Geschichten

Köln -III-

Ich treffe Frau Thorwesten am nächsten Tag auf dem Friedhof wieder. Sie hat sich aus irgendeinem Grund besonnen und sich nun doch für ein Doppelgrab entschieden.
„Aber Sie wollten doch nicht zu Ihrem Clemens ins Grab“, gebe ich zu bedenken, doch sie sagt:
„Wollte ich ja ursprünglich auch nicht. Ich wollte für meinen Clemens das Geld für die Grabpflege beim Gärtner in der Genossenschaft anlegen und die Pflege von meinem Grab will ja später die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif vom Mütterkreis übernehmen – so eine liebe Frau!“

„Und jetzt?“ frage ich.

„Jetzt? Jetzt macht das die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif von Anfang an. Ich gebe ihr das ganze Geld für dem Clemens sein Grab und für mein Grab, die verwaltet das dann und sorgt sich um die Grabpflege; ich selbst kann das ja doch nicht mehr so, ich hab‘ ja dicke Füße. Das kommt vom Stehen im Geschäft, ich war ja Verkäuferin bei Popelmann & Roths, die machen Brillen.“

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„Ach, im Optikbereich?“

„Nein, Großhandel für Klobrillen, aus Edelstahl, für Züge, Bahnhöfe und Raststätten.“

Ich nicke etwas belämmert und stelle mir vor, wie Frau Thorwesten 40 Jahre lang Edelstahlklobrillen verkauft hat, da zerschneidet die unangenehmste Stimme seit der Erfindung der sirenengedämpften Stahlblattkreissäge die Luft hinter mir:

„Frahau Thohorwehesten! Huhuuuuuu! Kuckuck! Frahauuu Thohorwehesten! Kuckuck! Ich bin’s, die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif!“

Die Müttervorsitzende würdigt mich keines Blickes, als sie über den kiesbedeckten Weg auf die Bank zusteuert, auf der Frau Thorwesten und ich sitzen. Ihr fast bodenlanger, grüner Lodenumhang weht hinter ihr her, wie das Cape von Supermans fetter Schwester.

„Gucken Sie mal, was ich hier habe!“ kräht die Birnbaumer und ich sehe, daß sie in der linken Hand ein kleines Schnapsgläschen aus Plastik hält und in der rechten eine kleine Flasche mit gelbem Etikett.

„Hier sind Ihre Rescue-Tropfen, meine Liebe, sonst stehen Sie mir das hier doch nicht durch.“

Und kaum hat sie das gesagt, hat sie auch schon einige Tropfen aus dem Fläschchen in das Gläschen geträufelt und der widerspruchslos den Mund aufsperrenden Frau Thorwesten eingeflößt.

„Gell, nicht wahr, das tut gut?“

Frau Thorwesten schluckt und nickt.

„Was geben Sie denn der armen Frau da?“ will ich von der Dicken wissen und die hält mir nur das Fläschchen hin, damit ich das Etikett lesen kann: „Rescue Trofpen, Bachblüten Notfallmedizin“

„Aha“, mache ich nur, verdrehe meine Augen und schüttele den Kopf. Ich meine, man sagt ja, wer heilt, der habe Recht; aber auf der anderen Seite sagt man ja auch, daß Einbildung auch eine Bildung sei.

„Sie brauchen gar nicht so zu tun“, pfeift mich die Birnbaumer gereizt an: „Diese Tropfen gehören in jeder Handtasche, in jedes Handschuhfach und in jede Manteltasche. Ich gehe niemals ohne Rescue-Tropfen aus dem Haus. Unser Kater Quasimodo bekommt morgens und abends davon und sein Fell ist so was von glänzend. Auch mein Mann kriegt die Tropfen, der ist seitdem ruhiger, führiger und läßt sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen.“

„Mir ist das egal, ob sie ihrem Mann Quasimodo diese Tropfen geben, aber verschonen Sie mich mit dem esoterischen Quatsch“, gebe ich zurück. Doch die Birnbaumer hat sich in Rage geredet:

„Ja, so sind sie, die angeblich aufgeklärten Menschen, sie wollen einfach nichts wahrhaben von den Mächten der Natur. Wenn ich beispielsweise Blumen umtopfe, dann gebe ich schon vor dem Umtopfen einige Rescue-Tropfen in das Gießwasser und gieße die Blumen damit. Danach kann das Umtopfen in die neue und ungewohnte Erde ganz ohne Stress erfolgen. Die Pflanzen wurzeln besser, zeigen ein satteres Grün und blühen auch viel schöner.“

„Also, ich spür‘ ja eigentlich nichts“, meldet sich etwas kleinlaut Frau Thorwesten zu Wort, doch Frau Birnbaumer-Nüsselschweif schneidet ihr das Wort ab:

„Doch! Sie spüren schon was, Sie merken das bloß noch nicht!“

„Ach was?“

„Doch!“

„Na, wenn Sie das sagen. Ich vertraue Ihnen, Sie sind so gut zu mir“, sagt die alte Dame und fragt dann:

„Suchen wir jetzt das Grab aus?“

„Ach, jetzt wo Frau Thorwesten das mit dem Grab anspricht“, mische ich mich ein, „wie ist das denn mit dem Geld für die Grabpflege? Das sollen Sie bekommen, Frau Birnbaumer-Nüsselschweif?“

Man merkt, daß ihr das Thema unangenehm ist und sie wirft Frau Thorwesten einen vorwurfsvollen Blick zu. Mit ganz spitzem Mund sagt die Birnbaumer:

„Joho, wieso? Was dagegen?“

„Nö, überhaupt nicht, aber besser wäre es, wenn wir mal eben doch zur Gärtnergenossenschaft gehen. Da ist das Geld sicher angelegt, es gibt ein paar Prozentchen Zinsen und es kann mit dem Geld nichts passieren.“

„Was wollen Sie denn damit sagen?“

„Nix.“

„Dann ist ja gut. Dann können wir es aber auch so lassen, wie Frau Thorwesten es wollte, daß ich mich nämlich um die Grabpflege kümmere, aus christlicher Nächstenliebe und als Vorsitzende des kirchlichen Mütterkreises. Das hat auch alles seine Ordnung.“

Ich wende mich Frau Thorwesten zu und sage:

„Wir könnten doch eben beim Gärtner Langenbürger vorbeigehen und dort einen Grabpflegevertrag machen. Den kann man auch so machen, daß die ersten Jahre die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif das Grab von Ihrem Clemens ganz selbstlos und mit christlicher Mütter- und Nächstenliebe pflegt, Sie können dann immer schön gucken, ob sie das auch fein macht und wenn Sie dann mal sterben, dann übernimmt das der Gärtner aus dem hinterlegten Guthaben.“

Die Birnbaumer stampft mit dem Birkenstockfuß auf und schnaubt. Doch bevor sie was sagen kann, hat Frau Thorwesten genickt und ich hake sie schnell unter und ziehe sie in Richtung der Gärtnerei vor den Toren des Friedhofs.

Frau Birnbaumer-Nüsselschweif gibt aber nicht auf: „Frau Thorwesten, Sie machen einen Fehler, einen sehr großen Fehler sogar! Wer weiß denn, ob dieser Gärtner zum Gießen dann auch wirklich belebtes Wasser nimmt?“

Ich winke ihr über die Schulter zu und drehe mich gar nicht um, höre aber, daß die Birnbaumer hinter uns her stampft und schnaubt. Wenn die aufholt, werfe ich mir Frau Thorwesten über die Schulter und fang‘ an zu rennen, nehme ich mir vor.

„Frahau Thohorwehesten! Hören Sie mich? Denken Sie an das levitierte Wasser, daß muß belebt werden vor dem Gießen!“

Ich bleibe stehen, drehe mich um und beinahe wäre die Dicke mit den großen Hupen auf mich aufgelaufen.
„Jetzt halten Sie aber mal den Mund, mit Ihrem Esoterik-Quatsch!“ herrsche ich sie an.

Frau Thorwesten sagt mit dünnem Stimmchen: „Aber eigentlich hatte mich Frau Birnbaumer-Nüsselschweif davon überzeugt. Sie war so lieb, mir einen Prospekt von dieser Schweizer Firma mitzubringen. Nächsten Monat, wenn meine Rente wieder kommt, soll doch dieser Wasserbeleber bei mir im Keller angebracht werden, damit ich immer belebtes Wasser zum Gießen habe.“

„Alles nur Esoterik!“ schimpfe ich und Frau Thorwesten macht große Augen. An Frau Birnbaumer gewandt, fragt sie:

„Stimmt das? Ist das alles nur Esoterik?“

Die Birnbaumer schnaubt wieder, scharrt mit dem linken Fuß im Kies und sagt:

„Das ist schon Esoterik, aber…“

Frau Thorwesten schneidet ihr nun das Wort ab:

„Na, hören Sie mal, Frau Birnbaumer-Nüsselschweif! Jetzt wo mein Mann tot ist, kommen Sie mir mit Esoterik? So ein Schweinkram! Das kommt mir nicht ins Haus. Und damit Sie es genau wissen, mein Mann hatte seit zwölf Jahren Prostata, da war sowieso nichts mehr mit Esoterik. Bei uns nicht!“

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