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Herr Hanke

Heute Morgen kam Herr Hanke zu uns. An den Sterbepapieren in seiner Hand war er sogleich als trauernder Angehöriger auszumachen und meldete dann den Sterbefall seiner Frau an. Ende Siebzig ist die Verstorbene alt geworden, nicht gerade das was man ein gesegnetes Alter nennt, aber auch nicht so ein ungewöhnliches Alter um zu sterben.

Herr Hanke ist etwas jünger, er bringt es auf 73 Jahre, er ist klein, dünn, etwas verhuscht und nervös, er geht mir gerade bis zu den Schultern. Besonders entscheidungsfreudig ist er auch nicht, das was ich ihm empfehle, das will er haben, so als ob er Angst hat, er könne mich verärgern oder beleidigen, falls er nicht meinen Vorschlägen folgt.

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Das geht auch solange gut, wie ich ihm jeweils nur einen Artikel empfehle, frage ich ihn aber, ob er lieber dies oder lieber das möchte, kommt er in Schwierigkeiten, windet sich wie ein Aal und fragt schließlich: „Was würden Sie denn nehmen?“

Herr Hanke ist so einer, dem könnte man alles verkaufen und ich denke mit Schrecken daran, was so manches schwarze Schaf der Branche mit ihm machen würde. Schließlich haben wir aber alles ausgesucht, bis auf Hemd und Decke. Erstaunlicherweise hat er da konkrete Vorstellungen: „Das muß alles in Rosa sein, meine Frau hat Rosa geliebt.“

Nun, auch das ist kein Problem, wir haben eine rosafarbene Ausstattung in Damast, die sieht sehr edel aus und die zeige ich ihm. „Nein, nein, ich will die da drüben“, lehnt er meinen Vorschlag ab und steuert zielsicher auf einen unserer Ladenhüter zu. Ganz am Ende des Ständers hängt noch eine pinkfarbene Komplett-Ausstattung. Decke, Kissen, Sargbespannung und Deckelbespannung.

Die habe ich mal vom Großhändler zu einem Super-Schleuderpreis bekommen, der wurde das Ding nämlich auch nicht los.
Diese Decke ist sowas von Pink, daß es einem schon fast in den Augen weh tut. Der Stoff ist glänzend und hat weiße Tupfen. Die sollen eigentlich Blütenblätter darstellen, sehen aber aus wie die Abdrücke von Katzenpfötchen. Zu allem Überfluß hat der Sargdeckenschneider in einem Anfall möglicherweise alkoholbedingter Geschmacksverirrung auch noch eine über 10 cm breite pinkfarbene Tüllspitzenumrandung außen an die Sachen angenäht. Schön gekräuselt und gefältelt, es sieht wirklich grauenvoll aus. Seit zwei Jahren will ich das Ding schon wegschmeißen und hatte schon mal angeordnet, es bei einem Sozialfall ohne Berechnung mit zur Einäscherung zu verwenden, aber aus irgendeinem Grund ist mir die pinkfarbene Scheußlichkeit doch erhalten geblieben.

Wer diese etwa 20 cm großen Plastikpuppen kennt, mit denen kleine Mädchen gerne spielen, der weiß, daß die Welt dieser Puppen vornehmlich in Pink gehalten ist. Und genau in diese Welt würde diese Decke passen. Nur hat man je gehört, daß diese steifbeinigen Püppchen sterben? Ich jedenfalls habe schon Dutzende von denen ohne Arme und Beine, ja sogar ohne Kopf gesehen und die waren kein bißchen tot, sondern die Kinder spielten immer noch damit.

Frau Hanke hat noch alle Beine und Arme und natürlich auch einen Kopf. Aber genau der ist das Problem.
Die liebe Verstorbene hat nämlich ziemlich dicke Pausbacken, eine etwas breite Stupsnase und eine schmale, zusammengekniffene Augenpartie.

Huber ruft mich hinunter, damit ich mir das Ganze einmal persönlich anschaue.
Um es ohne Schnörkel zu sagen: Die Frau liegt in ihrer pinkfarbenen Komplettausstattung und man wartet eigentlich nur darauf, daß die jetzt „Oink“ macht oder grunzt.

„Chef, des machet mer net, gell?“ fragt Huber und ich schüttele unwillkürlich den Kopf. Wirklich, die Frau sieht in dem ganzen Pink aus, wie ein glückliches Schweinchen, ihre frische rosa Hautfarbe… „Warum haben Sie die Frau denn so rosa geschminkt?“ will ich wissen, doch Huber macht eine abwehrende Handbewegung: „Nur eingecremt, keine Schminke, die ist so rosig.“

Nun hat aber der Mann unbedingt diese Ausstattung haben wollen und Huber hat auch schon die ganzen Bespannungen in den ausgesuchten Sarg getackert. Auch eine Deckelbespannung war dabei, das ist schon etwas Seltenes und wird sonst eher bei Klappdeckeln gemacht.

„Wir lassen den Ehemann entscheiden“, beschließe ich und wir fahren den Sarg nach oben in eine unserer Aufbahrungskabinen.

Herr Hanke ist noch unterwegs, doch wenn wir ihn später erreichen, lasse ich ihn herkommen und dann soll er selbst sagen, was er davon hält.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#hanke #herr

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