Menschen

Leute gibt’s – So ein Mist!

Kacke

Ein Leichenwagen ist ein besonderes Fahrzeug. Wir Bestatter sagen ja immer Bestattungsfahrzeug, aber die Leute nennen unsere Autos meist sehr direkt Leichenwagen.

Im Grunde reicht für den Transport eines Leichnams oder eines Sarges ein Lieferwagen mit entsprechender Ausstattung. Aber es hat sich so entwickelt, dass die meisten Bestatter besonders schöne Autos für die Abholung und Überführung von Toten verwenden. Am weitesten verbreitet dürften die bekannten langen Mercedes-Kombis sein, die in Spezialfabriken oft in Handarbeit aus den Serienmodellen gefertigt werden.

Die Verstorbenen sollen würdevoll und mit einem exklusiven Fahrzeug transportiert werden, dass der Besonderheit eines Trauerfalls entsprechend als angemessen wahrgenommen wird.

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Der Anblick eines Bestattungsautos veranlasst in südlichen Ländern die Menschen immer noch dazu, innezuhalten, sich zu bekreuzigen oder wenigstens auf lautes Geschrei und Musik zu verzichten. Ich habe es beobachtet, dass selbst Skater kurz von ihren Skateboards abstiegen und erst wieder mit ihrem Sport weitermachten, als der Leichenwagen vorbeigefahren war.

Wie dem auch sei, und das ist ja auch eine Sache des Charakters, verhalten sich die Menschen ganz unterschiedlich, wenn sie einem Leichenwagen begegnen. Ich habe ja schon oft hier im Bestatterweblog davon erzählt.
Manche benehmen sich respektlos, manche sind erschrocken oder sogar abgestoßen und wieder andere empfinden es als memento mori1.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir nach all den Jahren ein Fall, den ich hier auch schonmal erzählt habe. Wir mussten nachts in einer engen Straße mit geöffneter Heckklappe vor einem Wohnhaus stehenbleiben, um einen Sarg mit einem Verstorbenen einzuladen. So etwas dauert fünf, im schlechtesten Fall auch mal zehn Minuten. Die Warnblinkanlage war eingeschaltet, die Heckklappe des würdevollen Mercedes stand offen.
Da musste sich eine Dame mit ihrem Kleinwagen direkt dahinterstellen und dauerhupen. Ohne Unterlass drückte sie immer wieder auf die Hupe, schimpfte wie ein Rohrspatz und schien kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Aus dem Fenster rief sie uns dann zu, als wir mit dem Sarg herauskamen: „Anzeige kommt! Das ist Freiheitsberaubung! Das ist Nötigung! Mein Mann hat keine Zigaretten mehr, ich muss zum Automaten!“

Eine lustige Begegnung dieser Art findest Du hier.

Ja, es ist nicht erlaubt, eine kleine einspurige Straße mit einem Auto zu blockieren. Aber ich hatte mir eingebildet, angesichts des Todes eines Menschen würden die anderen es hinnehmen, dass wir uns die Freiheit genommen haben, den Verstorbenen würdig einzuladen.

An einem anderen Tag fahren Manni und ich in eine Hochhaussiedlung. Schon bei der Anfahrt machen wir uns Gedanken darüber, dass der Aufzug hoffentlich funktioniert und dass wir einen guten Parkplatz bekommen.
Wir haben Glück! Der Hausmeister legt die rot-weißen Poller um und lässt uns direkt vor der Eingangstür parken. Und der nette Mann öffnet im Aufzug noch die Rückwand, sodass man mehr Platz hat, um Möbel oder wie heute, einen Sarg transportieren zu können.

Als wir wieder unten sind, konzentrieren wir uns auf das Einladen. Das soll reibungslos und ohne Rütteln oder Stolpern geschehen, denn inzwischen haben sich dann doch so an die zwanzig Leute mit gezückten Smartphones eingefunden, um irgendetwas Spannendes für Social Media dokumentieren zu können. Und wenn man schon ungefragt gefilmt wird, möchte man ja nicht als „der Depp, der den Sarg fallen ließ“ in die Geschichte von Instagram eingehen oder noch zehn Jahre später in den „Lustigsten Videolips aller Zeiten“ durch den Kakao gezogen werden.

Alles klappt, die Klappe wird geschlossen und Manni und ich gehen nach vorne. Da erst sehe ich folgendes Bild:

Eine etwa 25-jährige Frau in viel zu engen, rosafarbenen Leggings, von mir respektlos insgeheim Schweinepelle genannt, steht vor der Motorhaube, beugt sich über diese und wickelt auf der Haube unseres ehemals 90.000 DM2 teuren Leichenwagens einen Säugling.

Nun habe ich nichts dagegen, dass Mütter bei Bedarf auch an ungewöhnlichen Orten und in seltsamen Situationen diverse Pampers-Tauschaktionen durchführen. Was sein muss, muss sein.
Und ja, ich finde, dass so etwas nicht unbedingt auf der Motorhaube eines Autos passieren muss, und ich finde, dass ein Leichenwagen noch viel weniger dafür der richtige Ort ist.
Aber immer noch sind 20 Smartphonekameras auf mich gerichtet, und deshalb sagt man besser gar nichts. Ich gehe einen Schritt auf die Frau zu und schon fühlt sie sich angegriffen. Sie ist sich ganz offenbar völlig darüber im Klaren, dass sie ihren kleinen Scheißer am falschen Ort mit neuer Windelware versorgt. Links und rechts hätte es Parkbänke, eine breite Betonumrandung und einen steinernen Tisch gegeben. Sie schaut mich provozierend an und fragt: „Passbild, Alter? Was glotzt Du so?“

„Alles gut“, sage ich. „Wir würden dann jetzt gerne losfahren.“

Erst da sehe ich, dass die Kuh die verschissene Windel so zusammengerollt hat, dass – ich sag’s jetzt mal so, wie’s war – an beiden Seiten Scheiße herausgedrückt wurde und unsere Motorhaube verschmiert hat.

„Das ist ein kleines Kind, Du Arschloch!“, bekomme ich als Antwort.

Was macht man in so einer Situation? Social Media und „Die lustigsten Idioten auf Video“ im Nacken beschließe ich, es bei einem müden Lächeln zu belassen und Manni und ich steigen ein. Endlos erscheinende drei bis vier Minuten vergehen, bis das dumme Weib endlich ihren Säugling wieder in einen Kinderwagen gesetzt hat und betont langsam davonschiebt.

Die bekackte Windel lässt sie auf der Motorhaube liegen.

So langsam und würdevoll, wie es eben geht, lasse ich den Wagen anrollen und fahre drei, vier Straßen weiter. Dort zieht sich Manno dann Gummihandschuhe an und schmeißt die Windel in einen Papierkorb am Straßenrand.
Eine halbe Sprühflasche Desinfektionsmittel benötigt er, um die Verschmierung von der Haube zu sprühen. Dann setzen wir unsere Fahrt fort.

Es dauert eine Weile, bis einer von uns was sagt. Es ist Manni: „Leute gibt’s.“

Bildquellen:

  • kacke: Peter Wilhelm KI

Fußnoten:

  1. „Memento mori“ ist eine lateinische Redewendung, die „Bedenke, dass du sterben wirst“ bedeutet und eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit darstellt. Dieser Spruch stammt aus dem antiken Rom, wo ein Sklave einem siegreichen Feldherrn während eines Triumphzugs diese Botschaft als Mahnung zur Demut flüsterte. (zurück)
  2. von mir für 19.000 DM gebraucht gekauft, W123 Pollmann (zurück)

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#bestattungswagen #leichenwagen #Respekt #respektlos #Social Media #Windel

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(©si)