Geschichten

Heiligabend -2-

Der kleine Jan wird heute beerdigt. Es ist ein Tag vor Heiligabend und die Eltern sind sehr zufrieden mit dem Termin.
Es waren keine tieferen Überlegungen, die sie zum 24. Dezember als Beerdigungstag getrieben haben, sondern es war eher ein Hinnehmen. Man hatte kurzerhand ausgerechnet, wann der frühestmögliche Termin, auch innerhalb der Familie, sein könnte und war auf den 24. Dezember gekommen.

Eher nach dem Motto „es ist ja eh alles egal“ hatte man sich keine weiteren Gedanken mehr gemacht. Im Prinzip stimme ich den Eltern da auch zu. Angesichts des Todes eines Menschen schweigt die Welt rundherum und alles andere verliert an Bedeutung.

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Doch stelle ich mit Recht die Frage, ob so ein Sterbefall immer diese Bedeutung und diesen Stellenwert im Leben der Menschen und Familien haben wird und ob es nicht einfach schade wäre, eines der schönsten und für viele wichtigsten Feste, wie Weihnachten, mit einem so traurigen Erinnerungspunkt zu markieren.

Das Leben geht weiter und die Eltern von Katrin und Jan sind noch recht jung. Es ist fürwahr ein schreckliches Schicksal, wenn man zwei Kinder verliert und ich könnte es gut verstehen, wenn man dann resigniert und am Leben zu verzweifeln beginnt. Jedoch sagt man auch, daß die Zeit alle Wunden heilt. Und daran ist viel Wahres.

Ich kenne Ehepaare, die sich nach einer Fehlgeburt in jungen Jahren das Kinderkriegen auf Lebenszeit selbst verweht haben. Ich habe nicht den Eindruck, daß das eine gute Idee ist.
Nach dem Unfalltod des ersten Kindes haben die jungen Leute es ja auch noch einmal gewagt und wer weiß, ob sie nicht in ein paar Jahren wieder den Wunsch verspüren, einem Kind das Leben zu schenken.
Und genau vor diesem Hintergrund finde ich es besser, wenn nicht ausgerechnet das Fest der Kinder zum traurigsten Gedenktag in der Familie wird.

Meine Eltern sind beide nahe an meinem Geburtstag gestorben, mein Vater einen Tag danach, meine Mutter ein paar Tage danach. Das ist jetzt über 20 Jahre und 15 Jahre her. Ich bin froh, daß es nicht genau mein Geburtstag geworden ist. Zumindest in den ersten Jahren, als die Trauer noch frisch war, habe ich recht intensiv an den üblichen Tagen (Geburtstag, Sterbetag, Beerdigungstag) an sie gedacht und jedes Mal kamen in mir die Erinnerungen hoch und der Verlust schmerzte dann doch wieder. Je mehr Jahre vergingen, umso mehr verblasste diese Spontantrauer und ich hätte sogar geschworen, daß das nahezu völlig verschwunden ist. Meine Frau aber meinte immer, feststellen zu können, daß ich an diesen Tagen irgendwie verändert sei.
Das alles hat mich aber nie davon abgehalten, meinen Geburtstag entsprechend zu feiern, schon allein weil meine liebe Frau so furchtbar gerne Geburtstag feiert.

Nein, die Verknüpfung irgendwelcher Feiertage mit Beerdigungen ist nicht gut. So ein Trauerfall verblasst immer, das sollte er auch, und so Festtage kommen jedes Jahr wieder.

Nun ist das junge Ehepaar nicht gerade arm, aber auch die 280 Euro Zuschlag für „Öffnen und Schließen eines Grabes an einem besonderen Termin“ finde ich recht happig, auch dieses Geld können wir jetzt einsparen.

Hinzu kommen die vielen Trauergäste. Wenn Kinder und Jugendliche sterben, kommen immer ganz besonders viele Menschen -darunter auch sehr viele junge Leute- zur Beerdigung. Die Schulklassen, Kindergartengruppen, viele Eltern, Vereinsgruppen, Sportvereine… Da kommt neben der Verwandtschaft noch so einiges zusammen und will man diesen vielen Leuten ausgerechnet am Heiligabend so einen Trauerakt bieten?
Nein, der 23. Dezember ist da besser geeignet. Da ist noch nicht Weihnachten und wenn dann die Beerdigung herum ist, können sich alle anderen umdrehen, das Schwarze abschütteln und sich wieder Weihnachten zuwenden.
Der Heilige Abend mit seiner Zwitterfunktion als Werk- und „Feier“tag, ist dann ein sehr guter Tag, um den Alltag hinter sich zu lassen und sich dem gemeinsamen Feiern zuzuwenden.
Da freuen sich die Allermeisten das ganze Jahr drauf und das sollte man ihnen nicht durch einen Gang zum Friedhof und eine sehr emotionale Trauerfeier verderben.

Jan wird eine sehr schöne Trauerfeier bekommen. Seinen Sarg haben wir in hellblau gestrichen und weiße Tauben darauf gemalt. Fürchterlich teure aber sehr schöne Sonnenblumen zieren den Deckel und ansonsten wünschen sich die Eltern alles ganz schlicht. Viel mehr an kindlichen Symbolen würde die Emotionalität ihrer Meinung nach zu sehr steigern und das würden sie nicht verkraften.
Verwandte wollen ein paar Gedichte aufsagen, Alfred -der aussieht wie eine Mischung aus Wolf Biermann und Reinhard Mey- wird auf der Gitarre etwas vortragen.
Der Pfarrer kann auch Kinderbeerdigungen gut, das ist nicht selbstverständlich.
Es wird alles gut werden, denke ich und ich werde nach der Trauerfeier das tun, was wohl die meisten tun werden, ich werde zuschließen, tief durchatmen und mich dem Leben und den Lebenden zuwenden.

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