Geschichten

Koma -7-

Dr. Winter saß mit seinen Kolleginnen und Kollegen über den Patientenunterlagen von Klaus. „Wir haben schon Flumanezil verabreicht, aber das ist jetzt auch schon fünf Tage her, daß wir das Midazolam abgesetzt haben. Er wacht nicht auf.“

Während das Ärzteteam über Klaus‘ Schicksal beriet, streichelte eine Nonne über Saskias runden Schwangerschaftsbauch. Dazu sang sie leise ein altes Wiegenlied.
Saskia wurde von Maschinen unterstützt, die ihre Atmung kontrollierten und ihr die wichtigsten Nährstoffe zuführten.
Mehrmals täglich kamen die Krankenschwestern in Saskias Zimmer und versorgten die im Koma liegende Frau. Dabei investierten sie so viel Zeit wie nötig, aber eben auch keine Minute mehr. Der Zeitplan auf der Station war eng gesteckt und wenn sich da eine der Krankenschwestern mal fünf Minuten mehr für Saskia Zeit nahm, fehlte ihr das entweder bei anderen Patienten oder an ihren Pausen.

Immer wenn die Krankenschwestern nicht bei Saskia waren, kümmerte sich die alte Nonne liebevoll um die Schwangere.
Sie drehte sie mal auf die eine Seite, mal auf die andere, massierte den geweiteten Bauch der Patientin, streichelte ihre Hände und tupfte ihr an heißen Tagen die Stirn ab.

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„Ich kann es mir nicht erklären“, sagte Dr. Winter eines Tages: „Die Frau wird nicht mehr aus dem Koma erwachen, wir könnten sie für gehirntot erklären lassen, aber solange das Baby in ihr wächst und gedeiht, machen wir das nicht.“

„Was ist mit Abortus?“, erkundigte sich eine junge Ärztin und erntete einen strengen Blick dafür.

„Das würde ich befürworten, wenn zu befürchten stünde, daß mit dem Kind nicht alles in Ordnung ist, aber nach allem was wir wissen, geht es dem Baby prächtig. Außerdem möchte ich keine Schlagzeilen, die die Begriffe ‚tote Mutter‘ und ‚Neugeborenes‘ gleichzeitig beinhalten. Komapatientin bekommt Kind, das klingt schon aufreißerisch genug“, erklärte Dr. Winter.

Ein Arzt mit eindeutig indischen Wurzeln fragte: „Dann wird das Kind auf die Welt kommen und beide Eltern liegen im Koma?“

„So ist es“, bestätigte Dr. Winter. „Aber der Mutter geht es gut, soweit man das unter diesen Umständen sagen darf. Sie macht den Eindruck einer Schwangeren, um die man sich in besonderer Weise kümmert. Wir stehen das jetzt durch.“

„Wann wäre der Zeitpunkt für die Geburt?“ fragte der Inder nach.

Dr. Winter blätterte in den Unterlagen: „Also, zum Zeitpunkt der Subarachnoidalblutung war die Frau in der 14. Woche, das sind 98 Tage. 130 Tage liegt die Frau schon im Koma, ich würde sagen, daß wir so in vier Wochen darüber nachdenken sollten, wenn es vorher keine Komplikationen gibt. Das ist schon eine schlimme Sache, beide Elternteile liegen im Tiefschlaf. Die Frau im Koma, nach erfolgtem Clipping und Hirndruckbekämpfung durch Gabe von Glucocorticoide. Der Mann nach Polytrauma infolge eines Verkehrsunfalls. Amputation über dem Knie linksseitig und unter dem Knie rechtsseitig. Er könnte jederzeit wieder aufwachen, bei ihr sieht es schlechter aus, weite Teile des Gehirns sind in Mitleidenschaft gezogen.“

Die Mediziner diskutierten noch eine Weile die beiden Fälle und schließlich sagte Dr. Winter: „Wir müssen Geduld haben, einfach nur Geduld. Es ist noch zu früh.“

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