Geschichten

Ich hau Dir gleich ein paar in die Fresse!

Ich trinke ja gerne Kaffee. Sehr gerne sogar. Um ehrlich zu sein…
(Nein, so sollte ich Sätze nicht beginnen, denn sie implizieren, daß ich sonst unehrlich sein könnte.
Also neuer Versuch: )

Um es genauer zu beschreiben: Ich trinke eigentlich ausschließlich Kaffee.

Werbung

Und wenn ich Kaffee sage, dann meine ich auch Kaffee. Mit einem warmen Cappuccino oder einem femininen Latte Macchiato braucht mir gar keiner anzukommen. Ich will Kaffee und zwar schwarz, heiß und bitter. Keine Milch, kein Zucker und bitte heiß, aber nicht vulkanös.
Der Untergang des Abendlandes ist für mich fast gleichzusetzen, mit dem Aufkommen von Kaffee mit Crema. Welcher Idiot hat da wem ins Hirn geschisssen und diese Mode eingeführt, daß auf Kaffee Schaum schwimmen muß?
Auf ein frisch gezapftes Pils gehört eine Schaumkrone, nicht aber auf Kaffee.

Ja, sagen so Kaffee-Laberheinis, der Schaum komme von den im Kaffee gelösten Fetten, die eine herrliche Crema bildeten. Jau, Fett!
Fett gehört in oder besser in der Form von Fettaugen auf Hühnerbrühe, aber nicht auf Kaffee.

Was ich mir noch als Alternative zu einer ganz gewöhnlichen fettaugenfreien Tasse Kaffee gefallen lasse, ist ein leckerer Espresso.
Ja, diese kleinen Tässchen mit heißem Kaffee enthalten Espresso. Espresso, nicht Expresso und auch keine Expressis, wenn man mehrere bestellt.

Auch ein griechischer Mokka mundet mir sehr. Bei ihm und beim Espresso macht mir auch eine gewisse Schaumschicht nichts aus, weil das eine ausländische Schaumschicht auf einem von einem Ausländer zubereiteten Kaffee ist, die dahin gehört.

So, fröhlich und gutgelaunt über Kaffee nachdenkend, sitze ich in einem Restaurant an einem Tischlein und schlürfe einen Espresso. Den habe ich mir noch so zum Abschluß bestellt, nachdem ich schon ein Kännchen Kaffee leergetrunken habe.
Nebenbei tippe ich ein Kapitel für ein Buch in mein Macbook, da schnoddert mich eine kellnernde Studentin von der Seite an: „Darf’s denn nochwas sein?“

Ich zeige auf den Espresso und sage: „Ich hab ja noch was.“

„Ja, ich meine danach, ob’s denn noch was sein darf?“

„Im Moment nicht“, sage ich und wende mich wieder meiner Tipperei zu. Im Augenwinkel sehe ich, wie die Kellnerin von der Tür vier wartende Rentner in Richtung meines Tisches schiebt: „Der wird gleich frei.“

Wie? Der wird gleich frei? Ich sitze da und ich habe das Tischlein, das wirklich winzig ist, voll belegt. Mein Handy, mein Laptop, mein Tablett mit dem Espresso…
Die Rentner, zwei Herren und zwei Damen, bauen sich um den Tisch herum auf und gucken nur vorwurfsvoll.

Ich brauche einen gewissen Freiraum um mich herum. Ich mag auch nicht mit wildfremden Leuten an einem winzigen Bistrotischlein sitzen, und vor allem will ich jetzt endlich dieses Kapitel fertigschreiben: „Hallo! Wären Sie so lieb und würden mir noch einen Espresso bringen?“ Die Kellnerin glotzt einen Moment lang, wie Ochse, der versehentlich gemolken werden soll, nickt und ruft: „Sofort, kommt gleich!“.

Die Rentner schauen sich erst gegenseitig erstaunt, dann wieder mich vorwurfsvoll an. Einer der Herren hüstelt, ich reagiere nicht darauf.
Um es einfügend zu erwähnen: Es handelt sich nicht um arme alte Senioren, die mühsam an Gehstöcken oder mit Rollatoren mit letzter Kraft, den Behindertenausweis schwenkend, den Weg zu meinem Tisch gefunden haben. Nein, sie haben alle Sportklamotten an, Trainingsanzüge mit Streifen und sie haben diese Krötenspieße, die man für Nordic Walking benutzt, neben der Eingangstür aufgestellt.
Die acht Spieße bilden dort ein gefährlich aussehendes Bündel, wie die Lanzen einer germanischen Horde.

„Sie, sitzen Sie da?“, fragt nun eine der Frauen.

Was für eine selten blöde Frage. Aber ich bin solche Fragen gewöhnt. Neulich war ich im Supermarkt und treffe Roland. Und was sagt dieser Roland zu mir: „Wie? Auch einkaufen?“
Und letzte Woche saß ich im Flugzeug nach Berlin. Neben mir sitzt eine junge Frau mit aufgespritzten Lippen und Brüsten, das Gesicht mit Schminke in eine unbewegliche Fratze verwandelt, und sie erzählt mir, sie sei eine YouTuberin, sehr erfolgreich… Und was fragt sie mich? „Fliegen Sie auch nach Berlin?“

Nein, ich gehe in Supermärkten nicht einkaufen, sondern ich lerne dort die Preise auswendig, um sie nachts in meinen Gebeten zu Gott Mammon einbinden zu können. Und nein, ich sitze nicht im Flug von Frankfurt nach Berlin, um nach Berlin zu fliegen, ich springe immer unterwegs ab, vorzugsweise über Braunschweig.

Und jetzt fragt mich diese Seniorin, ob ich da sitze.

„Nein, gnädige Frau, das sieht nur so aus, in Wirklichkeit stehe ich, ich bin einer von den sieben Zwergen, die anderen sechs sind gerade auf dem Klo.“

„Ach, da kommt noch jemand?“, fragt die andere Rentnerin.

„Nein“, sage ich gedehnt, „das war nur ein Spaß. Selbstverständlich sitze ich hier. Ich sitze hier und trinke einen Espresso.“

„Ach“, sagt der zweite Herr, der bisher noch gar nichts gesagt hatte, „das geht ja schnell, so’n Expresso geht ja express, express, express!“ Er lacht meckernd.

Ich deute auf einen schönen freien Tisch etwas weiter hinten im Café. „Dort ist doch noch Platz für Sie. Bitte haben Sie Verständnis, daß ich hier alleine sitzen möchte.“

„Wir sitzen aber immer hier“, sagen die beiden Frauen fast gleichzeitig.

„Jetzt aber nicht.“

Der erste Herr meint: „Dann warten wir eben, bis Sie fertig sind.“ Die anderen nicken zustimmend und die Viererbande zieht den Ring um mich etwas enger.
Die Kellnerin bringt mir den bestellten Espresso. Ich hebe die Tasse und einer der Rentner sagt: „Na also, geht doch!“ Der andere reibt sich die Hände und sagt zu den beiden Frauen: „Der geht gleich.“

Nein, der geht nicht gleich! „Ach, junge Frau, würden Sie mir noch ein Kännchen Kaffee bringen?“

Eine der Frauen meint: „Das macht der jetzt extra!“ und einer der Herren sagt: „Da hat er die Rechnung aber ohne mich gemacht. Ich war leitender Einkäufer in einer mittelständigen Folienfabrik, da braucht man Durchsetzungsvermögen. Jawoll, Durchsetzungsvermögen und Durchhaltevermögen! Mit dem werde ich fertig.“

Ich denke ‚Gleich hau ich Dir ein paar in die Fresse‘, sage aber nur „Hmmm…“

Gemurmel, zorniges Gemurmel. Aber das Gemurmel drückt eine gewisse Entschlossenheit aus. Es ist die Entschlossenheit, jetzt so lange um mich herum zu stehen und zu warten, bis ich endlich einknicke und den Lieblingsplatz am Fenster räume.

Es ist kurz nach 18 Uhr, das Café schließt um 21.30 Uhr.

14 Kännchen Kaffee und 8 Tassen Espresso später müssen wir alle gehen, weil das Café schließt. Immerhin habe ich vier Kapitel geschafft. Und die Rentner haben meinen Platz nicht bekommen.
Gut, ich kann seit 18 Tagen nicht schlafen, habe ein Pfeifgeräusch auf beiden Ohren und im Bauchnabel, halluziniere ständig den Arsch von Helene Fischer, aber irgendwie geht’s mir gut.

Bildquellen:


    Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

    Schlagwörter: , ,

    Geschichten

    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 12. Januar 2017

    Lesen Sie doch auch:


    Abonnieren
    Benachrichtige mich bei
    15 Kommentare
    Inline Feedbacks
    Alle Kommentare anzeigen
    turtle of doom
    7 Jahre zuvor

    Peter Wilhelm – ein Held unserer Zeit!

    Der Trotz ist eine wundersame Motivation.

    Brigitte
    7 Jahre zuvor

    Ich hatte heute einen Schei..tag. Aber nun, kurz vorm Schlafengehen, hab ich doch noch lachen müssen. 🙂
    Danke dafür und gute Nacht.

    robertd
    7 Jahre zuvor

    Ich trinke zwar selbst gar keinen Kaffee und mag Kaffehäuser (Cafés) u.a. wegen der winzigen Tischchen überhaupt nicht. So wie es aussieht wärst Du aber wohl der typische Gast für ein klassisches Wiener Kaffeehaus, wo es zum guten Ton gehört, mit einer Tasse Kaffee mehrere Stunden zu verbringen.

    7 Jahre zuvor

    Das hätte auch ein Sketch von Loriot sein können.

    7 Jahre zuvor

    Oweia – Kaffeevergiftung durch Rentnergang!

    Aber Peter: Wie hast Du 14 volle Kännchen Kaffee in 3,5 Stunden oral zu Dir nehmen können, ohne entweder das Mobiliar unter Wasser zu setzen oder den mühsam erkämpften Platz am Tisch zu verlieren resp. gegen den tauschen zu müssen, auf dem die 6 anderen Zwerge waren? 😀

    turtle of doom
    Reply to  DL2MCD
    7 Jahre zuvor

    @DL2MCD: Evtl. beschäftigt Peter einen Pisspagen mit einem güldenen Kännchen.

    Aber jetzt wo du es sagst wundert ich das auch… o.O

    Held in Ausbildung
    7 Jahre zuvor

    BRÜLLLL

    Christian
    7 Jahre zuvor

    Sehr gut!

    Erinnert mich an die ähnliche Story von Torsten Sträter (gegen Ende des Videos): https://www.youtube.com/watch?v=HCd_cZCJKTI

    7 Jahre zuvor

    Du musstest zwar auch leiden, aber wenigstens hat sich die Rentnertruppe die Zähne an dir ausgebissen 😉

    Josef
    7 Jahre zuvor

    Hast Du in Gedanken den Rentnern verschiedene Modelle zugeordnet?
    Köln oder Stuttgart? Gib es zu!!!!

    Iris
    7 Jahre zuvor

    In dem Sinne, viele Grüße aus Braunschweig! 🙂
    Und, ja, ich wohne hier. War aber im Urlaub, daher die verspätete Reaktion, nicht, dass hier noch fälschliche Rückschlüsse auf Braunschweiger erfolgen.

    Reni
    7 Jahre zuvor

    SUPER! Ich war viel zu lange nicht mehr auf Ihrem Blog…Gelobe dies nicht mehr geschehen zu lassen.

    Levia
    7 Jahre zuvor

    Klasse sowas!!! Die Geschichte hat mich zwar am Genuss meines Tees gehindert, aber ich werde gerne durch Lachen daran gehindert 🙂




    Rechtliches


    15
    0
    Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex