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Geschichten

Günther -V-

Günther brachte den Rest des Tages und die ganze Nacht im Verhörraum des Polizeipräsidiums zu.
Die Verhöre seien endlos gewesen und immer wieder habe man ihm die gleichen Fragen gestellt, auf die er die immer wieder gleichen Antworten gegeben habe.
Das Schlimmste für ihn sei aber gewesen, daß ihn niemand aufgeklärt habe, worum es überhaupt geht.
Aus den Vorwürfen, die man ihm machte, konnte Günther erkennen, daß seine Frau tot war, genauer gesagt, daß sie erschlagen worden war.

Auf seine Frage: „Wie ist es denn passiert?“ bekam er nur ein höhnisches Lachen als Antwort: „Das werden Sie uns ja wohl am besten sagen können.“

Man versuchte alles, um Günther zu einem schnellen Geständnis zu bringen, doch der blieb bei seiner Version. Er habe dem Betonfahrer ein paar aufs Maul gehauen und seine Frau vor die Tür gesetzt. Während die wohl ins gemeinsame Wohnhaus gegangen sei, habe er einen Spaziergang durch das Gewerbegebiet gemacht.

Ob es dafür Zeugen gebe, ob ihn jemand gesehen habe, ob er denn nicht doch mal eben an seinem nahe gelegenen Wohnhaus vorbei gegangen sei, schließlich liege das doch auf dem Weg, die Zeit habe doch ausgereicht, mal eben kurz die Frau erschlagen, dann noch ein bißchen spazieren gehen und sich dann ins Büdchen stellen und Würste verkaufen. Das passe doch alles wunderbar zusammen.

„Das mag ja für Sie alles passen, aber ich habe meiner Frau nichts getan und finden Sie nicht, daß Sie es auch als Möglichkeit in Betracht ziehen müssten, daß ich nicht der Täter bin, sondern ein Mann, dessen Frau umgebracht worden ist und den Sie hier wie Dreck behandeln?“

Viel Eindruck machte dieser Appell nicht auf die Beamten, immerhin bekam Günther endlich was zum Rauchen und statt des Pappbechers mit Wasser auch einen Kaffee.

Es wäre ja auch für die Kriminalbeamten so einfach gewesen. Totschlag nach Ehestreit, Punkt, aus.
In der Bilanz der gelösten Kriminalfälle hätte sich das gut gemacht.
Überhaupt brüsten sich die Beamten der Abteilung „Leib und Leben“ ja sowieso mit ihrer außerordentlich hohen Erfolgsquote von über 90%. Im Gegensatz dazu werden nicht einmal 50% aller Einbrüche aufgeklärt.

Obwohl…, lösen können die Kriminalisten ja nur Fälle, die auch ein Fall sind. Der Omamörder, ein Pflegedienstler, der innerhalb von 10 Tagen fünf alte Frauen in ihren Wohnungen umgebracht hatte, um an Geld zu kommen, wurde ja nicht überführt, weil jemandem an einer der erstickten Leichen etwas seltsam vorgekommen wäre, sondern weil sein letztes Opfer, sich so gewehrt hatte und überlebte.
Erst danach kam man dahinter, daß die samt und sämtlich als natürlicher Todesfall abgehakten anderen Omas erstickt, gewürgt und förmlich zerquetscht waren. Der Obduzent: „Die sahen aus, als sei da ein Panzer drübergefahren, der Täter war ja sehr schwer und groß und hatte sich auf die gesetzt.“
Alte, kranke Leute sind irgendwann mit dem Sterben dran, da macht der Hausarzt dann auch mal schnell sein „natürliche Todesursache“-Kreuz, ohne genau zu untersuchen, es ist ja alles klar, es liegt ja auf der Hand…
Wer weiß, wie viele tausend Verbrechensopfer jedes Jahr beerdigt werden, ganz normal, ohne Brimborium, ohne Ermittlungen, nur weil zu schnell das falsche Kreuz auf den Totenschein gemacht wurde.
Alle diese Fälle jedenfalls fallen komplett aus der Mordstatistik heraus. Was keiner weiß, macht keinen heiß und wo kein Kläger, da kein Richter.

Wie praktisch wäre es gewesen, wenn die Beamten aus Günther ein schnelles Geständnis gepresst hätten. Aber Günther blieb stur, legte irgendwann das Kinn auf die Brust, schob trotzig die Unterlippe vor, starrte auf den Boden und sagte gar nichts mehr.

Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf, vor allem quälte ihn der Gedanke, was mit seinen Kindern passieren würde.

„Das Schweigen bringt uns auch nicht weiter. Sie machen es nur schlimmer für sich. Noch ist es nur Totschlag, da wären Sie doch bei guter Führung noch vor der Schulentlassung Ihrer Kinder wieder draußen. Aber wenn Sie so weiter machen, ist es Mord und dann kommen Sie nie wieder raus.“

Quatsch, natürlich ist das Quatsch und später wollte auch kein Beamter so etwas gesagt haben.

Jedenfalls guckte irgendwann einer der Beamten auf seine Armbanduhr, gab den anderen ein Zeichen und damit war das Verhör vorerst beendet. Günther kam in eine Zelle, dort solle er sich mal auspennen, bald käme sein Pflichtanwalt.

Der Pflichtverteidiger kam aber nicht bald, sondern erst am Ende des nächsten Tages. Einen Blick in die Ermittlungsakten hatte er noch nicht werfen können, da gebe es noch nicht viel und die Sachlage stelle sich ja ganz klar dar. Günther habe seine Frau beim intimen Verkehr mit einem fremden Mann erwischt und zunächst versucht, diesen durch Schläge auf den Kopf zu töten. Dann sei seine Frau in Todesangst vom Gartenhaus zum Wohnhaus geflohen, um sich in Sicherheit zu bringen. Dahin sei Günther ihr wutentbrannt gefolgt und habe ihr mit dem Marmoraschenbecher vom Wohnzimmertisch den Kopf eingeschlagen.

Günther saß da und sperrte das Maul auf. „Das hört sich ja so an, als ob Sie denen glauben“, gab er verwundert von sich und der Rechtsanwalt schaute ihn ebenfalls verwundert an. „Ja, war es denn nicht so? Ich denke, es ist alles klar.“

„Nein, nichts davon ist wahr. Meine Frau hat es mit einem anderen getrieben, der hat von mir ein paar in die Fresse gekriegt, das Schwein und meine Frau habe ich zum Teufel gejagt. Die ist dann weg und ich bin herumgelaufen, um den Kopf frei zu kriegen. Dann haben die Bullen mich geholt. Ich will jetzt endlich nach Hause.“

„Nach Hause? Sie? Na, daraus wird wohl vorerst nichts. Wissen Sie denn nicht, daß Sie in einer Stunde dem Haftrichter vorgeführt werden? Sie bleiben auf jeden Fall in Untersuchungshaft, das ist ja wohl mal klar. Sie haben schließlich Ihre Frau erschlagen.“

„Hab‘ ich eben nicht!“

„Das können Sie ja alles dem Untersuchungsrichter erzählen.“

„Nee, das muß ich zuerst Ihnen erzählen, Sie müssen mir als allererstes glauben.“

„Was ich glaube, spielt doch überhaupt keine Rolle.“

„Doch, wenn Sie nämlich nicht für mich sprechen und auch so tun, als sei ja alles klar, dann buchten die mich ein und das für was, das ich gar nicht gemacht habe.“

Vor dem Untersuchungsrichter war der Anwalt dann gar nicht so, wie er sich bei Günther gegeben hatte. Er trat kämpferisch und sachkundig auf, verlangte die sofortige Freilassung seines Mandanten, schließlich lägen ja keinerlei Beweise vor und nannte zahlreiche Varianten, wie die Tat abgelaufen sein könnte. Schließlich könne ja auch der fremde Mann der Täter sein, nach dem habe man erstaunlicherweise gar nicht gesucht. Man habe sich sofort auf seinen Mandanten als Täter eingeschossen, wie das oft so der Fall ist und alle anderen Spuren gar nicht erst weiter verfolgt.

„Bringen Sie mir einen Zeugen, der Ihren Mandanten gesehen hat und der belegen kann, daß der Mann zur Tatzeit woanders war, dann sehen wir weiter“, lautete der Spruch des Richters und damit war es besiegelt, Günther kam ins Untersuchungsgefängnis.

Die Zeit dort war so schrecklich für Günther, daß er später kaum ein Wort darüber sprach. Nur die Untersuchung bei der Aufnahme, die schilderte er immer mal wieder. Nachdem er sich komplett hatte entkleiden müssen, verlangte man, daß er sich bückte, damit man ihn rektal untersuchen könne.
Daraufhin hatte Günther gesagt: „Moment mal. Man wirft mir vor, meine Frau erschlagen zu haben und mich dann seelenruhig wieder an meinen Verkaufsstand gestellt zu haben. Und Sie glauben allen Ernstes, ich hätte da zwischendurch irgendwann einen Gedanken daran verschwendet, ob ich mir nicht schnell noch was für den Knast in den Arsch schiebe? Ihr habt sie doch nicht alle!“

Und dann kam das in Gang, was einen Untersuchungshäftling zermürben kann.
Draußen läuft alles weiter!
Die Polizei ermittelt und man kann nichts machen, egal was für einen Quatsch die sich zusammenreimen, man hat keine Chance, dagegen an zu gehen.
Die Kinder kommen in unterschiedliche Heime, man kann nicht beeinflussen, was mit ihnen geschieht und es wird auch noch so getan, als sei das jetzt sowieso für immer.
Die Welt dreht sich weiter, immer schneller und man selbst sitzt auf ein paar Quadratmetern und ist zur Tatenlosigkeit verdammt.
Wer würde sich um die Beerdigung seiner Frau kümmern?
Wie würde es weiter gehen?

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 1. Juni 2012 | Peter Wilhelm 1. Juni 2012

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13 Kommentare
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Teepo
12 Jahre zuvor

Bitte, gleich den nächsten Teil hinten dran :X
*wart*

12 Jahre zuvor

Mann Mann Mann,

schon mal bei Tatort nachgefragt ob die noch Autoren suchen?

Alleswisser
12 Jahre zuvor

…puh… an Spannung mal wieder nicht zu überbieten.

Tom, ich habe ja Verständnis dafür, dass Du solche Perlen (ich meine die Geschichte) nicht komplett raushauen und damit Dein Pulver für die nächste Zeit verschießen kannst. Ein Bisschen muss man sowas ja strecken, um die treuen Leser bei der Stange zu halten. Verstehe ich alles.

Aber bitte versteh auch Du, dass wir alle gerade Höllenqualen leiden!!! Gnaaaaaaaa gnaaaaa gnaaaaaaaa mmmmmmm wie geht es weiiiiiiteeeeeeeer??? *zappel*

LuzieFehr
12 Jahre zuvor

ich MUSS zur Arbeit!
– kann Nr. 5 erst nachher (17-18.uhr) lesen ..
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gespannt bin wie flitzebogen ….

turtle of doom
12 Jahre zuvor

Das wird eine interessante Fallstudie für den Udo vom lawblog…

anni
12 Jahre zuvor

Au Mann, wie schnell kommt man doch in was rein, aus dem man so schnell nicht mehr rauskommt… :.(

Kelly
12 Jahre zuvor

Tom, wo du gerade die unprofeeesionelle ärtzliche Leichenschau ansprichst: Was machen denn Bestatter, wenn sie (bei der Herrichtung der Leiche) auf Hinweise auf eine undokumentierte unnatürlichen Todesursache stossen?

12 Jahre zuvor

Ich bin also nicht die Einzige, die sich gruselige Mörderdokus auf Phönix anschaut, offensichtlich hat Tom die gleiche Doku gesehen … da fühle ich mich gleich weniger bekloppt…

Wird Günther jemals wieder aus dem Gefängnis kommen? Wie soll ich mich jetzt auf die Arbeit konzentrieren? Welche Bestechung hilft wohl bei Tom, damit er schneller schreibt???

überhaupt nicht be-
12 Jahre zuvor

@#2: Tatort darf TOM erst machen, wenn die mehrteilige Tatorte zulassen… Aber die ARD scheut noch solche Cliffhanger, schadet dem ausgewogenen Programm wenn dann rund um die Uhr Tatort ausgestrahlt wird…

DerInderInDerInderin
12 Jahre zuvor

Und, wann gehts weiter! Spann uns mal nicht so auf die Folter!

blaue Beere
12 Jahre zuvor

Oh Jesses, Heidanei, Gnade! Ich fühle richtig mit.

12 Jahre zuvor

*in die Tischkante beiß*

Wo bleibt (nein, nicht der Deinhardt) die Fortsetzung? Laut Genfer Konventionen ist Folter verboten! *nervös auf den Bildschirm starre*

🙂

Astrid
12 Jahre zuvor

*Nägekknabber* Ich wüsste gern ob das eine Sache ist die wirklich passiert ist….




Rechtliches


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