Geschichten

Günther XXIII

Leo war der große Verlierer der Geschichte. Er und sein Wohnei wurden wenige Tage später recht rüde „abtransportiert“. Das von Pommesfett triefende und an einigen Stellen im Inneren wohl schimmelige Gefährt wurde sang- und klanglos auf dem städtischen Recyclinghof zerlegt und entsorgt. Seine wenigen Besitztümer packten städtische Arbeiter in ein paar Pappkartons und eine Stunde später fand sich der freiheitsliebende Norddeutsche in einem Männerwohnheim wieder, wo ihm erst einmal eröffnet wurde, daß es sowieso nur koffeinfreien Kaffee gibt und daß das Rauchen nur hinten auf dem Hof in einer Raucherecke erlaubt sei.

„Warum stecken die mich jetzt ins Gefängnis?“ hatte Leo gefragt und auf die Antwort: „Aber das ist hier doch kein Gefängnis, hier ist es schön“, hatte er geantwortet: „Und Du bist doof.“

Schon eine Stunde später war Leo aus dem Männerwohnheim verschwunden, nur wenige Sachen hatte er in eine Decke eingeschlagen und zu einem Bündel geschnürt und mitgenommen. Wohin der Mann gegangen war, das interessierte in dem Wohnheim niemanden.

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Günther saß tagein, tagaus in seiner Wohnung und konnte sich nicht entscheiden, ob ihm die Situation nun gefallen sollte oder nicht.
Auf der einen Seite fand er den Komfort, den die Wohnung in bescheidenem Maße bot, recht annehmlich. Warmes Wasser, eine Badewanne, Heizungswärme auf Knopfdruck und eine moder- und schimmelfreie Umgebung.
Andererseits war sein Lebensraum nun auf die paarunddreißig Quadratmeter beschränkt, der winzige Balkon im dritten Stock bot nur eine Aussicht auf eine weitere Häuserzeile der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft und die Nachbarschaft gefiel Günther gar nicht.
Nicht, daß er da besonders anspruchsvoll gewesen wäre, aber über ihm wohnte ein Farbiger, der offenbar irgendeinen fliegenden Handel betrieb und zu dem ständig irgendwelche Leute, auch alles Afrikaner, kamen und was insgesamt eine permanente Treppenlauferei und Türenknallerei sowie das Gelärme bei den recht ausufernden Begrüßungen im Treppenhaus mit sich brachte.
Viel schlimmer aber noch fand Günther seinen Nachbarn zur Rechten, der offenbar den ganzen Tag sehr lautstark Heavymetal-Musik hörte und aus dessen Wohnung ein ununterbrochenes, dumpfes Bumm Bumm Bumm durch die Wand drang.
Irgendjemand im Haus schien ständig faule Kohlsuppe oder Giraffenfüße zu kochen, weshalb Günther die Fenster nicht öffnen mochte, weil der fettige Küchendunst ausgerechnet auf seiner Fensterseite am Haus emporstieg.

„Ja, ja, man darf halt nicht anspruchsvoll sein, wenn man so eine arme Sau ist, wie ich“, sagte er zu Horst, der sich alle Mühe gab, Günther die Situation schön zu reden.
Horst war auch derjenige, der anfing, Günthers Umzugskartons auszupacken und die Sachen in den Schränken zu verstauen.

„Mir ist das doch eigentlich egal, wo ich wohne. Ob die da unten jeden Tag Elefantenarsch kochen, ob der Neger da oben noch zehnmal mehr Besuch bekommt oder ob der Typ nebenan noch lauter Musik hört. Ich muß ja eigentlich zufrieden sein, daß die sich so schnell um eine Wohnung für mich gekümmert haben. Von meinen kümmerlichen Einkünften hätte ich mir weder den Umzug, noch so eine Wohnung leisten können. Aber ist dir mal klar geworden, daß die mir hier eine Zweizimmerwohnung aufs Auge gedrückt haben.“

„Ja und?“

„Wie, ja und? Kapierst Du es nicht?“

„Nee.“

„Die ziehen damit einfach einen Schlußstrich unter meine Vaterschaft. Das Gericht hat gesagt, daß die Kinder bei mir sein dürfen. Das ist gerichtlich so festgelegt. Und dann kommt diese fette Stinkschachtel und nimmt mir einfach die Mädchen weg; und Thomas haben sie in ein Heim gesteckt. Ich möchte gar nicht wissen, wie es dem geht. Der kann sich doch an neue Umstände und eine Veränderung seines Tagesablaufs gar nicht gewöhnen. Tja und nun? Nun geben die mir großzügig eine Zweizimmerwohnung und setzen damit fest, daß die Kinder jetzt auch nicht zu mir kommen können. Wo sollten die denn hin? Hier ist Platz für einen und dieser Eine, der bin ich.“

Horst nickte und ärgerte sich insgeheim, daß er diesen Aspekt selbst nicht bedacht hatte.

„Günther, wir machen da was, Du kannst auf mich zählen, ich kümmere mich und helfe Dir. Aber erst lebst Du Dich hier mal richtig ein.“

„Nee, ich will zumindest Thomas mal sehen, will sehen, wie’s dem geht.“

„Okay, dann machen wir das jetzt. Es gibt ja nicht so viele Heime in der Nähe wo er sein kann, die klappern wir jetzt ab. Da drüben in der Schublade, da sind Deine Dokumente, also zumindest mal die, die ich bisher gefunden habe. Oben im roten Ordner sind die ganzen Sachen von Gericht und Polizei. Nimm den Bescheid vom Gericht mit und wir fahren los.“

„Und meinst Du, daß ich Thomas dann wieder bekomme?“

Horst wollte Günther keine falschen Hoffnungen machen und sagte: „Glaub‘ ich jetzt eher nicht, aber wenigstens müssen Sie Dich dann mal zu ihm lassen.“

Schon im zweiten Heim wurden die beiden fündig. Der Pförtner verwies sie recht wortkarg an die Verwaltung im ersten Stock und dort studierte eine junge Dame mit Brille ausführlich die mitgebrachten Unterlagen.
Dann gab sie die Blätter an Günther zurück, lehnte sich in ihrem Sessel weit vor und sagte: „Herr Salzner, wir haben Wochen gebraucht, um überhaupt Zugang zu Thomas zu bekommen. Jetzt hat er sich gerade an die Situation und die Abläufe hier gewöhnt. Erstens glaube ich mal nicht, daß das Jugendamt dem zustimmen würde, wenn Sie Thomas mitnehmen wollten, aber das sage ich nur der Form halber. Denn im Gegensatz zum Jugendamt kümmern wir uns wirklich um die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Und nach meiner Einschätzung ist Thomas hier sehr gut untergebracht.
Wollen Sie meine Meinung hören? Ich sag’s Ihnen. Thomas braucht seinen Vater und Thomas braucht seine Schwestern. Schaffen Sie ein ordentliches Umfeld, in dem alle Kinder mit Ihnen eine Familie sein können und dann denken wir darüber nach, wie wir Thomas Ihnen wieder zuführen können.“

Günther wollte aufbrausen, doch die junge Frau stand einfach auf, hielt den beiden Männern die Tür auf und sagte: „Kommen Sie und schauen Sie selbst!“

Von einem Fenster am Ende des Flurs konnte Günther dann seinen Sohn sehen, der lachend mit einem anderen Jungen Tischtennis spielte.

„Der hat noch nie Tischtennis gespielt“, staunte Günther.

„Der hat vieles noch nicht gemacht. Thomas hat es bei Ihnen gut gehabt und er wird es bei Ihnen auch gut haben. Daran habe ich keinen Zweifel. Sie sind bestimmt ein guter Vater. Aber sie haben Thomas immer so genommen, wie er war und sind auf seine Eigenheiten einfach in der Form eingegangen, daß sie alles akzeptierten und nur ja nichts an den Abläufen veränderten. Das hat ja auch viele Jahre funktioniert.
Aber unsere Aufgabe ist auch die Therapie. Und das können Sie daheim einfach nicht leisten. Wir arbeiten jeden Tag mit dem Jungen, wir versuchen auch auf ihn einzugehen und ihm seine Rituale und Abläufe zu belassen. Aber wir stellen ihn auch täglich behutsam vor neue Herausforderungen und das tut dem Jungen gut.
Herr Salzner, wollen Sie Thomas da jetzt raus reißen?“

Günther schüttelte langsam dem Kopf und dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Er mußte einsehen, daß Thomas im Moment wirklich besser im Heim untergebracht war, als bei ihm.

In Horsts Auto weinte er noch eine ganze Weile und dann sagte Horst: „Komm, Kopf hoch, Alter, wir packen das schon. Dem Jungen geht’s doch wenigstens gut, davon hast Du Dich doch jetzt überzeugen können. Packen wir lieber die fette Wachtel mal richtig bei den Eiern und sehen zu, was mit den Mädchen ist.“

„Jau, die Dicke schlachten wir“, sagte Günther und der Gedanke ließ ihn sogar wieder lächeln.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 21. Februar 2013

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11 Jahre zuvor

Aber bitte mit Anlauf.

hartmut
11 Jahre zuvor

OMG er hat „Neger“ gesagt!!11111
Steinigt ihn!!1einseinself

Lochkartenstanzer
11 Jahre zuvor

Nüssellasagne? Igitt.

Armada
Reply to  Lochkartenstanzer
11 Jahre zuvor

Nein, keine Nüssellasagne, das ist doch kein Pferd, sondern eine Wachtel!
Obwohl ich sie mir insgeheim mit einem Hintern wie ein Brauereigaul vorstelle, das geb ich zu.

Winnie
Reply to  Armada
11 Jahre zuvor

Zitat:
…Brauereigaul…

Dann kann sie ja einen Antrag stellen ob sie auch auf die Straße kacken darf. Und ab einer bestimmten breite (fetten Ars…) muss sie Begrenzungsleuchten haben. 😉 Widerliches Vieh, das Nüsselvieh.

simop
11 Jahre zuvor

Ih! Wer will die denn verwursten! *grusel*

hajo
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

simop, vielleicht findet sich ein mitleidiger Vierbeiner, dessen Geruchs- und Geschmacksinn abhanden gekommen ist .. 😉

Exilsaarländer
11 Jahre zuvor

Wenns billig genug ist frißt der deutsche Verbraucher alles. Auch Nüsselschweife!
Und rumänische Billigstarbeiter zerlegen die in Niedersächsischen Akkordfleischzersäbelungsanlagen für einen Klicker und einen Knopf.
(dies soll keine Kritick an Rumänen darstellen!!!)

hajo
11 Jahre zuvor

alles in allem hast Du, lieber Tom, mit „dieser Person“ ein ganz passables Feindbild produziert 😀




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