Geschichten

König Friedrich 2

Ein alter Mann sitzt auf einem Thron

In Paris ist Friedrich nie angekommen. Der Zug fuhr nämlich nach Brüssel, dort schenkte Friedrich die mittlerweile ziemlich ramponierte Apfeltorte einer Blumenfrau und nahm sich ein Taxi zurück nach Süddeutschland.

Danach legte er sich drei Tage ins Bett, so sehr hatte ihn die Reise mitgenommen.
Mittwochs drauf hatte Friedrich zwei ältere Damen zu Gast, denen er Französisch beizubringen versuchte. Sie kamen jede Woche.

Während der Französischstunde fing er plötzlich an, auf Tschechisch zu reden und zog sein Hemd aus. Mit heruntergelassenen Hosenträgern stand er auf dem Wohnzimmertisch, als der eilends herbeigerufene Rettungswagen eintraf.
Schlaganfall diagnostizierte man im Krankenhaus und unterzog Friedrich einer blutverdünnenden Therapie.

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Tatsächlich hatte Friedrich aber eine Hyponatriämie. Ganz vereinfacht gesagt, ist das ein eklatanter Salzmangel. Ausgelöst hatte Friedrich das selbst. Gegen seine ständigen Durchfälle, die seinem Körper ohnehin schon viele Elektrolyte entzogen hatten, hatte er auch noch eine selbst erfundene Wasserkur durchlaufen, bei der man eimerweise Wasser trinken musste. Wasservergiftung nennt man das landläufig, wenn man so viel Wasser trinkt, dass das zum Ausschwemmen auch lebensnotwendiger Mineralien führt. Und das wiederum bedingt Verwirrtheit, ein schwankendes Gangbild und sonst noch so einiges, was ein Laie auch mal für einen Schlaganfall halten könnte.

Weshalb das im Krankenhaus nicht erkannt wurde, blieb schleierhaft. Jedenfalls führte dort eins zum anderen. In diesem Fall führten die blutverdünnenden Maßnahmen zu Gehirnbluten. Das machte den alten Mann noch mehr verrückt, sodaß er eines Nachts zwei Flaschen Desinfektionsmittel ausgetrunken hat.

Sechs Wochen dauerte es, bis Friedrich sich halbwegs wieder erholt hatte. Als er wieder nach Hause kam, begann die Zeit, in der sich neben seinen Hausangestellten auch noch die polnischen Pflegekräfte um ihn kümmerten; davon erzählte ich ja ansatzweise schon.

Viele dieser Pflegekräfte haben nur einen kurzen Lehrgang absolviert und verdingen sich dann bei einer Agentur, die solche Leute an Familien vermitteln, die eine pflegebedürftige Person haben.
Hier gibt es ganz tolle Vermittlungsfirmen, aber leider auch die bekannten schwarzen Schafe.

Da sehen die Arbeitsbedingungen der armen Polinnen miserabel aus. 24-Stunden-Dienste, so gut wie keine freien Tage und eine teilweise schlimme Behandlung durch die zu Pflegenden oder deren Familien.
Die scheinbar gute Bezahlung ist bei näherer Betrachtung ein Hungerlohn. Von dem hohen Betrag, der zu entrichten ist, geht ein großer Teil an die Vermittlungsagentur und den Rest muss man ja auf die vielen Arbeitsstunden umrechnen.
Das bedeutet, dass manche Pflegekraft kaum 3 Euro pro Stunde erhält.

Edytha eine Lehrerin aus Polen war für Friedrich gekommen und bezog das extra für sie hergerichtete Schlafzimmer. Friedrich hatte ein Pflegebett im Wohnzimmer bekommen.
Alle aus seinem Umfeld, allen voran ich, waren froh, dass es nun jemanden gab, der sich um ihn kümmerte. Es schien auch alles gut zu laufen. Edytha kochte für ihn, half ihm beim Essen, wusch und bügelte für ihn und achtete darauf, dass er seine Medikamente regelmäßig nahm. Außerdem kaufte sie ein und übernahm alle möglichen Besorgungen.

Bis….

…bis Edytha eines Tages mitten in der Nacht tränenüberströmt vor meiner Haustür stand.

Was sie berichtete, trieb mir die Schamesröte ins Gesicht, schließlich hatte ich dafür gesorgt, dass Friedrich eine polnische Kraft bekam.

Der Alte hatte die junge Frau nicht als Pflegekraft betrachtet, sondern als persönliche Sklavin. Er schrie sie von morgens bis abends an und sparte dabei nicht mit derben polnischen Beleidigungen. Wenn er sie nicht „benötigte“, hatte er sie in ihrem Zimmer eingesperrt. Ja, er hatte sich im Internet sogar einen „Jammer“ bestellt, mit dem er Handysignale stören konnte, um zu verhindern, dass sie ihr Smartphone benutzen konnte.

Wenn niemand sonst da war, konnte Friedrich auch wunderbar in der Wohnung herumlaufen und Edytha das Leben schwer machen. Überall in der Wohnung, auch auf dem Balkon, hatte er Urinflaschen aufgehängt, damit er sich jederzeit erleichtern konnte, ohne die fünf Meter zur Toilette laufen zu müssen. Während er seine Mahlzeiten aß, musste die Frau neben ihm strammstehen. Schmeckte ihm das Essen nicht, warf er den vollen Teller gegen die Wand und zwang Edytha dann, die Sauerei mit einer Zahnbürste sauberzumachen.
Vor allem aber wollte er jeden Tag geduscht werden und verlangte von der jungen Katholikin, dass sie ihm das Genital besonders gründlich einschäumte. Das verweigerte die Frau, woraufhin er begann, sie zu schlagen und zu treten.

Als er dann auch noch eines Nachts versuchte, in ihr Schlafzimmer einzudringen, ist sie durchs Fenster abgehauen und auf ihrem „Dienstfahrrad“ 20 Kilometer bis zu meinem Haus gefahren.
Sechs Wochen hat die polnische Lehrerin bei uns gewohnt, bis es eine Tour zurück in die Heimat gab.

Alle in Friedrichs Umfeld waren erschüttert über seine Wesensveränderung. Wir waren uns nicht im Klaren darüber, ob er sich nun plötzlich noch mehr zum Negativen verändert hatte, oder aber ob er jetzt aufgrund seiner vielen Erkrankungen einfach nicht mehr in der Lage war, die Maskerade aufrechtzuerhalten.

Auf jeden Fall wollte keine Pflegeagentur mehr eine Pflegekraft zu Friedrich schicken. Zumindest keine, die polnische Frauen vermittelte. Das hatte den Mann bisher rund 1.800 Euro im Monat gekostet. Und das wollte Friedrich nicht einsehen.

Genau zu dieser Zeit trat Harry auf die Bühne. Harry Zimmermann war ein Versicherungsmakler, Immobilienverwalter und Vermögensberater, der gemeinhin als „Windhund“ verschrien war. Er führte ein luxuriöses Leben zwischen Penthouse-Wohnung, Porsche und teuren Restaurants. Alle paar Tage wurde er von seiner 12-jährigen Tochter begleitet, die er nach der Scheidung zu 50 % mitbetreute. Harry, ein schlanker, mittelgroßer Mann ohne Körperfarbe, rothaarig, blassäugig und immer mit einem Zahnstocher im Mundwinkel. Die kleine Tochter: Ein schruppiges Kind von der Schönheit eines Lübecker Marzipanschweinchens mit Pipi-Langstrumpf-Zöpfchen.

Harry bot Friedrich an, sich um alles zu kümmern. „Mach Dir keine Gedanken, ich krieg das alles hin für Dich. Ich besorg‘ Dir eine Pflegekraft. Die anderen sind doch alle doof und unfähig. Du musst aufpassen, die haben es alle nur auf Dein Geld abgesehen.“

Während Harry an Friedrichs PC die Finanzen ordnete, durfte das Marzipan-Schweinchen ein bißchen auf dem Schoß vom alten Opa sitzen und dem das Kinn streicheln.

Zu diesem Zeitpunkt verfügte Friedrich über ein immer noch sehr eindrucksvolles Vermögen. Ich selbst hatte Kontoauszüge gesehen, die ihm knapp 100.000 Euro Zinserträge für das vergangene Jahr bescheinigten. Da muss man schon ganz schön was auf der hohen Kante haben, damit es 100.000 Euro Zinsen gibt.

Nun ja, Friedrich hatte immer gut verdient und ordentlich was weggelegt. Sein Hauptvermögen, das hatte er mir mal erzählt, hatte er durch einen geschickten Aktienkauf gemacht. Sein damaliger Arbeitgeber, ein internationaler Konzern, wurde verkauft. Das war mit großen Umstrukturierungen, der Abspaltung ganzer Konzernsparten und Massenentlassungen verbunden. Das brachte die Aktien dieses Unternehmens ins Rutschen. Da Friedrich genau wusste, wie es mit dem Unternehmen weitergehen würde, schlug er zu und steckte fast sein gesamtes Erspartes in diese Aktien, als sie niedriger denn je gehandelt wurden. Nach dem Konzernumbau schossen die Kurse in die Höhe, nur für 4 bis 6 Wochen, aber das reichte Friedrich, um alles abzustoßen und sensationelle Gewinne mitzunehmen.

Und jetzt im Alter sitzt ein über 80-jähriger renitenter und bösartiger Mann, der nur noch begrenzt zu vernünftigen Entscheidungen in der Lage ist, auf diesem Vermögen.

Harry, der Windhund, verstand es, Friedrich um den Finger zu wickeln. Tatsächlich stellte ihm Friedrich eine Generalvollmacht für alle Belange aus, gültig über den Tod hinaus.

Zu allererst besorgte ihm Harry einen Pflegedienst. Einen deutschen Pflegedienst. Und, wer sich nur ein bißchen auskennt, der weiß, dass eine 24-Stunden-Betreuung gemäß deutscher Leitlinien, ausgeführt von examinierten Pflegekräften, ergänzt um Hilfe bei der Haushaltsführung, Reinigungsarbeiten und Einkäufe, sowie Zubereitung der Mahlzeiten bei einem deutschen Pflegedienst nicht für 1.800 Euro im Monat zu bekommen ist.

Nein, das Pflegeunternehmen rechnete jeden Monat 12.000 Euro ab.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#ausgebeutet #Friedrich

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