Branche/Kommune

Leerstand auf dem Friedhof

leerer friedhof

Neulich kam ich durch eine Ortschaft im Hessischen und erst beim Verlassen des Stadtgebiets als ich das Ortsausgangsschild las, wurde mir bewusst, dass ich vor 30 Jahren schon mal da gewesen bin. Genau, in dieser Ortschaft liegt meine Tante auf dem Friedhof begraben.

Eigentlich hatten meine Tante und mein Onkel ganz woanders gewohnt. Sie waren aber einmal in dieser hessischen Gemeinde in Urlaub und der Tante hat es dort so gut gefallen, dass sie sich gewünscht hat, auf dem schönen Friedhof dort beerdigt zu werden. Da gab es so viele schöne, wildromantische Gräber mit tollen Grabsteinen.
Der Verlust seiner Frau hatte meinen Onkel damals sehr getroffen und er hat ihr diesen Wunsch erfüllt. Als Künstler haute mein Onkel ein stattliches Grabmal aus irgendeinem wetterfesten Gehölz und stellte es auf das üppig bepflanzte Grab. Den weiten Weg zu diesem Friedhof nahm er gerne auf sich.

Ein Jahr später lernte der Onkel auf einer Kur in Bad König eine steinreiche österreichische Antiquitätenhändlerin kennen, entwickelte noch einmal einen Restschub Testosteron und siedelte auf späten Freiersfüßen wandelnd nach Österreich um.

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Das Grab in Hessen geriet in Vergessenheit, wuchs zu, verkrautete und wurde dann von Amts wegen eingeebnet, weil die Angehörigen nicht erreicht werden konnte.

Es ist nicht an mir, den längst verstorbenen Oheim zu schelten. Er war in der Familie so etwas wie der intellektuelle Mäzen, der gerne mithalf, dass andere eine ausreichende Portion Bildung, Kultur und Benehmen mitbekamen.
Mir hatte er immer ein üppiges Erbe in Aussicht gestellt. „Ich lebe ja seit Jahrzehnten nur von den Zinsen, mein ganzes Geld sollst Du mal haben“.

Da er von seinen vielen Büchern nur wenige mit nach Österreich nehmen wollte, durfte ich mir einige davon aussuchen. Vor allem Biografien berühmter Persönlichkeiten nahm ich mit.
Kurz vor seinem Tod verteilte er dann, was er so hatte. In einem Telefonat sagte er mir: „Du hast ja damals schon die Bücher bekommen, Du bist versorgt.“
Sein ganzes Vermögen ging an die noch viel ältere Kunsthändlerin, was einmal mehr unterstreicht, dass dieser Satz sehr wahr ist: „Der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen“.

Jetzt war ich also wie einmal in diesem Ort, auf dessen Friedhof meine Tante liegt. Ich entschied mich, einen Abstecher zum Friedhof zu machen.

Ich wusste, dass das Grab platt gemacht und mit Gras eingesät worden war, aber es müsste noch bestehen. Ob der selbstgehauene Fridolin mit der Namenstafel noch steht?

Nach einigem Suchen fand ich ein Hinweisschild am Straßenrand und bald darauf auch den Friedhof. Doch von den vielen schönen Gräbern war nichts mehr da. Das ganze Gräberfeld war weg. Es gab nur schöne Wege, die ins Nichts führten.
Der halbe Friedhof war leer, nur freie, saubere Flächen, aber keine Gräber.

„Die liegen heute alle im Friedwald“, erklärte mir der Friedhofsmann, den ich gefragt hatte. „Also die alten Gräber sind alle abgelaufen. Dann machen wir sie ja platt und es kommen dann die nächsten rein. Früher konnten wir gar nicht alle hier beerdigen, die hierhin wollten. Manche mussten dann auf den evangelischen Friedhof, weil hier kein Platz mehr war. Aber seit zehn, zwölf Jahren kommt kaum noch was nach. Jetzt laufen die Gräber ab und werden nicht mehr neu belegt. Das Einzige, wo noch was geht, das sind die kleinen Urnengräber da hinten.“

Er berichtete mir davon, dass die Kosten für den Friedhof in den letzten Jahren gestiegen seien. Treibstoff, Arbeitszeit, Strom und sonst alles, das sei sehr viel teurer geworden. Aber die Einnahmen durch Grabverkäufe seien drastisch zurückgegangen. Da die Gemeinde aber darauf achtet, dass der Friedhof kostendeckend ist, werden die Bestattungen dort immer teurer. Die höheren Kosten müssen auf immer weniger Beerdigungen umgelegt werden. Das bedeutet, dass am Ende jeder, der sich für ein Grab auf diesem Friedhof entscheidet, dreimal so viel bezahlen muss, wie vor 12 Jahren.

„Dabei haben wir jetzt auch Urnenplätze unter schönen Bäumen und eine Waldecke. Aber die Leute wollen in den Ruheforst oder den Friedwald. Die haben ja all die Kosten nicht. Die haben keine Trauerhalle, die beheizt werden muss, die müssen keine Reparaturen für die Orgel bezahlen, die haben keinen Bagger für den Grabaushub und keine Aufbahrungszellen, keine Kühlung, nichts. Die haben bloß einen Wald, in dem Holz noch viele Jahrzehnte wachsen muss, bis es mal geerntet wird und in der Zwischenzeit kommen da Urnen in den Boden.“

Er meint, dass wenn es so weiterginge, müsse der Friedhof in weiteren zehn bis zwölf Jahren bestimmt schließen. „Dann warten wir nur noch ab, bis die letzten Gräber abgelaufen sind und dann ist Sense.“

Der Mann beschreibt ein Problem, das heute viele Friedhöfe haben. Ich schrieb ja schon darüber.
Friedhöfe zu unterhalten, gehört im Rahmen der Daseinsfürsorge zu den ureigensten Aufgaben einer Kommune. Noch vor 30 Jahren wurden Friedhöfe erweitert und neue Flächen erschlossen. Da konnte niemand absehen, wie sehr sich die Bestattungskultur wandeln würde.
Einmal spielt der Trend zur Feuerbestattung eine entscheidende Rolle. Urnengräber sind klein und haben meist eine nicht so lange Laufzeit. Sehr in Mode gekommen sind auch gärtnerisch gepflegte Urnengemeinschaftsanlagen, die auf kleinstem Raum bis zu hundert Urnen beherbergen.
Auch entwidmete Kirchen, die zu Kolumbarien umfunktioniert worden sind, graben den Friedhöfen das Wasser ab. Hinzu kommen die Beisetzungswälder, die den lukrativsten Teil des Ganzen übernehmen, ohne die anderen Kosten eines Friedhofs tragen zu müssen.

Dadurch kommt eine Spirale in Gang: Weniger Beisetzungen -> höhere Friedhofskosten -> Friedhof wird zu teuer -> mehr Leute wählen andere Beisetzungsplätze.

Hier beißt sich also der Rettich in den Schwanz.

Was kann man tun? Der einzige Weg ist, dass die Kommunen umdenken und dafür sorgen, dass der Grabkauf auf einem herkömmlichen Friedhof wieder erschwinglich wird. Außerdem müssen die Friedhöfe dringend ebenfalls als schön empfundene alternative Möglichkeiten anbieten. Bestattungen unter Bäumen, Waldnischen, Verstreuung der Asche, Kolumbarienwände und noch mehr pflegefreie Möglichkeiten. Dann überlegen sich die Menschen das ganz bestimmt, ob sie eine der attraktiven und bezahlbaren Möglichkeiten auf dem Friedhof wählen oder in einem manchmal etwas weiter entfernten Wald.

An was denkst Du, wenn Du das liest?

Bildquellen:
  • leerer-friedhof: Peter Wilhelm


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Hier finden Sie meine Berichte und Kommentare zur gesamten Bestattungsbranche.


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 14. März 2025

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