Geschichten

Grün muss er sein, der Sarg

Herr Piskarski kam eines Tages eher zufällig in unser Bestattungshaus. Eigentlich war er auf dem Weg zum Friedhof, um „seine Klara“ zu begießen, wie er das nannte, doch dann hatte er sich endlich ein Herz gefaßt und war unserem einladenden Poster im Fenster gefolgt, das auf Bestattungsvorsorge und Sterbegeldversicherungen aufmerksam machte.

„Jetzt muß ich endlich mal alles regeln, ich hatte das schon lange vor, aber meine Tochter hat immer gesagt: ‚Papa, das hat noch Zeit, du willst doch wohl jetzt noch nicht sterben‘.“

Das ist ein Satz, den Bestatter oft hören, wenn sie das Thema Bestattungsvorsorge ansprechen. Entweder wird er von demjenigen gesagt, für den die Vorsorge gedacht ist oder von einem der Verwandten.

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„Das hat doch noch Zeit, das können wir eines Tages immer noch machen“ oder noch drolliger: „Das machen wir dann, wenn es so weit ist.“

Doch wann ist es so weit?
Ist es bei jedem so, daß er sich in Altersschwäche ins Bett legt, noch in Ruhe alles regeln kann und dann im Schlaf von uns geht?
Nein!
Die Realität sieht anders aus. Genau dann, wenn nichts vorbereitet ist, dann wird man zum Pflegefall, ist dement, hat keine Kraft mehr für so etwas oder man wird schlichtweg vom Schlag, Blitz oder einem herannahenden Auto getroffen.
Das kann jedem passieren, unabhängig vom Gesundheitszustand oder Alter.
Und genau deshalb predigen alle Bestatter: „Wenn Du willst, daß es so gemacht wird, wie Du es haben möchtest, dann kümmere Dich beizeiten darum!“

Herr Piskarski hatte doppelt Grund, sich zu kümmern. Denn er war einerseits selbst schon betagt, andererseits stand es mit seiner Gesundheit auch nicht zum Besten, aber der wirkliche zweite Grund war, daß er schon mit der Beerdigung seiner Klara nicht einverstanden war und sich heute noch ärgerte, wie das alles abgelaufen ist.

„Die Frau vom Institut hat alles schnell heruntergesabbelt, ich hatte keinen Kopf für Details, habe alles abgenickt und als sie mir die Särge zeigte und das andere Zeug, da habe ich nur wie durch einen Schleier alles wahrgenommen und auch beim Grab die falsche Entscheidung getroffen.“

Vor zwölf Jahren hatte er sich für ein Reihengrab entschieden, das man nicht verlängern kann und das in drei Jahren ablaufen würde. Lieber hätte er ein Doppelgrab gehabt.
Aber daran war nichts mehr zu ändern. Auch nicht mehr zu ändern war, daß seine Frau einen mahagonifarbenen Sarg bekommen hatte, den er so nicht wirklich gewollt hatte.

„Die Lieblingsfarbe von meiner Frau und mir war immer Grün und wir hätten so gerne was Grünes gehabt. Gibt’s doch, oder?“

Ja, gibt es. Wir hatten einen Sarg in multicolor am Lager und in der Ausstellung, ein Sarg der zunächst silbern glänzend und danach mit fast durchsichtigen grünen Lackschichten in verschiedenen Tönungen lackiert wurde.
Dadurch erschien der Sarg grün, man sah aber das Silberne noch durch den anderen Lack und je nach Lichteinfall schimmerte er in ganz verschieden dunklen Grüntönen.
Eine aufwendige Arbeit, die auch ihren Preis hatte.

Doch genau den Sarg wünschte sich Herr Piskarski und nachdem er ihn in der Ausstellung betrachtet und von allen Seiten begutachtet hatte, wollte er nur noch diesen und keinen anderen.

Ich notierte alles und nach gut einer Stunde hatten wir sämtliche Details besprochen. Zur Finanzierung wählte der 72-jährige eine Kombination aus vorhandenem Sparbuch und einer Einmalzahlung an die Sterbegeldversicherung.
Das mit der Sterbegeldversicherung hatte er beim Monatstreffen vom VDK gehört, wo sich einige andere Ältere auch dafür entschieden hatten. Man zahlt einmal einen Betrag ein und die Gesellschaft zahlt einen wesentlich höheren Betrag im Sterbefall aus. Vorausgesetzt, man schafft die Wartezeit von drei Jahren, ansonsten gibt es nur einen Teil der Versicherungssumme, mindestens jedoch die eingezahlten Beiträge zurück.

Herr Piskarski schaffte die Wartezeit, aber er schaffte es nicht, seinen am Ende des Beratungsgesprächs geäußerten Wunsch zu erfüllen, nämlich eines Tages einfach nicht mehr aufzuwachen oder auf der Straße vom Blitz oder Schlag getroffen zu werden. Leider, so mußte ich von seiner Tochter Renate erfahren, hatte er die letzten drei Monate an Schläuchen und teilweise auch unter Schmerzen zugebracht.
Tochter Renate war froh, daß ihr Vater alles geregelt hatte, sie wohnte ein gutes Stück entfernt, hatte zwei Kinder, zwei Jobs und einen anstrengenden Ehemann und so fand sie es praktisch und erleichternd, daß ihr Vater ihr im Voraus schon so manche Entscheidung abgenommen hatte.
Der anstrengende Ehemann Walter hatte die ganze Zeit über nicht viel gesagt. Wie ich aus Renates Worten heraushörte, war es ihm und wohl auch ihr in erster Linie daran gelegen, daß sie das vom Vater schon zu Lebzeiten geschenkte Haus behalten durften und sie rechneten und rechneten, ob da die 10-Jahresfrist auch wirklich schon abgelaufen war, nach der eine Schenkung wirksam wird und das Geschenkte nicht mehr doch noch zur Erbmasse gezählt wird.

Doch einmal, fast schon am Ende des Gesprächs, meldete sich Walter zu Wort und fragte: „Und da kommen jetzt keine Kosten mehr auf uns zu, oder wie ist das?“

„Genau, Herr Piskarski hat alles schon geregelt und bezahlt. Wenn Sie allerdings noch zusätzlich Blumen oder eine Zeitungsanzeige wünschen oder in dem einen oder anderen Punkt von der Vorsorge abweichen möchten und dadurch Mehrkosten entstehen, dann würden wir Ihnen das in Rechnung stellen.“

„Wie, man kann von der Vorsorge abweichen?“

Natürlich kann man das. Eine Bestattungsvorsorge gleicht einer letztwilligen Verfügung und der Bestatter wird alles versuchen, um diese letzten Wünsche des Verstorbenen auch zu erfüllen. Das gilt umso mehr, wenn jemand von den Hinterbliebenen versucht, alles doch noch in die Billigvariante umzudrehen, damit vom Erbe mehr übrig bleibt. Aber wenn die Hinterbliebenen sinnvolle Wünsche äußern, zusätzlich noch etwas haben möchten und das alles dem grundsätzlichen Wunsch des Verstorbenen nicht entgegensteht, dann kann man da schon einiges machen. Genau das sagte ich den beiden auch.

Walter kam ins Grübeln und seine Frau Renate meinte noch: „Schade, daß das mit Mutti nicht geht. Das Grab läuft ja jetzt auch bald ab. Da wollte Papa ja mit rein.“
Soweit ich mich erinnerte, hatte Herr Piskarski das auch im Beratungsgespräch erwähnt, es hatte sich wohl um ein Reihengrab gehandelt. Und gerade wollte ich schon sagen, daß das nicht gehe, da sagte Renate noch: „Dabei ist das Grab da unten am alten Brunnen so schön.“

„Am alten Brunnen?“

„Ja, da unten in der Nähe von Nordeingang. Das war deshalb immer so praktisch für Papa, weil am Nordeingang immer Parkplätze frei sind und er es dann nicht so weit hatte. Oben am Haupteingang streiten sich die Alten ja um die Parkplätze, so knapp sind die da.“

„Aber am alten Brunnen gibt es doch nur Urnengräber.“

„Stimmt, meine Mutter ist verbrannt worden.

„Ach so! Das war mir so nicht klar geworden. Hm, vielleicht besteht dann ja doch noch die Möglichkeit, die Urne der Mutter wenigstens jetzt in das Grab Ihres Vaters zu betten.“

„Was? Das geht? Das wär‘ ja prima!“ freute sich Renate und wandte sich strahlend ihrem Mann zu.

Doch der sah das anders: „Nee, nee, der Alte hat sich doch auch ein Reihengrab ausgesucht, oder nicht?“

Ich nickte.

„Sehen Sie, dann müßten wir doch, damit die Urne da auch noch rein kann, ein Doppelgrab nehmen oder so, stimmt doch?“

Ich nickte abermals, sagte aber: „Das stimmt allerdings, aber…“

Er unterbrach mich: „Nee, wir weichen vom letzten Willen nicht ab. Reihengrab, Punkt, Schluß!“

Renate wollte protestieren, doch ein Blick und hochgezogene Augenbrauen von Seiten ihres Mannes reichten vollkommen aus, um ihr das Wort zu verbieten. Sie schwieg einen Moment, dann traute sie sich doch und fragte: „Und was ist mit den Sondergräbern?“

So ein Sondergrab, da hatte sie im ersten Moment Recht, wäre wirklich eine gute Idee gewesen. Denn seit einigen Jahren gab es ein Feld, auf dem in schmalen, der einfachen Reihengräbern nicht unähnlichen, Gräbern auch ein Sarg mit einer Urne bestattet werden konnten. Der Mehrpreis zu einem günstigen Reihengrab betrug nur 300 Euro. Der Haken an der Sache war jedoch, daß die Laufzeit auch dieser Gräber begrenzt war, nämlich auf 18 Jahre und daß man sie definitiv nicht verlängern konnte.
Das bedeutete im Einzelnen, daß bei einer Mindestruhezeit von 15 Jahren nur in den ersten drei Jahren die so genannte Beibestattung des zweiten Verstorbenen erfolgen konnte.
Das erscheint auf den ersten Blick unpraktisch und wenig sinnvoll, doch diese Möglichkeit war auf vielfachen Wunsch geschaffen worden, um Urnen von weniger schönen Friedhöfen auf diesen schöneren Friedhof umbetten zu können.
Es galt halt immer, genau auszurechnen, wie das mit der Restruhezeit so hinkam.

Doch für die Piskarskis sah das schlecht aus, die Grabstelle der Mutter lief demnächst ab, die Ruhezeit der Urne war vorüber, eine Umbettung wahrscheinlich nicht mehr möglich. Soweit ich mich erinnere, gab es für die Sondergräber auch eine Vorschrift, daß die Bestattungen bzw. Sterbedaten innerhalb einer gewissen Frist nahe beieinander liegen mußten. Jedenfalls schied diese Variante für den alten Piskarski und seine Klara aus.

Dennoch sagte ich „Ich will aber mal gerne bei der Friedhofsverwaltung nachfragen vielleicht gibt es ja doch einen Weg.“

„Och ja, machen Sie das doch“, bat mich Renate.

Walter war inzwischen in den Vorsorgeunterlagen, die er mit geschürzten Lippen studierte, auf den Sarg gestoßen und fragte: „Und was bitte soll das mit dem Sarg für fast 3.000 Euro? Das ist doch unnötiger Klimbim. Das haben Sie meinem Schwiegervater doch eingeredet, so was braucht kein Mensch. Das wäre sicherlich nicht gegen das Gesetz vom letzten Willen, wenn wir da was Billigeres nehmen.“

Geduldig erklärte ich den Sachverhalt, zeigte den beiden den Sarg im Ausstellungsraum und erläuterte, wie wichtig dem alten Mann der grüne Sarg gewesen ist.
Doch Walter wollte schon hartnäckig sein, da stampfte Renate mit dem Fuß auf und wurde erstaunlich laut, als sie sagte: „Jetzt ist aber Schluß! Du willst schon kein Doppelgrab und wenn ich das Doppelgrab nicht bekomme, dann bleibt es wenigstens bei diesem Sarg!“

Walter grinste nur, klappte den Ordner zu und meinte: „Dann ist ja alles besprochen. Hier haben Sie einen Zettel mit unserer Kontonummer, dahin können Sie den Rest von der Sterbegeldversicherung überweisen.“

Es vergingen zwei Tage, inzwischen lag Herr Piskarski in seinem schönen grünen Mehrschichtlacksarg auf dem Friedhof in einer Aufbahrungszelle, da kam Renate noch einmal zu uns, dieses Mal jedoch ohne ihren Walter.
Sie jammerte, daß sie es so schade findet, daß ihre Eltern nicht zusammen in ein Grab konnten, hatte aber auch eine gute Botschaft: „Ich habe mit meinem Mann besprochen, daß wir ja wenigstens Mamas Namen mit auf den Grabstein schreiben können. Mein Mann ist damit einverstanden, wenn das Geld von der Sterbegeldversicherung dafür reicht.“

„Das reicht. So eine Inschrift ist nicht teuer und wir haben großzügig gerechnet damals“, sagte ich und notierte mir genau, was jetzt zusätzlich auf den Grabstein kommen sollte.

„So sind sie wenigstens symbolisch zusammen“, sagte Renate und sah schon ein wenig zufriedener aus als zuvor.

Am Tag vor der Beerdigung fuhr ich zum Friedhof, um sicherzustellen, daß der alte Herr auch einen guten Eindruck machen würde, wenn am nächsten Tag seine ganze Verwandtschaft von ihm Abschied nehmen würde.
Dabei schlurfte mir der Friedhofsverwalter über den Weg, man kennt ihn als den Pokratzer. Auf einem Zahnstocher herumkauend, sich am Po kratzend und dämlich grinsend, schlurfte er heran, blieb in der offenen Tür der Aufbahrungszelle stehen, schaute mir bei der Arbeit zu und fragte: „Wie?“

Dieses ‚Wie?‘ bedeutet im hiesigen Dialekt ungefähr: „Wie geht es, was machen Frau und Kinder, gesundheitlich auch alles in Ordnung, was meinst du zum letzten Spiel der Bayern und was gibt es sonst Neues?“

Die einzig korrekte Antwort, die einen vor weiterem sprachlichen Ungemach bewahrt, lautet: „Jau, und sonst?“

„Och jo, soweit… laber laber laber…“

Ich hörte dem Geplapper über Lotto, Politik, Sport und Urlaub gar nicht zu und wurde erst aufmerksam, als in dem breitmäulig vorgenuschelten Dialektschwall der Name Piskarski fiel.

„Häh?“ machte ich und sah den Pokratzer an.

„Isch heb gesacht, die Fraa vun dem kummt ja jetzat auch weg.“

„Wie, die Frau kommt weg?“

Ich erspare mal meinen Lesern den Dialekt. Auf Deutsch übersetzt sagte er sinngemäß: „Ja, das Grab läuft ab, wir machen das Feld dann für neue Gräber platt und deshalb kommt die weg.“

„Wohin kommt die denn? Die Urne meine ich“, erkundigte ich mich.

„Zu den anderen in ein Sammelgrab, aber erst im September, das machen wir immer im September weil bla bla bla, laber laber…“

Ich hatte schon einmal von den kleinen rechteckigen Überzeugungshilfen aus Papier geschrieben und eine solche Überzeugungshilfe in der Höhe eines halben Hunderters wechselte kurzerhand den Besitzer. Der Verwalter machte eine Verschwörermiene, kratze sich wieder hintenrum und meinte: „Kää Probläm, is‘ doch egal wo’se bleibt die Alte…, die alte Urne meine isch.“

Vom Handy aus rief ich Renate an und erzählte ihr, was ich mit dem Hinternrubbler ausgemacht hatte.

Und so kam es, daß am nächsten Tag zuerst die Beerdigung von Herrn Piskarski stattfand und kurz bevor das Grab zugeschaufelt wurde, noch eben die Urne seiner Frau auf den Sarg gestellt wurde. Da war keiner dabei, das hat keiner sonst gesehen, aber Renate, der Pokratzer und ich wußten, daß die Inschrift auf dem Grabstein nun doch nicht nur symbolisch war.

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(©si)