Geschichten

Lodernde Flammen -11-

Der Tag hatte also nicht gut angefangen. Er ging auch nicht gut weiter. Gegen halb zehn kam Manni von seiner Tour zurück. Morgens fuhr er die Krankenhäuser der Stadt ab und holte mit seinem Kollegen die Verstorbenen ab, für die wir einen Bestattungsauftrag hatten. Bei der Gelegenheit holten die Männer auch immer noch die Sterbepapiere in der Krankenhausverwaltung ab. Außerdem fuhren sie beim Standesamt vorbei und holten die bereits fertiggemachten Sterbeurkunden anderer Menschen ab. Ich hörte den Bestattungswagen auf dem Hof und wußte, daß Manni bald mit Arbeit hochkommen würde. In der Nacht zuvor hatte Sandy Bereitschaft gehabt und ich sah an ihrem Beratungskoffer, daß sie wohl zu tun gehabt hatte.


Wir hatten nämlich vereinbart, daß Sie Ihren Beratungskoffer einfach mitten auf ihren Schreibtisch stellte, wenn er voll mit Arbeit war. Normalerweise war das nämlich so, daß derjenige, der eine Aufnahme machte, so nennen die Bestatter meist die Beratungen, diesen Auftrag auch gleich in den Computer eingab. Wenn man aber nachts durch die halbe Stadt fährt und sich ein, zwei Stunden bei Kunden aufhält, ist man froh, wenn man wieder in sein Bett kann, und dann muß keiner noch an den Rechner und alles eintippen. Der auf dem Tisch stehende Koffer war das Signal: Ich bin voller Arbeit, mach mich leer!

Ich wollte gerade rüber gehen und den Koffer holen, da kam die Langbeinige höchstselbst durch die Haustüre. „Nee Chef, laß mal, mach‘ ich lieber selbst“, rief sie mir zu.
„Was war denn heute Nacht?“, erkundigte ich mich.

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„Ach Sie wissen doch diese Frau Borgner, deren Mann war doch vor ein paar Wochen gestorben…“

„Ist die tot?“

„Nein, aber sie hat unbedingt heute Nacht eine Vorsorge abschließen müssen.“

„Wie bitte? Mitten in der Nacht? Seit wann machen wir nachts Vorsorgen? Die Frau hätte heute doch vorbei kommen können.“

„Die hat aber so geweint am Telefon.“

Ich knurrte nur und schüttelte den Kopf. Ich meine, gut, daß wir nachts zu den Menschen fahren, um Verstorbene abzuholen, das ist ja mal eins. Und daß wir manchmal auch nachts Beratungen machen müssen, weil die Leute es fürchterlich eilig haben, das war das andere.
Aber im Grunde genommen gibt es außer der Abholung von Toten keinen Grund, daß wir nachts arbeiten müssen. Alles, was es zu erledigen und zu besprechen gibt, kann man am folgenden Tag noch genau so gut machen.
Aber gut, der Kunde ist König…

Doch eine nächtliche Vorsorge? Das war tatsächlich eine Seltenheit. Außerdem muß man es ja auch mal aus meiner Sicht als Unternehmer sehen. Für den nächtlichen Einsatz würde sich Sandy die Stunden schreiben und ich mußte die recht teuer bezahlen.

Ich grummelte und knotterte so vor mich hin, das war einfach irgendwie kein guter Tag.

So eine gute halbe Stunde später kam Sandy zu mir ins Büro. Keck legte sie ihre bestiefelten Füße auf meinen Schreibtisch dehnte und reckte sich, daß ich Angst haben mußte, von den Knöpfen ihrer Bluse erschossen zu werden und dann schaute sie mich aus ihren blauen Augen lange an.
„Du Chef, die Frau die tut mir echt leid.“

„Das ist doch diese Beamtenwitwe, deren Mann immer alles erledigt hatte, oder?“

„Genau.“

„Und warum mußte da nachts die Vorsorge gemacht werden?“

„Du, die war völlig durch den Wind. Ohne ihren Mann kommt sie nicht klar, hat sie gesagt. Und daß sie lieber alles geregelt haben will, weil sonst ihr Mann ja immer alles gemacht hat. Und sie hatte schon alles rausgelegt und sogar Briefe an ihre Kinder geschrieben. Ich hab das alles im Koffer. Sie wollte eben alles ganz genau geregelt haben, so wie ihr Mann das immer gemacht hatte. Das hat sie auch ein paar Mal gesagt: ‚Fräulein Sandy, Sie können das fast genau so gut, wie mein Mann‘.“

„Na denn.“

„Ja, aber irgendwie war die auch komisch.“

„Inwiefern?“

„Ja, alles so endgültig.“

„Die ist halt fertig weil ihr der Mann fehlt.“

„Trotzdem, mir kommt das alles komisch vor. Die hatte schon die Blumen von der Fensterbank an die Frau im Haus gegenüber verschenkt.“

„Wohnt sie alleine?“

„Ja, ganz alleine in einem Haus in der Vorstadt. So ein richtiges Protzhaus. Die ganze Hütte voller Jagdtrophäen von ihrem Mann, ein großes Arbeitszimmer für den Mann, ein Zimmer mit der Modelleisenbahn des Mannes. Nichts im Haus scheint für sie zu sein. Da hat sich wohl alles nur um den verstorbenen Göttergatten gedreht.“

„Na gut, vielleicht bitten wir mal Pastor Engelmann, bei ihr vorbeizuschauen. Die ist doch katholisch und hatte doch schonmal Besuch von ihm, als es um die Vorbereitung der Trauerfeier ging. Vielleicht kann er sie etwas aufbauen.“

Nun hatte ich auch noch Frau Borgner im Kopf. An dem Tag war mir irgendwie alles zu viel. Und dann kam Manni auch mit einer Hiobsbotschaft. Ihm war der Geldbeutel geklaut worden.

„In der Verwaltung im Bartholomäus-Stift! Ich muß dort doch die Leichenschau gleich bezahlen. Ich leg den Geldbeutel neben mir auf die Theke und warte bis die Nonne mit den Papieren rüberkommt. Da war ein Mordsbetrieb, bestimmt sechs anderes Bestatter… Und dann gucke ich einen Moment nicht und auf einmal bin ich dran, ich war der Letzte… und dann will ich bezahlen und der Geldbeutel ist weg.“

Mist! Manni hat immer 400 Euro dabei und die waren nun weg. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Es war also ein Scheißtag. Aber so einer von der richtigen Sorte.

Am späten Nachmittag wurde dieser Scheißtag aber dann zu einem dieser Scheißtage, an denen auch ein Bestatter mal weinen muß.

Frau Büser kam in mein Büro und blieb noch an der Tür stehen. Normalerweise schaute ich kurz hoch und wenn sie das Gefühl hatte, daß ihr meine Aufmerksamkeit gewiss war, fing sie an zu reden. Aber dieses Mal guckte sie nur.

„Was ist denn?“, fragte ich etwas ungehalten.

„Es ist nur wegen der Frau.“

„Wegen welcher Frau?“

„Na die, wo Sandy heute Nacht war.“

Ich sah, daß Sandy hinter Frau Büser auf dem Gang stand und heulte.

„Und was ist mit dieser Frau?“

„Die hat ihr Haus angezündet und ist da drin verbrannt.“


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 1. März 2017

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2 Kommentare
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7 Jahre zuvor

Das Ende trifft voll ine Magengrube…

klartexter
7 Jahre zuvor

Hammer! Klasse geschrieben! Danke dafür.




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