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Können wir uns mal was Wichtigem zuwenden?

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Es ist schon ein paar Jahre her, daß Manni sich bei mir vorgestellt hat. Er saß mir gegenüber, roch nach billiger Seife und einem Rasierwasser, das sein Dasein besser als Klostein gefristet hätte. Manni damals Ende 20, bewarb sich um eine Stelle als Fahrer und konnte eine abgeschlossene Ausbildung als Schlosser nachweisen.

Die Tatsache, daß er die Lehre erst jüngst abgeschlossen hatte, machte mich schon stutzig, doch Manni kam schnell zur Sache:

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„Sie werden es gleich sowieso sehen, ich war vier Jahre im Knast.“

Dann lehnte er sich zurück und ich sah seinem Gesicht an, daß er das immer sagt und daß er eigentlich nur darauf wartete, daß ich seine Mappe zuklappe und ihn wieder wegschicke. Aber warum? In einem Land wie unserem steht jeder immer mit einem Bein im Gefängnis. Es gibt so viele Gesetze und Fallstricke und es kann jedem passieren, daß er nur aus Fahrlässigkeit, einem kurzen Moment der Unachtsamkeit mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Ich fragte ihn, was er denn angestellt hatte und es verschlägt mir heute noch die Sprache, wenn ich an Mannis Schilderung zurückdenke. Wenn ich mich recht erinnere, ist es so gewesen, daß Manni eines Abends in seiner Stammkneipe saß, um einen zu heben.
Am anderen Ende der Theke ist es unter Ausländern zum Streit gekommen und irgendwann hat der Wirt die Streithähne aus dem Lokal geworfen. Die haben dann zwar noch eine Weile vor dem Lokal herumgeschrien, aber noch bevor der Gastwirt die Polizei rufen konnte, war dann doch Ruhe eingekehrt und die Kerle hatten sich getrollt.

Manni hatte genug, seine Zunge war schon schwer und die Knie etwas weich. Einmal noch aufs Klo, „ne Stange Wasser in die Ecke stellen“, dann den Deckel bezahlen und ab nach Hause „in die Falle“.

Es hätte ein Abend wie viele andere werden können, wäre Manni nicht draußen über einen der Streithähne gestolpert. Die raus geworfenen Typen scheinen sich doch „noch ein paar aufs Maul gekloppt“ zu haben und einem „ist das wohl nicht gut bekommen, der war ziemlich mitgenommen“.
Manni ist einfach nach Hause gegangen und hat sich nicht weiter um den Mann gekümmert und das sollte ihm schon am nächsten Tag zum Verhängnis werden. Der Mann war nämlich nicht nur „ziemlich mitgenommen“, den hatte der Sensenmann sogar mitgenommen, denn der Mann war tot.
Ein Fall der damals die Stadt in der Manni lebte, ziemlich erschütterte und der auch recht schnell aufgeklärt werden konnte. Die Täter wurden rasch gefasst; sie hatten dem Mann einfach ein Messer in die Seite gestoßen, ein Umstand, den Manni nicht bemerkt hat, aber -wie der Staatsanwalt später ausführte- hätte bemerken können, ja, hätte bemerken müssen. Die Untersuchungen haben ergeben, daß der Getötete zu dem Zeitpunkt, als Manni ihn gesehen haben muß, noch gelebt haben dürfte und hätte Manni richtig reagiert, würde der Mann vermutlich noch leben. Wäre Manni richtig besoffen gewesen, wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen, aber so hielt man ihm vor, daß durch sein Nichtstun ein Mensch ums Leben gekommen ist.
Ich weiß gar nicht mehr, zu welcher Strafe Manni verurteilt wurde, jedenfalls kam er erst nach vier Jahren wieder frei.

Ja und jetzt war Manni eben auf Stellensuche und hatte sich gedacht, daß ein Bestatter vielleicht am allerwenigsten Fragen stellt, zumindest hätte er es ja dort nicht besonders oft mit Leuten zu tun, die nach dem Woher und Warum fragen.

In einem amerikanischen Krimi habe ich einmal gehört, daß jemand sagte, in diesem Gefängnis säßen sowieso nur Unschuldige. Das kann ich aus meiner Lebenserfahrung nicht sagen. Wenn man es mit verurteilten Straftätern zu tun hat, sprechen die entweder gar nicht über ihre Tat, meistens um im Knast keinen Repressalien durch andere Gefangene ausgesetzt zu sein, oder sie geben ganz unumwunden zu, weshalb sie einsitzen. Aber daß jemand behauptet, er habe etwas ganz anderes gemacht, das habe ich noch nicht erlebt.

So glaubte ich Manni auch und aufgrund seiner Geschichte sah ich keinen Grund, ihn nicht einzustellen. Wenn ich ehrlich bin, versprach ich mir davon, daß der Mann froh ist, eine Stelle gefunden zu haben und sich die durch besonders gute Arbeit auch erhalten will. Ich konnte ja sowieso nicht überprüfen, ob seine Geschichte, so wie er sie erzählte, haargenau stimmte, vielleicht hat er sie etwas geschönt, um sich nicht gleich alles wieder zu verbauen, mir war es egal, ich konnte mich da schon immer auf mein Bauchgefühl verlassen.

Diese Einschätzung hat sich auch bewahrheitet. Manni war, nein, ist, froh, daß er eine gute Arbeit hat und hat mich in all den Jahren nie in irgendeiner Weise enttäuscht. Sein größter Wunsch ist es, diese Arbeit bis zur Rente machen zu können, da habe man keinen Ärger.

„Also gut, Herr Philippi, wir probieren es mal miteinander“, sagte ich zu Manni und er hob abwehrend die Hände: „Bitte versprechen Sie mir eins: Nennen Sie mich stets beim Vornamen. Ich kann meinen Nachnamen nicht mehr hören! Im Gefängnis hörst Du von morgens bis abends von den Beamten nur ‚Herr Philippi hier, Herr Philippi da, ich kann es nicht mehr ertragen!“

Dieser Wunsch war leicht zu erfüllen und es hat uns auch dann nicht gewundert, als Manni – seine erste Frau hatte sich während der Haft scheiden lassen – bei seiner Wiederverheiratung den Nachnamen seiner Frau angenommen hat.

Mannis Geschichte war nur in den ersten Wochen ein Thema, danach geriet sie in Vergessenheit. Ich habe sowieso niemandem was erzählt und wem Manni das selbst erzählt hat, weiß ich im Einzelnen nicht. Die anderen Fahrer wissen es zum Teil, glaube ich, aber es ist einfach kein Thema.

Jetzt hatten wir aber eine Trauerfeier, bei der Manni einer der beiden Fahrer war, die den Sarg im Beisein der Familie aus der Halle holten, um ihn zum Krematorium zu fahren.

Hinterher, einige Tage später, saß dann das auftraggebende Ehepaar bei mir und der Mann sagte:
„Ach ja, und noch was. Mein Schwager hat mir gesagt, daß einer ihrer Fahrer ein Sträfling ist. Daß Sie so jemanden beschäftigen, das hat uns schon gewundert. Wir dachten, Sie seien ein seriöses Unternehmen.“

„Woher weiß ihr Schwager das denn?“

Schweigen. Das Ehepaar schaut sich an, dann sagt sie spitzt: „Na, der kennt den eben.“

„Von wo?“

„Aus dem Gefängnis eben.“ Jetzt wäre es ihr am liebsten gewesen, das Thema sei vom Tisch. Doch ich ließ nicht locker:

„Ah, ich verstehe, Ihr Schwager oder Bruder ist Justizbeamter.“

„Nicht ganz…“. Zögern, Unsicherheit…

„Wie? Nicht ganz?“

„Ja, der kennt den von drinnen, der war auch mal im …“, sagt sie und wird von ihm unterbrochen:

„Was ist denn jetzt mit der Danksagungsanzeige? Können wir uns mal was Wichtigem zuwenden?“

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

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