Menschen

Ich kann doch nichts dafür!

Wer ist eigentlich bestattungspflichtig? Da haben wir uns doch schon oft drüber unterhalten und die Leser des Bestatterweblogs können vermutlich unisono und wie aus der Pistole geschosen, die Bestattungspflichtigen herunterbeten: Ehegatte, Kinder….

Ja und es sind auch in erster Linie Ehegatten und die Kinder, die zum Bestatter kommen, um die Bestattung für jemanden zu bestellen.
Heute kommt Lukas zu uns, ein 19jähriger Junge, steht zitternd in der Halle und ist, passend zum Ambiente, leichenblass. Die fettigen Haare hängen in dünnen Strähnen ins Gesicht und er reibt sich nervös die Hände, als wolle er seine Finger verknoten. Ich begrüße ihn freundlich, schaue ihn fragend an und er sagt: „Ich wollt mich mal erkundigen…, ich meine, was so eine Beerdigung denn kostet.“

„Kommen Sie“, sage ich, trete etwas beiseite und lasse ihm den Vortritt in eines unserer Beratungszimmer. Dort sitzt er dann, ganz vorne auf der Kante des Stuhls, die Knie aneinandergepresst und ich sehe daß sein Kiefer nervös mahlt. Seine Augen irrlichtern nervös hin und her und es ist klar, daß er sehr angespannt ist.
Ich schreibe mir zunächst mal seinen Namen und seine Adresse auf, er wohnt noch bei seinen Eltern, das sagt er auch so, also können die es nicht sein, für die er eine Bestattung in Auftrag geben will.

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„Wer ist denn gestorben?“ will ich von ihm wissen und erwarte, daß er jetzt sagt, es sei vielleicht seine Oma oder sonst irgendwer aus seiner Verwandtschaft.

Der junge Mann hebt die Schultern und lässt sie langsam wieder sinken: „Keine Ahnung.“

„Wie? Keine Ahnung?“

Langsam und stockend beginnt Lukas zu erzählen.
Am gestrigen Abend ist er mit dem Wagen seines Vaters unterwegs gewesen. Den Führerschein hat er noch nicht lange und darf das Auto nur während der Woche mal gelegentlich haben, nicht aber von Freitag bis Sonntag, denn sein Vater will nicht, daß er zu den Wochenendrasern gehört.
Auf der Schwieberdinger Allee darf man 70 fahren, es ist eine sehr breite Straße zwei Fahrspuren in jeder Richtung und in der Mitte ein breiter Grünstreifen mit doppelten Straßenbahngleisen.
„Ich hatte an einer der Ampeln gehalten, Sie kennen die vielleicht, direkt die an der ESSO-Tankstelle. Als die dann auf Grün umsprang, bin ich losgefahren und hatte gerade vielleicht 40 auf dem Tacho, da springen mir zwei Jogger vors Auto, direkt vor die Haube, ich hatte keine Chance noch irgendwas zu machen…“
Der junge Mann bricht weinend zusammen, kippt vom Stuhl, liegt zitternd und schluchzend auf dem Boden und ich rufe meine Frau zur Hilfe.
Zu zweit versuchen wir ihn zu beruhigen, meine Frau will am liebsten einen Arzt rufen, aber ich bin davon überzeugt, daß wir das auch so in den Griff kriegen.
Gemeinsam schaffen wir es, den Jungen wieder auf den Stuhl zu setzen, meine Frau flößt ihm etwas Wasser ein und ganz allmählich beruhigt er sich auch wieder.
Es dauert eine gute halbe Stunde, bis er sich wieder soweit gefangen hat, daß er weitererzählen kann.

Zwei Jogger sind es gewesen, zwei junge Frauen. Beide dunkel gekleidet und beide haben die nahegelegene Unterführung unter der Schwieberdinger Allee hindurch nicht benutzt, auch nicht den 100 Meter weiter entfernt liegenden Fußgängerüberweg. Eine der jungen Frauen war sofort tot, die andere wurde nur leicht verletzt.

Und jetzt sitzt dieser 19jährige Lukas vor mir, zittert und ist fix und fertig. „Das hab ich doch nicht gewollt, die tut mir so leid, ich will jetzt die Beerdigung für die bezahlen…“

Ich weiß von dem Fall, heute Morgen stand schon alles in der Zeitung; Lukas trifft keine Schuld, es gibt Zeugen, alles ist klar; und dennoch will der junge Mann die Beerdigung bezahlen…, für eine Frau, deren Namen er nicht einmal kennt.

Meine Frau hat inzwischen Lukas Eltern angerufen, allein können wir ihn nicht wieder gehen lassen…

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(©si)