Günther fühlte sich in seiner neuen Umgebung nicht wohl und so war es für ihn ein großes Glück, daß er durch Zufall den alten Herrn Arbing kennen lernte, der ihm erzählte, daß er aus Altersgründen seinen Garten am alten Stellwerk aufgeben wolle.
Für Günther gab es nichts zu überlegen, keinen Grund zu zaudern und die Pacht, die Herr Arbing verlangte, tendierte gegen Null.
Ohne den Garten je zuvor gesehen zu haben, schlug Günther ein und wußte zu diesem Zeitpunkt nur, daß es sich bei den Grundstücken am alten Stellwerk nicht um DIN-genormte Schleckparzellen vereinmeiernder Grashalmzähler handelte, sondern um völlig frei gestaltete, durch Bäume, Gebüsch und Hecken kaum einsehbare, riesengroße Gärten handelte.
Am nächsten Tag schon trafen sich der alte Arbing und Günther zur Besichtigung und das was Günther sah, verschlug ihm den Atem.
Das Grundstück hatte fast die Größe eines Fußballplatzes, etwas schmaler und etwas länger.
Vorne am Zufahrtsweg gab es ein Holztor, eingebettet in eine Hecke aus riesengroßen, alten Lebensbäumen. Dahinter folgte ein etwa 20 Meter langer Streifen mit Beeten, Kompostkisten und Bohnenstangen, dann folgte wieder eine Hecke mit einem Rosenbogen als Durchgang.
Was sich dahinter verbarg, das hatte Günther in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt. Dort stand ein alter Bahnwaggon und hufeisenförmig reihten sich zwei Bauwagen an.
Alles das hatte Arbing zu einer regelrechten Wohnbehausung ausgebaut, in über 30 Jahren.
Für Günther war sofort eins sonnenklar: Er würde die Wohnung, die die Stadt ihm zugewiesen hatte, nur noch für den Notfall und als Meldeadresse behalten und sofort in den großen Waggon einziehen.
Von da an verbrachte er jede freie Minute im Garten, richtete sich alles nach seinen Wünschen her und nach gut einem Monat hatte er sich alles wieder in eine neue Villa Kunterbunt verwandelt.
Horst half ihm, so gut er konnte, redete Günther ab die Idee aus, nun sogleich zum Amt zu laufen und seine Kinder wiederzuholen. Er solle sich doch nicht einbilden, daß es in der neuen Gartenbehausung in irgendeiner Weise anders laufen würde, als bei der alten Villa Kunterbunt, die inzwischen abgerissen worden war.
„Da mußt Du jetzt Geduld haben“, mahnte Horst, „gegen die Stadt und das Jugendamt kannst Du nichts machen. Guck mal, die dicke Birnentante ist in diesem kirchlichen Hilfswerk und für die Leute vom Jugendamt die perfekte Mutterfigur, bei der es Monika und Ute gut haben. Aber die Mädchen werden der Dicken doch nicht geschenkt oder Dir wirklich weggenommen. Das siehst Du nur so. In Wirklichkeit sind und bleiben das Deine Töchter, genauso wie Thomas Dein Sohn bleibt. Übrigens, der ist doch wohl im Moment im Heim wirklich besser aufgehoben, sag doch mal ehrlich!“
Günther wollte aufbrausen, hielt dann aber inne und nickte schließlich langsam. „Ja, was den Jungen anbetrifft, so hast Du vielleicht so ein ganz kleines bißchen Recht, aber die Mädchen…“
„Die Mädchen sind, so komisch das klingt, bei der fetten Wachtel besser aufgehoben. Da weißt Du wenigstens wo die sind und wie die Dicke einzuschätzen ist, das wissen wir auch. Wären die in einem Heim oder würden gar von Heim zu Heim weitergereicht, dann würdest Du irgendwann die Kontrolle ganz verlieren.
Bring Dein Leben irgendwie in Ordnung, sieh zu, daß Du ein Umfeld aufbaust, in dem die Mädchen auch leben können und dann sehen wir weiter.“
„’ne ganz große Scheiße ist das, wenn Du mich fragst.“
Horst sah das pragmatischer. Aus seiner Sicht waren die Kinder für den Augenblick wirklich besser untergebracht als bei seinem Freund Günther. Was hatte Günther nicht alles für Schläge in der vergangenen Zeit hinnehmen müssen? Die Ehefrau unter mysteriösen Umständen verstorben, das Einfamilienhaus futsch, die Arbeitsstelle eingebüßt, finanzielle Probleme wegen des Autounfalls und dann in den letzten Wochen alle drei Kinder weg und zu guter Letzt auch noch die alte Villa Kunterbunt verloren.
Das mußte einfach zuviel für einen Menschen allein sein. Sogar der alte ‚Seemann‘ Leo war verschwunden, der Günther vielleicht, trotz seiner wortkargen Art, irgendwie hätte beistehen können.
Lange konnte das mit Günther nicht gut gehen, das vermutete Horst ganz stark. Irgendwann würde sie diese Zusammenballung von Schicksalsschlägen bitter rächen und Horst hatte Angst, Günther könne eines Tages einfach zusammenbrechen.
Noch schien Günther alles schultern zu können, doch wie lange noch?
Während Horst sich noch darüber Gedanken machte und mit Günther gemeinsam einen der Bauwagen anpinselte, und zwar den, der die Toilette, eine Badewanne und einen Kohleofen für das Badewasser enthielt, flötete vor dem Gartentor jemand und Horst und Günther zuckten zusammen. Dieses Pfeifen kannten sie nur zu gut, das war Leo!
„Moin, moin, watt’n los, Jungs? Habter noch Plätzchen für son ollen Spökenkieker wich mich?“
Klar, es dauerte keine Woche und Leo hatte sich wieder bei Günther eingenistet. Im hinteren Teil des Gartens, dort wo nur noch mehrere Reihen Obstbäume standen, hatte er sich ein Zelt errichtet und davor mit zwei Bierbänken und einem Tisch seine ganz persönliche ‚Haifischbar‘ eingerichtet.
Alles war fast wieder wie früher, Leos allmorgendlichen Rituale, Kaffeeholen, Toilettenbesuch, Blick in die Zeitung, liefen ab, als sei es nie anders gewesen.
Bis..
…ja bis zu dem Tag, an dem Leo morgens nicht zum Kaffeeholen kam und Günther ihn, wie friedlich schlafend, tot in seinem Zelt vorfand.
Und genau das war der Moment, als Günther wieder in mein Leben trat. Denn Günther kannte nur mich als Bestatter und das Erste was er tat, war ein Anruf in unserem Bestattungshaus.
„War der Arzt schon da?“ fragte Frau Büser ganz nach Vorschrift und Günther war völlig perplex: „Sie, der braucht keinen Arzt, der ist tot, der braucht ’nen Totengräber.“
„Aber erst muß ein Arzt den Tod feststellen.“
„Na hören Sie mal, daß der mausetot ist, das seh ja sogar ich.“
„Darum geht es nicht. Ein Arzt muß das feststellen und die entsprechenden Papiere ausstellen, ohne die läuft nichts.“
„Und dann?“
„Dann kommen wir vorbei und holen den Verstorbenen und Sie können dann zu uns kommen und alles weitere besprechen.“
Frau Büser schien sich an Günther nicht mehr erinnert zu haben, denn sie notierte seinen Namen und schrieb dazu: Bruder Leo verstorben
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
Oh oh…
Nachtigall ick hör dir trapsen.
Immerhin besser als „Nüsselschwein, ich hör dich trampeln“
Besser als „Rüsselschwein, ick fühl dir antraben“…
TOM, es wird immer besser!
Trotz deiner vielen Termine da weiterzumachen, das ist ganz großartig!
Konni, an seinem ersten Buch arbeitend…
Darf man fragen und auch auf Antwort hoffen worüber es handelt? Du bist doch Gastronom/Koch, da wäre ja mal ein Titel wie z. B. „Wie man klare Klößbrühe aus Buttermilch macht“ möglich. 😉
Nein, Konni geht das wissenschaftlicher an, z.B.:
Das Schäufala und seine multikulturelle Funktion im ausgehenden 20. Jahrhundert
O je, das wird bestimmt nicht gut gehen.
Ich leide mit dem armen Kerl, auch wenn es bestimmt schon ewig her ist.
…könnte man diese Birn-Dingsda nicht zur Krematoriumsbesichtigung mitnehmen? Fällt doch nicht auf, wenn die herauskommende Besuchergruppe eine Person kleiner ist.
Schön, wie die Geschichte sich entwickelt.
Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein neues Kapitel von Günther lesen darf.
Vielen Dank dafür.
aber das heißt doch spökenkieker ;). so kenne ich das zumindest.