Geschichten

Herr Winkler -II-

Frau Winkler steht in unserem Ausstellungsraum und wird recht schnell fündig. Sie deutet mit dem Finger auf einen Sarg: „Den da bitte, den möchte ich gerne. Das ist doch der Zweitbilligste, oder?“
Ich schaue kurz auf das Preisschild und bestätige durch ein Nicken.
„Ich will nicht, daß man sagen kann, ich hätte bloß das Billigste genommen, also nehme ich den da, das Zweitbilligste ist gut genug.“

Herr Winkler hatte sich drei Wochen zuvor ganz anders gebärdet. Er war durch die Ausstellung gestelzt wie ein Wiedehopf, hatte seinen Kopf mal ruckartig hierhin, mal dorthin gewendet und man konnte erkennen, daß er sich zwar oberflächlich umschaute, aber keineswegs irgendetwas genau angeschaut hatte.
„Das sind ja alles fürchterliche Kisten“, hatte er gesagt: „gibt es da nichts anderes?“

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„Was haben Sie sich denn vorgestellt?“

„Ja irgendwie anders, nicht solche Kisten.“

„Es gibt auch Designersärge, gewölbte, gewellte, solche die aussehen wie ein Baumstamm und sogar einen, der aussieht wie ein Mumiensarkophag.“

„Ach hören Sie doch auf mit so einem Firlefanz, das ist doch alles Beutelschneiderei, dann nehmen wir lieber doch was Herkömmliches.“

„Wie Sie wünschen.“

„Was ich mir wünsche, das können Sie sowieso nicht erfüllen, für mich ist Einkaufen stets nur ein Kompromiss; ich muß mich mit dem zufriedengeben, was mir am wenigsten miserabel erscheint, wahre Qualität liefert heute doch niemand mehr.“

„Unsere Särge sind qualitativ sehr hochwertig…“

„Ach und da bekomme ich wohl auch drei Jahre Garantie drauf?“

„Wohl kaum.“

„Was soll das denn heißen, da sollte sich dann doch mal der Verbraucherschutz drum kümmern.“

„Nun, im wesentlichen hängt das davon ab, ob der Sarg für Sie oder für jemand anders sein soll.“

„Was hat das denn mit der Garantie zu tun?“

„Wenn Sie erst mal drinliegen, werden Sie diverse Probleme haben, ihre Gewährleistungsansprüche durchzusetzen.“

Erstaunlicherweise lächelt Herr Winkler sogar ein bißchen und seine Frau kichert kurz, verstummt aber sofort, als er in ihre Richtung blickt.

„Ja nun mal Butter bei die Fische, wie ist das denn mit der Garantie?“

„Garantie gibt es keine und die Gewährleistung betrüge auch nur zwei Jahre, nicht drei.“

„Aha, und wenn der Sarg dann in der Erde verrottet, bekomme ich innerhalb von zwei Jahren einen neuen?“

„Nein, wenn ein Papiertaschentuch beim Naseputzen durchfeuchtet und kaputtgeht, bekommen Sie ja auch kein neues. Der Sarg wurde ja dafür gebaut, es ist also seine Bestimmung, in der Erde zu verrotten, ergo ist das kein Mangel.“

Herr Winkler bleibt wie angewurzelt stehen, zieht den Kopf zwischen die Schultern, legt die Stirn in Falten und schüttelt dann erstaunt den Kopf: „Was es nicht alles gibt, so hatte ich das noch nicht bedacht…“

Und mit dieser Äußerung wäre es doch gut gewesen, doch er muß noch sagen: „…da lebt also eine ganze Industrie vom Beschiss.“

Einen Sarg hatte er damals nicht ausgewählt, aber darum war es auch gar nicht gegangen. Er hatte sich mal umschauen wollen und das hat er ja auch getan.

Frau Winkler ist da schneller und entscheidungsfreudiger, der zweitbilligste Sarg, die zweitbilligste Decke, das zweitbilligste Totenhemd…

„Haben Sie sich denn jetzt schon entschieden, wie Ihr Mann bestattet werden soll?“

„Ja sicher, der kommt erst ins Feuer und dann soll die Urne in ein Grab auf dem Hauptfriedhof.“

„Einzelgrab oder Familiengrab?“

„Der? Nee, der kommt alleine auf den Friedhof.“

Und weil sie merkt, daß das etwas hart klingt, fügt sie noch hinzu: „Ja, weil doch unser Sohn sowieso auswärts wohnt und ich will mal was anderes.“

Dann merkt sie, daß ich ihr diese Beweggründe nicht abnehme und sie sagt auf dem Weg zum Beratungsraum zu mir: „Der hat ja immer allein sein wollen. Morgens nach dem Aufstehen durfte man ihn sowieso nicht ansprechen, da bereitete sich der Herr auf den Unterricht vor und mußte Zeitung lesen. Wenn er mittags nach Hause kam, war er zu sehr genervt, da mußte man ruhig sein und durfte ihn ja nicht ansprechen. Nach dem Mittagessen hat er dann zwanzig Minuten monologisiert und sich dann an seinen Schreibtisch zurückgezogen. Wehe man hat ihn vor 17 Uhr in seinem Arbeitszimmer gestört, da konnte er zum wilden Stier werden.
Mein Sohn und ich sind immer nur auf Zehenspitzen durchs Haus gegangen, das Telefon und die Hausklingel waren leise gestellt und selbst die spielenden Kinder auf der Straße haben einen Bogen um unser Haus gemacht.
Nee, nee, für den ist es besser, wenn er alleine liegt.“


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 27. Mai 2010 | Revision: 29. Juni 2012

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14 Jahre zuvor

hart, aber ehrlich.

noch ein Stefan
14 Jahre zuvor

Wow, wenn Tom hier nicht wieder mehrere Fälle zu einer Geschichte zusammengebaut hat, ist das ja wohl echt ein Härtefall gewesen. Außer seinem Sohn (wenn überhaupt) wird ihm wohl kaum jemand eine Träne nachweinen – ein echter Tyrann. Bei solchen Leuten frage ich mich immer, ob sie fette Komplexe mit sich rumgetragen haben, oder ob sie einfach schon immer A….löcher waren. Gut, dass viele Frauen sich sowas heute nicht mehr gefallen lassen.

Ma Rode
14 Jahre zuvor

Eine weise Entscheidung von Frau Winkler! Ich wünsche ihr noch ein langes und zufriedenes, geselliges und fröhliches Leben.

14 Jahre zuvor

Die Dame wird hoffentlich noch weiter aufblühen. Interessanterweise besitzt sie jedenfalls scheinbar mehr verstand als ihr verstorbener Gatte, der ja so auf seinen Verstand bedacht war.

Guter Aspekt übrigens mit der Garantie. Ich werde demnächst mal ein Bierfass reklamieren, weil es sich ständig leert. Wenn das funktioniert habe ich ein bodenloses Fass erschaffen. *daumendrücken*

Gruß
Joe

Micha
14 Jahre zuvor

@Joe: Ist das zwischen verschiedenen Spezies ansteckend? Bei mir ist es mein Konto, dass sich ständig leert.

Mendian
14 Jahre zuvor

@Joe Nevermind
Ich wuerde mich bei dem Fass auf das Mindesthaltbarkeitsdatum berufen, das wuerde nie erreicht werden 😉

Halt uns auf dem Laufenden…

Darkprince
14 Jahre zuvor

da kann man sich für Frau Winkler echt nur freuen. Auch wenns ein trauriger Anlass ist.

Asz
14 Jahre zuvor

Ich schließe mich Nr. 3 (MaRode) an und setze noch „gesundes“ dazu. Die Frau Winkler find ich klasse!

14 Jahre zuvor

*seufz* Leerer.

Ich wünsche Frau Winkler auch noch ein langes, geselliges und fröhliches Restleben. Verdient hat sies nach der Zeit mit dem Klugscheißer allemal.

Und nein, Scheidung ist in der Generation kein Thema. Da hat man sich nicht scheiden lassen. „Bis das der Tod euch scheide“ – aber manchmal hat der halt einfach zu lang gelebt 😉

Avarion
14 Jahre zuvor

Tja, Lehrer sind so eine Sache. Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere hatte ich mehr gute als schlechte Lehrer. Aber die schlechten wären für sowas allesamt zu haben gewesen. Teilweise noch für mehr wie fliegende Gegenstände in Richtung der Person die es gewagt hat ihren Unmut zu erregen.

Turtle
14 Jahre zuvor

Der Mann haette nicht heiraten sollen, sondern sich einen Diener besorgern, aber der waere wohl teurer gekommen als eine Frau.

Sue
14 Jahre zuvor

Kein Wunder, dass der Sohn „auswärts“ wohnt. Wenn er clever war, hat er mit 18 die Flatter gemacht.
Ich wünsche Frau und Sohn ein langes, erfülltes und glückliches Leben.

Und Herrn W. eine Einzelwolke, weit weg von den anderen …

Pu der Zucker
14 Jahre zuvor

Wievielen Schülern der wohl den Abischnitt versaut hat…?
Zu meiner Schulzeit musste man noch froh sein, wenn der Lehrer nicht prügelte. Trotzdem gab es ein paar, die waren toll. Bei denen machte das Lernen sogar (fast) Spaß. Leider gab es auch genug andere. Ungerecht fand ich, dass die „Guten“ jeweils kurz vor der Rente tot umkippten, während die „Winklers“ bis heute ihre Ehefrauen terrorisieren.

Ma Rode
14 Jahre zuvor

@Sue: der Sohn war/ist clever. O-Ton Frau Winkler: „Ja, weil doch unser Sohn sowieso auswärts wohnt …“

Eine vulkanische Grußformel an Frau Winkler noch hinterher: Live long and prosper.

14 Jahre zuvor

Wie war das noch mit den Lehrern?
Mit den meisten, ja, ja…

Genau, verbrennen, den Kerl! Damit nachher nicht so viel Arbeit zu verrichten ist.
Verdient hat er es eben nicht.

Oliver
14 Jahre zuvor

Tja, manche Menschen können sich durch ihr Ableben nur verbessern, und Herr Winkler war so ein Fall.

Ich versuche mir gerade das Szenario vorzustellen, wäre Frau Winkler vor ihrem Mann gestorben. Der hätte wahrscheinlich die Dreistigkeit besessen, alle zwei Jahre beim Bestatter aufzuschlagen und ihm zu befehlen, den Sarg seiner Frau auszugraben. Und nachdem er sieht, dass dieser aufgrund der langen Lagerung in zwei Meter Tiefe etwas gelitten hat, sich (notfalls mit Hilfe eines Anwalts der Kategorie „Ich war jung und brauchte das Geld“) auf die Gewährleistung berufen und einen neuen Sarg verlangt hätte.

14 Jahre zuvor

Sie will wohl in‘ Wald?! Ist auch schön. Fast so schön wie ein jahrzehntelang aufgegebener Friedhof…

Astrid
14 Jahre zuvor

Für seine Umwelt wäre ein früheres Ableben wohl noch besser gewesen…




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