm, daß ich mit Ablieferung des Sarges ihm die weitere Verantwortung übergebe, denn nun kann ich auf die Roma gar nicht mehr einwirken. Was sich jetzt auf dem Friedhof abspielt, dafür haben sie bei ihm bezahlt und somit ist er jetzt ihr Ansprechpartner. Ich muß ihm das klipp und klar sagen, sonst bekomme ich nachher noch irgendeine Rechnung präsentiert, weil die Roma dort irgendwelche Kosten verursacht haben.

Die Trauerfeier verläuft recht unspektakulär, einmal abgesehen davon, daß an diesem Tag der Friedhof den Roma gehört. So viele Roma habe ich noch nie gesehen und ich frage mich, wo die wohl alle herkommen. Sandy hat die Antwort: „Nach den Nummernschildern kommen die aus ganz Deutschland und viele haben auch holländische und französische Kennzeichen.“
Alles fette Schlitten übrigens, meist Mercedes. Einer der Onkel hat mir gesagt, daß sie diese Autos nicht nur deshalb haben weil es ein Statussymbol ist, das sei zwar auch der Fall, aber vor allem schätzen die Zigeuner die Langlebigkeit und Zuverlässigkeit dieser großen Wagen, die sie vor allem auch deshalb brauchen, weil sie viel fahren und bequem fahren wollen und weil diese Autos die schweren Wohnwagen ziehen können.
„Viele haben ja gar keinen Wohnwagen mehr“, sagte der Onkel mit einem Anflug des Bedauerns, aber Josefs Onkel mütterlicherseits zum Beispiel, der habe zwar ein Haus in Norderstedt, seinen Wohnwagen habe er aber hinter dem Haus stehen und er und seine Frau schliefen jede Nacht und ausschließlich in dem Wohnwagen. „In dem Haus ist die Decke zu hoch, es ist nicht gemütlich, man fühlt sich gar nicht geborgen. Kochen und Waschen, das geht in einem Haus besser, auch das Essen, wenn viele Leute am Tisch sitzen, aber Schlafen kann man am besten im Wohnwagen.“
Dann erzählt er mir noch, daß ein anderer Verwandter sich sogar einen Durchbruch in der Hinterwand seines Hauses gemacht hat, wo der Wohnwagen direkt an der Wand steht und als weitere Zimmer fungiert.
„Viele reisen nicht mehr, das ist schade, da geht unsere Tradition, unsere Kultur kaputt.“
Er und die anderen Mitglieder der Onkelschaft seien vor allem als Schrotthändler und Teppichhändler zu Geld gekommen. „Wir kaufen alles auf und verkaufen es wieder.“ Und Musiker seien sie alle, das gehöre dazu, das Musizieren stecke ihnen im Blut und voller Stolz winkte er einen kleinen, etwa sechsjährigen Jungen herbei, den er mir als Janosh, seinen Enkel, vorstellte, der jetzt schon Geige spielen könne wie ein Gott.

Gott, das ist das Stichwort. Wie gesagt, der Friedhof gehört den Roma, sie benehmen sich, als ob sie den Friedhof gekauft und nicht nur die Trauerhalle gemietet hätten. Das bunte und teils laute Treiben der rund 400 (!) Anwesenden (der Friedhofsverwalter schätzte sogar 600) verteilt sich auf die Trauerhalle, die bei weitem dem Ansturm nicht gewachsen ist und den Vorplatz. Als der Pfarrer kommt, tritt Ruhe ein. Es ist ein Pfarrer, der von außerhalb angereist ist und seit Jahren die Roma betreut, man kennt ihn, man schätzt ihn und man begegnet ihm mit frommem Respekt. Es sind katholische Roma und der Pfarrer zelebriert die Trauerfeier in aller Ausführlichkeit. Sie dauert gut 45 Minuten und ist damit bald doppelt so lang, wie eine normale Trauerfeier.
Andere Beerdigungen gibt es auf diesem Friedhof erst am nächsten Tag wieder, heute gehört er den Roma.

Langsam fährt der Karren mit dem schweren Sarg über den Friedhof, ein kleiner Elektrowagen zieht ihn. Alles was mit dem Tod und Leichen zu tun hat, gilt bei diesen Roma als unrein, deshalb hat keiner von ihnen den Sarg, seitdem er das letzte Mal zugekurbelt worden ist, angefasst.
Etwa 80 bis 100 Personen folgen dem Sarg, vorne der Witwer, neben ihm Josef und eine Abordnung der Onkelschaft, dann weitere Männer und Buben, dahinter Frauen und Mädchen.
Die restlichen Trauergäste suchen sich andere Wege zum Grab, jeder will schnell dort sein, um einen guten Platz zu haben.

Lange bleibt der Sarg über der Erde, länger als sonst, dann gibt der Pfarrer den Friedhofsmitarbeitern in ihren dunkelblauen Uniformen das Signal und sie lassen die schwere Truhe in das Grab sinken. Die Frauen weinen, es wird nun viel geredet und getuschelt und alle treten näher heran. Man wirft keine Blumen ins Grab, keine Erde. Stattdessen schauen sie dem Sarg nach und unverzüglich beginnen andere Friedhofsmitarbeiter mit ihrer Arbeit. Sie ziehen die Gurte aus der Gruft und beginnen mit dem Verschließen.
Das Grab unterscheidet sich zunächst nicht von einem anderen. Es ist mit grünen Matten ausgehängt, die jetzt entfernt werden. Nun sieht man, daß es größer ist als andere und daß seine Wände aus Betonelementen bestehen. Auf deren oberen Rand, der etwa 50 cm unterhalb der Erdoberfläche liegt, werden nun zunächst drei Metallplatten und dann noch passende Betonplatten gehievt. Dazu bedienen sich die Friedhofsarbeiter eines kleinen Baggers, an dessen Schaufel Ketten eingehängt sind. Eine Platte muß man wieder heben, weil sie nicht richtig lag und die Roma beäugen das Tun kritisch, es muß alles richtig gemacht werden.
Dann öffnet einer der Arbeiter den hinter dem Grab stehenden Container und der Bagger zieht eine Ladung Erde über die Betonplatten. Das reicht, nun ist das Grab geschlossen, die Roma ziehen in mehreren Gruppen ab.

Manche werden sich fragen, was mit dem Schmuck geschehen ist, mit dem die Abschiednehmenden die Verstorbene im Sarg geschmückt haben. Nun, ich weiß ja nicht, ob er wirklich echt ist, mir schien es aber fast so. Jedenfalls habe ich keinen Zeitpunkt in Erinnerung, an dem es jemandem möglich gewesen wäre, den Schmuck wieder zu entnehmen. Das und die Erkenntnis, daß ja alles was mit Toten zu tun hat, unrein ist, bringt mich zu der Überzeugung, daß da in dieser Gruft einiges an Werten mit beerdigt worden ist.

Sandy und ich schauen uns an, werfen auch einen letzten Blick auf das Grab und ganz amerikanisch klatschen wir uns die Handflächen unserer Rechten zusammen. Give me five oder wie Sandy sagt: Gimmy five.
Es ist vollbracht, unsere Arbeit ist erledigt.
Wir können nach Hause fahren und unsere Wunden lecken. Wir haben gut verdient, gute Arbeit geleistet und sind zufrieden. Die Roma, das weiß ich, betrachten uns nur als kostspielige Erfüllungsgehilfen, sie werden nicht nochmal vorbeikommen um sich zu bedanken oder so.
Jetzt können wir daheim alles wieder in Ordnung bringen, die Halle muß dringend einen Handwerker sehen, da gibt es einige weniger erfreuliche Abnutzungserscheinungen.

Mit diesen Gedanken steige ich in meinen Wagen, Sandy sitzt neben mir und in meiner Hemdentasche knistert der Fünfziger, den ich vom Onkel fürs Kuckuck-Machen bekommen habe. Sandy und ich kaufen davon in unserer Stadt an einem Wagen frisch gebratene halbe Hähnchen und Pommes für alle. Das haben wir uns verdient.


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Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 12. Februar 2009 | Revision: 15. Juli 2018

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Peterpan2k
15 Jahre zuvor

@Arinae
Ja, genauso ist es und genauso geht es mir.

Man könnte ohne Probleme ein Buch aus den ganzen Geschichten machen!

Micha
15 Jahre zuvor

Mhm. Chicken.

Arinae
15 Jahre zuvor

Ich habe mich noch nie in Kommentaren gemeldet. Heute will ich aber mal schreiben, wie sehr mir Ihre Geschichten gefallen. Ich sitze hier, in meinem Kopf ist Kino und ich sehe das alles richtig vor mir. Bin tief beeindruckt und lese seit Monaten schon alle ihre Geschichten meiner alten Mutter vor, die immer schon ganz gespannt darauf wartet, dass es endlich weitergeht.
Wir lieben vor allem die längeren Geschichten und ich habe noch nichts Vergleichbares im Internet gefunden. So ein trauriges Thema und trotzdem strahlt Ihre Seite Lebensfreude und Leidenschaft aus. Vielen Dank einmal dafür.

J.
15 Jahre zuvor

Na, dann lasst es euch mal schmecken… Jetzt habt ihr es euch richtig verdient.

Ronald
15 Jahre zuvor

Klasse. Ein gutes Ende.

leptharius
15 Jahre zuvor

Ende gut alles gut, in diesem Sinne dann Mahlzeit! 😉

Ar-ras
15 Jahre zuvor

Jetzt möchte ich Gräber plündern :-/

tyler
15 Jahre zuvor

Wenn es in nächster Zeit zu vermehrten Grabschändungen bei Romagräbern kommt, sind das Grabräuber, die scharf auf die von Tom angesprochenen Wertgegenstände sind.
Ey, es werden mittlerweile selbst Kupferkabel geklaut, da dürfte Schmuck in einem Grab bedeutend lukrativer sein.

…und mich würde ja immer noch interessieren, wie Tom seine Erfahrungen mit Roma-Beerdigungen gesammelt hat, dass er das jetzt doch reichlich routiniert abwickelt.
Entweder er hat die Erfahrungen von einem anderen Bestatter bekommen oder die erste eigene Roma-Beerdigung muss doch für ihn ein gewaltiger Schock (und finanzieller Verlust) gewesen sein.

Bianca
15 Jahre zuvor

toll, jetzt hab ich hunger

Chris
15 Jahre zuvor

Wow, eine spannende Geschichte. Echt faszinierend, wie deutlich sich dieses Volk in ihrem Verhalten bei Bestattungsangelegenheiten von dem hier üblichen unterscheidet… und nebenbei hat man als Leser noch das ein oder andere über Beerdigungen selbst gelernt, ich habe bisher zum Beispiel bei „Gruft“ immer an etwas begehbares gedacht. Wobei, darüber hast du ja sogar schonmal geschrieben… *raussuch und über die vielen Artikel freu*

Alsuna
15 Jahre zuvor

Ich glaube ich muss heute abend ein Brathähnchen machen ^_^.

15 Jahre zuvor

Mehr als verdient! Danke für diese tolle Geschichte, war sehr spannend und informativ.

Wir überlegen immer noch, ob wir im Mai in die Camargue zum Zigeunerfestival fahren sollen. Ich schrecke vor der Menschenmenge sehr zurück, aber… ich denke, man sollte das einmal erlebt haben.

Madner Kami
15 Jahre zuvor

[quote=“Tom“]Alles was mit dem Tod und Leichen zu tun hat, gilt bei diesen Roma als unrein, deshalb hat keiner von ihnen den Sarg, seitdem er das letzte Mal zugekurbelt worden ist, angefasst.[/quote]

Wie jetzt? Nach dem ganzen Theater das da veranstalted wurde kommt so was? Irgendwie stelle ich mir gerade vor, wie die Sippschaft beim Kaffee ums Lagerfeuer in der Wohnwagenburg zusammen sitzt und sich ins Fäustchen darüber lacht, daß du das alles mit dir hast machen lassen.

Aber ernsthaft: Meinen tiefsten Respekt hast du dir mal wieder verdient, ich hätte da schon längst die Hände überm Kopf zusammen geschlagen, mir die Haare ausgerupft und die übrigen wären grau geworden. Dabei sagt man mir schon nach die stoische Ruhe selbst zu sein…

kumi
15 Jahre zuvor

@ 5 peterpan2k:

Schau mal hier:

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MacKaber
15 Jahre zuvor

XII Teile, das wäre ja schon fast ein Buch für sich allein.

Nach einem halben Göckele wäre es mir nach so einem Fall nicht gewesen. Diesmal hätte ich eine Pizza vorgezogen.

ein anderer Stefan
15 Jahre zuvor

Auf unserem Friedhof kann man sehen, dass die Grabsteine der Sinti und Roma (ich weiss jetzt nicht, welche hier genau ansässig sind) öfter mal mit Abbildungen ihres Autos verziert sind – immer Mercedes. Natürlich sind die großen Mercedes schwer genug, einen Wohnwagen zu ziehen, aber ein großer BMW wäre ja genau so geeignet. Also muss es auch andere Gründe geben, Prestige ist sicher ein Faktor. Zuverlässiger als andere sind die auch nicht (mehr).

Sensenmann
15 Jahre zuvor

Also, Hähnchen mit Pommes habt ihr euch jetzt auf jeden Fall verdient. Allein die Präparation der Leiche war ja schon ein Riesenhaufen nicht allzu angenehmer Arbeit, dazu tagelang das ganze Haus voller Leute… Wahnsinn. Ich glaube, ich wäre danach erstmal reif für eine Woche Urlaub…




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