Geschichten

Julia

Wenn Leute zu uns kommen, dann versuche ich immer abzuschätzen, was die wohl bei uns wollen. Eine Vorsorge? Nur was fragen? Einen Sterbefall anmelden? Was verkaufen? Sich bewerben?
Am häufigsten kommen Leute wegen eines Sterbefalls, dann kommen in der Rangliste die, die nur was fragen wollen, dann ganz viele, die sich bewerben oder was verkaufen möchten und dann erst die, die eine Vorsorge abschließen möchten.

Die junge Frau sieht etwas hilflos aus, sie ist nicht sehr groß, ziemlich schlank und etwas buntscheckig angezogen. „Müsli!“ schießt es mir durch den Kopf, bei der Kleidung passt farblich gar nichts zusammen, ein hellblauer bodenlanger Wickelrock, eine orangefarbene Weste über einem gelben T-Shirt und um den Hals ein lila-pink-farbenes Palästinensertuch. Die weißen Flipflops mit den aufgesetzten Plastiksonnenblumen passen eher zum schönen Wetter draußen als die Norwegerwollmütze mit zwei Obelix-Zotteln an den Seiten, die sie auf dem Kopf trägt.

In unserer großen Halle wirkt die Frau etwas verloren und schaut sich suchend um. Na, ich bin ja wohl nicht zu übersehen, oder? „Hallo“, sage ich, „kann ich etwas für Sie tun?“ und beginne mich sofort zu fragen, was die junge Frau wohl von uns will.

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Na, sie wird was fragen oder sich bewerben wollen, vielleicht will sie aber auch aus ihrer umgehängten Stricktasche selbstgebastelte, atomstromfreie Stopfeier aus tibetanischer Lamaspucke verkaufen, es lebe das Vorurteil!

„Sind Sie der Bestatter?“ fragt sie mich mit kieksender Mädchenstimme und ich nicke.

„Och“, sagt sie, „einen Bestatter hatte ich mir ganz anders vorgestellt.“

Ich bin schon im Wochenend-Freizeitmodus und frage schmunzelnd: „Wie denn?“

Sie schaut von oben bis unten an mir herunter, wechselt von einem Fuß auf den anderen und macht eine etwas ungelenke Handbewegung: „Jedenfalls nicht mit Cowboystiefeln und Jeans.“

„Wenn ich Beerdigungen mache, ziehe ich mir manchmal sogar was Ordentliches an.“

„Nee, is schon okay, ich find’s ja cool.“

„Na dann, und um was geht es? Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich wollt mich mal erkundigen wegen einer Versorgung, also so einer Verfügung, daß im Todesfall alles automatisch geht.“

„Sie meinen eine Vorsorge“, sage ich und frage: „Für wen wollen Sie die denn abschließen, ein Elternteil?“

„Nein, für mich, ich muß in drei Monaten sterben.“

Schlagartig bleibt mir im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg, mein Mund fühlt sich an, als habe ich wochenlang nur Salz gegessen und nichts zu trinken bekommen, wie Pergament.
Ich hatte eben noch ein Lächeln auf den Lippen und merke, daß mir dieses im Gesicht erst einfriert und dann erstirbt und ich fühle, daß ich blass werde, mir läuft es kalt den Rücken runter.
Alte Leute sollen sterben, alte!

„Kommen Sie“, sage ich und ertappe mich dabei, wie ich meine Hand auf den Rücken der jungen Frau lege, die ich um zwei Köpfe überrage, mein Beschützerinstinkt ist geweckt und ich drehe sie mit mir und führe sie in eines der Beratungszimmer. Ich nehme das mit den grünen Ledersesseln und dem Kamin. Der ist zwar nur eine Attrappe, aber er sieht toll aus, das Zimmer hat was Englisches.

Julia heißt sie, ist gerade einmal 22 Jahre alt, mutterseelenallein und hat einen Tumor im Kopf und Metastasen im ganzen Körper. Die Norwegermütze bedeckt ihren kahlen Kopf, Julia hat alles im Programm, Bestrahlungen, Chemotherapie, alternatives Pendeln… Nichts hat geholfen, nichts wird helfen, alles was ihr bleibt ist die Hoffnung, daß es am Ende mehr als noch drei Monate sein werden und daß es möglichst schmerzlos und schnell zu Ende geht.

Da sitze ich, schaue ihr in ihre riesengroßen, blauen Kulleraugen, sehe wie ihre Nasenspitze bei manchen Wörtern leicht auf und ab wackelt und höre auf ihre kieksende Mädchenstimme, mein Gott, die könnte meine Tochter sein! Julia hat keinen langen Leidensweg hinter sich, erst im Herbst letzten Jahres ist sie wegen eines ‚Knubbels‘ nahe der Wirbelsäule und anhaltenden Rückenschmerzen zum Arzt gegangen. Schnell stand die Diagnose fest und kurz vor Weihnachten rief sie im Krankenhaus dann ein indischer Arzt in die Kaffeeküche des Pflegepersonals, um ihr zwischen Thermoskannen und weißen Resopalschränken die Prognose mitzuteilen.

„Ich hätte nie gedacht, daß mir mal ein Dr. Mahander Singh eine Todesbotschaft überbringt, wenn’s wenigstens George Clooney gewesen wäre oder Dr. House…“

Mir entlockt das ein trockenes und gequältes, spontanes Lachen, sie schaut mich aus ihren großen Augen an und lacht laut. „Ist doch alles nicht zu ändern“, sagt sie und mir fällt als Antwort nur ein Wort ein: „Scheiße.“

„Ja, Scheiße“, stimmt sie mir zu und mir fällt im Moment gar nichts ein, das kommt selten vor.

Sie habe Angst vor dem Gespräch mit mir, sagt sie und erklärt mir, daß sich der Tod in ihren Vorstellungen im Krankenhaus abspielt und sie an das Danach gar nicht gedacht habe: „Aber man muß ja irgendwie unter die Erde und da ich niemanden habe, will ich auch das jetzt regeln.“

„Ich will aber keine jungen Frauen beerdigen“, sage ich, Julia hebt die Schultern und läßt sie wieder fallen: „Das werden Sie aber müssen, oder meinen Sie mir macht das Spaß?“

Dann lacht sie laut, ist fröhlich und will schnell und sofort alles sehen was wir haben.
Am Ende hat sie sich einen ganz konservativen, dunkelbraunen Sarg mit Palmenschnitzung ausgesucht und eine dunkelblaue Stahlblechurne. „Ich will auf den Rosenhügel“, sagt sie und zum wiederholten Male muß ich einem Kunden erklären, daß es auf unserem Friedhof nur eine Urnenwiese, aber keinen Rosenhügel gibt. Sie nickt es ab: „Ist doch egal, Hauptsache da ist kein Grab, das gepflegt werden müßte.“

Sie hat niemanden, weil ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, als Julia erst drei Jahre alt war. Kinderheim, Pflegeeltern, wieder Kinderheim, noch zwei Pflegefamilien, mit 16 dann betreutes Wohnen, dann eine unglückliche Beziehung zu einem Hals-Nase-Ohren-Arzt, eigene Wohnung und eine späte Berufsausbildung. „Jetzt habe ich alles unter Dach und Fach, jetzt läuft mal endlich alles wie ich es mir vorstelle und jetzt muß ich sterben.“

Scheiße! Ich will nur alte Leute beerdigen, ganz alte.

© 2009

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