Geschichten

Günther -VI-

Im wesentlichen stützten sich die Vorwürfe gegen Günther auf die Aussage einer Zeugin. Seine Nachbarin, Frau Klemm, war auch diejenige gewesen, die die Polizei gerufen hatte.
Nach ihrer Aussage hatte sich alles wie folgt zugetragen.
Günthers Frau sei weinend und völlig aufgelöst angelaufen gekommen und so überhastet ins Haus gerannt, daß sie nicht einmal die Haustüre richtig zugemacht hätte.
Während sie selbst, also Frau Klemm, in ihrem Garten die Geranien gezupft hätte, was bei diesem Wetter viel Arbeit bedeute, denn da wachsen die wie Unkraut und da müsse man dann dabei bleiben, sonst sähe es nach kurzer Zeit aus wie Hulle, habe sie aber beobachten können, weil bei denen ja das Schlafzimmerfenster offen stand, daß Günthers Frau einen Koffer, also den Hellbraunen, nicht den mit dem Karomuster, vom Kleiderschrank herunter geholt habe.

Für die Ermittler und den Staatsanwalt war damit klar, daß Günthers Frau ihren Mann verlassen wollte.

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Frau Klemm hatte sich auf den Blick von den Geranienkästen zum Schlafzimmer konzentriert und nicht mitbekommen, wann Günther das Haus betreten hatte. Auf jeden Fall hätte sie dann Günther auch auf einmal im Schlafzimmer gesehen und dann wäre dummerweise auf einmal nichts mehr zu sehen gewesen. „Wissen Sie, ich bin ja nicht neugierig, aber bei uns passiert doch sonst nie was.“
Und dann habe es ein Geschrei gegeben. Günther habe auf Spanisch oder sonst einer Sprache, die man im Ausland so spricht, auf seine Frau eingeschrien, vermutlich kenne er aus dieser Sprache besonders viele Schimpfwörter. Die Frau habe auch geschrien, aber das habe sie nicht verstanden, weil das so hoch und spitz gewesen sei.
Dann habe es Rumms gemacht und es wäre schlagartig Ruhe gewesen.
Da sei ihr alles klar gewesen und sie habe ja sofort Bescheid gewußt, der Kerl verhaut seine Frau, und deshalb sei sie sofort ins Haus gelaufen, sie kann ja nicht mehr so schnell, Rheuma, und habe dann die Schutzmänner gerufen.
Durch die Gardine und die Schlitze des wegen der Sonne heruntergelassenen Rolladen hätte sie aber noch gesehen, daß Günther dann wenige Sekunden später aus dem Haus gerannt sei. Dann sei noch der Motor von Günthers Auto zu hören gewesen und dann nur noch Totenstille.

„Ich hab sofort gewußt, da ist was passiert. Ich habe zu meinem Mann, das war als der noch lebte, immer gesagt, daß eines Tages mal was passieren würde.“

Man kann den Kriminalbeamten ja fast überhaupt keinen Vorwurf machen.
Da erwischt ein Mann seine Frau mit einem anderen Mann im Bett und rastet aus. Er schlägt dem Nebenbuhler ins Gesicht und zertrümmert ihm die Nase, dann erklärt er die Beziehung für beendet und wirft seine Frau raus.
Die läuft vom Gartenhaus, wo sich das alles zugetragen hat, zum 400 Meter entfernten Wohnhaus, um einen Koffer zu packen. Die Nachbarin von gegenüber sieht, daß der Beschuldigte auch im Wohnhaus ist und bekommt mit, daß es dort wohl eine Auseinandersetzung gibt, die damit endet, daß es auf einmal totenstill ist und daß der Beschuldigte in wilder Hast das Haus wieder verläßt.
Als dann nach dem Anruf der Nachbarin die Polizei am Ort des Geschehens eintrifft und das Opfer in einer Blutlache mit eingeschlagenem Schädel da liegen sieht, ist nach diesen Aussagen der Nachbarin ja alles klar.

Es gibt sehr gute Kriminalbeamte, keine Frage. Aber diese hier wollten einfach nur schnell einen Erfolg verbuchen und wenn alles so sonnenklar ist, wozu dann noch irgendwas in Zweifel ziehen und in andere Richtungen ermitteln?

Günther bestritt die Tat.
Ja, er habe seine Frau recht grob angepackt, als er sie von dem anderen Mann weggezogen habe und er habe dem „Dreckskerl“ auch „die Fresse poliert“. Das sei ja wohl sein gutes Recht, da solle man ihm mit irgendwelchen Gesetzen von Leib bleiben, das interessiere ihn nicht.
„Wenn meine Frau und irgend so ein Lump herummachen, soll ich mich dann mit einem Glas Rotwein in der Hand daneben setzen und sagen: ‚So, jetzt diskutieren wir das erst einmal in aller Ruhe‘? Nichts da, da gehört dann erstmal Ordnung gemacht und dann sieht man weiter. Da muß man Fakten schaffen“, sagte er und schlug dabei mit der Faust seiner rechten Hand in seine flache linke Hand.

Günther saß tagein tagaus in seiner Zelle. Bei dem Gedanken, daß draußen alles weiter lief, wurde er fast verrückt. Seine ganzen Gedanken wurden allein davon gelähmt, daß er sich den Kopf zermarterte, wie er aus dieser Zwickmühle entkommen konnte, wie er da hinein geraten war, was wohl wirklich passiert sein könnte und wo seine Kinder jetzt waren. Aber ein Gedanke machte ihm besonders zu schaffen. Er hatte ja, und das schien im Moment jeder vollkommen außer Acht zu lassen, seine Frau aus tiefstem Herzen geliebt.
Niemals hätte er etwas mit einer anderen angefangen und er wäre im Traum nicht darauf gekommen, daß seine Frau fremdgehen würde. Es war mehr die Enttäuschung, als denn schiere Wut, die ihn dazu veranlasst hatte, im ersten Moment, in diesem Bruchteil einer Sekunde, so zu reagieren, wie er reagiert hatte.
Sein Zorn wäre nicht geringer gewesen, wenn er durch Zufall von jemand anderem erfahren hätte, daß seine Frau es mit einem anderen Kerl treibt. Aber die Sache wäre anders ausgegangen.
Nur im ersten Jähzorn ist er überhaupt zu einer solchen Reaktion fähig und in seinem ganzen Leben hatte er erst einmal, und das war als junger Mann, mal mit einem anderen Kerl Raufhändel gehabt.
Und rausgeworfen hätte er seine Frau dann auch nicht. Er liebte sie doch.
„Keine Ahnung, wie das dann weiter gegangen wäre, aber ich hätte doch alles getan, um meine Frau nicht zu verlieren. Aber im ersten Zorn, wenn einem das Blut in den Kopf steigt… da habe ich eben gesagt, sie solle ihr Zeug packen und verschwinden.“

Aber alle um ihn herum taten so, als seien er und seine Frau verfeindet gewesen. Deshalb gab man ihm wohl auch keine Auskunft, als er immer wieder danach fragte, was denn mit seiner Frau nun geschehe, die müsse doch bald mal beerdigt werden.

Sein Anwalt war es, der eines Tages mit ein paar Blättern Papier vor seiner Nase herum wedelte. Ob denn seine Frau jemals etwas darüber gesagt habe, wie sie bestattet werden wolle.
Günther fragte nur, ob er denn bei der Beerdigung dabei sein dürfe und der Anwalt hob nur die Schultern. Das könne er natürlich, aber das sei keine gute Idee, meine er.

„Die wollte verbrannt werden, hat sie irgendwann mal gesagt, als wir bei Tante Trudel auf dem Friedhof waren. So ein kleines Grab, das nicht viel Arbeit macht…“


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 16. Juli 2011 | Revision: 1. Juni 2012

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2 Kommentare
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Alleswisser
13 Jahre zuvor

…Meister der Cliffhanger… ich schicke Dir eines Tages die Rechnung meines Therapeuten, der mich wegen meiner Cliffhanger-Phobie behandeln muss. Ich bin heute morgen davon aufgewacht, dass ich dachte, ich muss noch unbedingt im bestatterweblog nachschauen, wie es mit Günther weitergeht. (Kein Witz!) Ist das normal?

Und jetzt gibt es gleich den nächsten Cliffhanger. Du Sadist! 😉

der kleine Tierfreund
13 Jahre zuvor

…WO STECKT DIESER SPANIER…???
Und Günther hat sicher gar kein Auto…




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