Nekrolog

Herr Westfal -II-

Der neue, kleine Fotoverein entwickelte sich prächtig und etliche Jahre hatten wir gemeinsam sehr viel Freude am Hobby. Ein fester Kern an ernsthaft Interessierten war nach der ersten Versammlung geblieben, manchmal schied einer aus, aber es kam auch immer ein Neuer nach. Unterm Strich wuchs der Verein sogar von Jahr zu Jahr.
Nach einigen Jahren, ich bin kein Typ, der so etwas sein Leben lang machen will, schied ich aus dem aktiven Vereinsleben aus. Der Verein hatte inzwischen eine Satzung, eine Registereintragung und den Status der Gemeinnützigkeit erhalten.
Die Westfals verlor ich damals aus den Augen, mit anderen bin ich auch heute noch gut befreundet.

Das heißt, so ganz konnte man die Westfals nicht aus den Augen verlieren, dafür waren sie in ihrem Partnerlook zu auffällig. Der Doppelpack begegnete einem dann doch immer mal wieder auf der Straße, beim Einkaufen oder am Rande irgendwelcher Veranstaltungen. Man sprach ein paar flüchtige Sätze miteinander, nichts Tiefgreifendes und ging dann wieder seiner Wege.

Werbung

Nun sitzt mir Traude Westfal gegenüber und heult sich fast die Augen aus dem Kopf, ihr Günther ist tot.
Das trifft mich und das ist ja auch normal, schließlich habe ich den Mann ja auch persönlich gekannt.
„War er denn krank?“ erkundige ich mich und Traude nickt: „Ja, der hatte Krebs.“

„Ach herrje! Hat er denn leiden müssen?“

Traude Westfal schüttelt nur den Kopf und glotzt mich aus feuchten Augen an.

„Es ist also ganz schnell gegangen?“ frage ich und will damit herausfinden bzw. bestätigt bekommen, daß er trotz der schweren Erkrankung einen schnellen Tod hatte und nicht lange leiden musste.

„Der hatte Depressionen“, sagt Traude und ehrlich gesagt, kann ich mit dieser Information nicht viel anfangen, deshalb schweige ich nur und nicke, so als ob ich sie verstehen würde.
Sie fährt fort:
„Der ist mit seiner Diagnose gar nicht zurecht gekommen, der kam vom Arzt nach Hause und hat sich in die Küche auf die Eckbank gesetzt und nur stumm in die Ecke geguckt. Depressionen hatte der ja schon vorher mal und jetzt hat er die Depressionstabletten wieder genommen. Die haben aber nicht geholfen.“

Ich mache nur „hmmm“ und lasse Traude Westfal weiter reden:

„Ja und dann hat er es gemacht.“

„Was hat er gemacht?“

„Das wovon der schon immer geredet hat.“

„Was denn?“

„Der hat sich in Berghausen auf die Schienen gestellt und vom Zug überfahren lassen.“

„Ach Du meine Güte!“

„Jetzt könnt Ihr den in ein paar blaue Säcke verpackt abholen, ich weiß gar nicht, wo die den hingebracht haben.“

„Das finden wir heraus.“

„Ich will den nicht mehr sehen.“

„Nee“, sage ich und bin froh, daß sie nicht das Gegenteil verlangt.

„Mein Gott, warum macht der Mann sowas? Vielleicht hätten wir doch noch ein paar schöne Jahre gehabt. Ich hätt‘ mich doch um ihn gekümmert.“

„Vielleicht hatte er Angst vor dem was auf ihn zukommt.“

„Was kann denn bitteschön mehr auf einen zukommen, als ein ICE mit 250 Sachen?“ fragt sie mit etwas Empörung in der Stimme und beginnt wieder zu weinen.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Das Bestatterweblog informiert und unterhält – ganz ohne Google- oder Amazon-Werbung

1,4 Millionen Besucher im Jahr, aber nur etwa 15 spenden. Dabei kostet der Betrieb rund 20.000 € jährlich. Wurde Dir hier schon geholfen? Hattest Du etwas zu lachen? Dann sei eine der seltenen Ausnahmen und gib etwas zurück. Schon 5 € – der Preis einer Tasse Kaffee – helfen weiter. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)