Ich gönnte mir ein Salamibrötchen und eine Tasse heiße Brühe, denn ich ahnte, daß mein Mittagessen an diesem Tag ausfallen würde. Dann kamen die Leute für die dritte Beratung an diesem Tag. Ein kleine alte Dame mit auffallen krummen Beinen kam in Begleitung ihrer erwachsenen Kinder. Sechs Personen, zwölf Tassen Kaffee, ein Tisch voller Unterlagen. Sie hatten alles mitgebracht, von dem sie dachten, es könne von Bedeutung sein, darunter viele Dokumente mit Hakenkreuz, teils noch von der Oma des Verstorbenen.
Gestorben war der Mann der alten Frau.
Die Kinder wurden nicht müde, zu beteuern, wie sehr sich jeder um die Oma kümmern würde und jeder tröstete sie. Eine Schwiegertochter tat sich ganz besonders hervor und erzählte mir mindestens zwölf Mal, daß sie ja am häufigsten beim Opa im Krankenhaus gewesen sei. Sie würde ja jetzt auch alles in die Hände nehmen, die Oma käme ja alleine nicht klar.
Schön!
Aber nur auf den ersten Blick. Denn nachdem der Sarg ausgesucht war und wir bereits wieder im Beratungsraum waren, bat mich die alte Dame, den Sarg noch einmal anschauen zu dürfen. Ich ging alleine mit ihr in den Ausstellungsraum und dort hatten wir Gelegenheit, uns ohne die anderen zu unterhalten.
Dort erfuhr ich dann, daß Schwiegertochter Marianne nichts als eine vorlaute Nervensäge war und sowieso 200 Kilometer entfernt wohnte. „Wenn ich sicher sein kann, daß sich ab nächster Woche jemand nicht mehr um mich kümmert, dann ist das bei Marianne. Die hat sogar meinen Sohn dazu gebracht, daß sie uns nur einmal im Jahr besucht haben. Meist bevor sie in Urlaub fuhren, damit wir ihnen noch etwas Urlaubsgeld geben konnten. Ich glaub‘ nicht, daß die jetzt öfters kommen wird.“
Dabei fehle ihr ihr Mann schon jetzt an allen Ecken und Enden. Der habe sich immer um alles gekümmert. „Ich muß erst lernen, wie man das auf der Bank alles macht. Ich habe noch nie irgendeine Überweisung gemacht und ich hoffe nur, daß die auf der Volksbank mir helfen, mit den Automaten kenne ich mich nämlich überhaupt nicht aus.“
Wie bei so vielen Ehepaaren hatte sich in dieser Ehe der Mann um den ganzen Schriftkram und alles Behördliche gekümmert. Das stellt die Witwen dann vor ganz neue Herausforderungen, wenn sie auf einmal auf sich alleine gestellt sind. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, daß die Frau alles erledigt hat und der Mann nun hilflos da steht.
Doch hier war es eben der Mann. Und deshalb sagte Frau Borgner: „Ich weiß nicht, wie das ohne meinen Mann weitergehen soll. Am liebsten wäre ich jetzt auch tot. Wir waren 66 Jahre verheiratet. Mein Mann war Beamter, er hat die Abwassersachen neu geregelt und war 1962 verantwortlich für den Bau der neuen Kläranlage. Als Beamter hat er immer alles gemacht. Ich weiß nicht einmal, wieviel man auf einen Brief kleben muß. Meine Güte, was mache ich bloß?“
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Schlagwörter: Lodernde, mann, Oma
So eine Tasse heiße Brühe möchte ich jetzt auch.
„Meine Güte was mache ich bloß?“ – Den grantelnden Alten von vorhin heiraten?