Menschen

Hallo!

Frau Buttinger ist Ende 60, keineswegs senil, aber durchaus, was das Technische anbetrifft, nicht mehr besonders wissensdurstig und flexibel. Das kennt man ja von vielen älteren Menschen, irgendwann wurde das ganze neumodische technische Zeug zu schnell. So erklärte es mir mal ein älterer Herr: „Mir ist das alles zu schnell geworden. Ich bin Ingenieur, mir ist alles Technische nicht fremd, aber ich komme da nicht mehr mit. Kaum hat man die Funktionen irgendeines Apparates endlich begriffen und kommt gut damit zurecht, dann geht er kaputt oder man muß aus anderen Gründen was Neues anschaffen und schon stehe ich wieder wie der Ochs vor dem Berg.“

Ein bißchen kann ich das sogar nachvollziehen. Es gab einmal eine Zeit, da kannte ich zum Beispiel alle Handy-Typen, aber wirklich alle. Ich war im Freundes- und Bekanntenkreis DER angesagte Experte für alle Fragen rund ums Handy, kannte die Vorzüge dieser Marke, die Nachteile jener Marke und wußte bei jedem Handy, wo man in welchem versteckten Untermenü welche Funktion findet.

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Inzwischen können Handys natürlich viel mehr und es gibt auch noch mehr Hersteller, aber insgesamt habe ich mich irgendwann aus diesem „Run“ einfach ausgeklinkt. Die kurzen Abstände zwischen dem Erscheinen immer neuer Modelle machte es irgendwann unmöglich, da noch auf dem Laufenden zu bleiben.

Auch was Spielekonsolen anbetrifft, bin ich doch recht unbedarft. Wenn überhaupt spiele ich am iMac Simulationen. Alles was Reaktionsfähigkeit erfordert, ist mir zu schwer und um mir die notwendige Geschicklichkeit anzutrainieren fehlt mir die Zeit und Gelegenheit.

Aber kommen wir zurück zu Frau Buttinger.
Ihr Mann ist gestorben und ich sitze bei ihr in der Küche und fülle meine Formulare aus, die Rentner-Bravo, also die Apotheken-Umschau, dient mir als Unterlage. Wann denn die Trauerfeier stattfindet, will Frau Buttinger wissen und ein Blick auf die Uhr verrät mir, daß ich beim Friedhofsamt und bei der Kirchengemeinde noch jemanden erreichen werde.

„Ich klär das jetzt gleich mal und rufe da an“, sage ich und zücke mein Handy.
„Oh weh! Sie haben nur so ein teures Ding? Warten Sie, ich gebe Ihnen mein Telefon, das ist doch billiger“, sagt Frau Buttinger und wackelt in den Flur.
Als sie zurückkommt, drückt sie mir die Basisstation eines Schnurlostelefons in die Hand. Das grausilberne Teil hängt an etwa 30 Meter verzotteletem Netz- und Telefonkabel, zusammengestöpselt aus rund einem Dutzend Verlängerungsstücke und Dreifachsteckdosen.

„Äh, und wo ist das Telefon?“

„DAS ist mein Telefon.“

„Ja aber, der Hörer, ich meine das Handteil…“

„Braucht man nicht, da sind doch auch Tasten zum Wählen dran und außerdem ist das Ding da viel lauter. Den Hörer habe ich schon vor einem Jahr weggeschmissen, da waren immer so schnell die Batterien alle.“

„Sie hätten das Handteil auf die Basisstation stellen sollen, das lädt sich dann wieder auf.“

„Basisstation? Hab ich nicht.“

Ich hebe die grausilberne Basisstation hoch, tippe darauf und sage: „DAS HIER, das ist die Basisstation.“

„Nee, das ist mein Telefon, da ruf ich alle mit an, das geht ganz wunderbar und man versteht wenigstens was.“

Es ist so eine Basisstation, mit dem man mehrere Mobilteile rufen könnte, auch für hausinterne Gespräche, deshalb hat sie eine richtige, vollständige Telefontastatur.

Sie nimmt mir das Ding aus der Hand, wirft einen kurzen Blick auf meinen Zettel und tippt auf den Tasten die Nummer des Friedhofsamtes ein. Es tutet aus irgendeinem Gehäuselautsprecher. Und der trägt seinen Namen zurecht. Das Tuten hat in etwa so einen starken Schalldruck, wie das Nebelhorn der MS Deutschland.
Trotzdem hält sich die alte Dame das Teil unmittelbar ans Ohr und als sich überlaut und scheppernd Herr Knoffinger vom Friedhofsamt meldet, brüllt Frau Buttinger mit anschwellenden Schläfenadern: „Moment, der Mann hier will was von Ihnen!“

Obwohl sie das Ding immer noch ans Ohr gepresst hält, kann ich mich problemlos mit Herrn Knoffinger unterhalten. Frau Buttinger strahlt und als alles geklärt ist und Knoffinger wieder aufgelegt hat, freut sie sich: „Sehen Sie, wie toll das funktioniert! So telefoniere ich immer.“

Und da erfinden manche Firmen Seniorentelefone…

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(©si)